Generationenwechsel und Gleichberechtigung
Die 33jährige Fatima Azzahra al-Mansouri wurde im vergangenen Sommer in Marrakesch zur ersten Bürgermeisterin der südmarokkanischen Millionenmetropole gewählt – allen Unkenrufen konservativer Politiker zum Trotz. Von Alfred Hackensberger
"Die Wahl der Bürgermeisterin von Marrakesch setzt für mich ein positives Zeichen", so Saida El Farah, die als leitende Managerin in einer marokkanischen Firma arbeitet. "Es zeigt, dass es die Frauen auch in der Politik bis ganz nach oben schaffen können!"
Dies ist für Frauen mit politischen Ambitionen in Marokko nicht so einfach. Männliche Parteifunktionäre, meist aus angesehenen oder reichen Familien, bestimmen, wo es politisch langgeht und wer als Kandidat nominiert wird.
"Selbst innerhalb der arrivierten Parteien", erklärt Fatna Lakhail, Abgeordnete der "Mouvement Populaire" im marokkanischen Parlament, "wird auf Frauen in einer oberflächlichen Weise herabgesehen."
Karriere und Familie
Fatima al-Mansouri ist jung, aufgeschlossen, gebildet und erfolgreich. Sie passt nicht in das Klischeebild von einer islamischen Gesellschaft, in der Frauen Kopftuch tragen und zuhause bei den Kindern bleiben.
Die Rechtsanwältin, die ihre juristische Ausbildung in Frankreich absolvierte, weiß Karriere und Familie zu verbinden. Nach dem Studium gründete sie eine eigene Anwaltskanzlei, spezialisiert auf Immobilien und Handelstransaktionen.
Ihr neues Amt als Bürgermeisterin der Stadt Marrakesch, mit jährlich 1,6 Millionen Besuchern aus aller Welt, fordert jedoch weit mehr Verantwortung als eine Kanzlei und zudem auch einen größeren Zeitaufwand.
Image eines modernen Marokkos
Für Scheich Muhammed Biyadillah, dem Generalsekretär der Partei für Authentizität und Modernität (PAM), spiegelt die Wahl von Fatima al-Mansouri "das Image eines modernen Marokkos" wider. Seine Partei hatte Fatima Mansouri als Kandidatin nominiert.
Allerdings war ihre Wahl nicht so leicht durchzusetzen, wie es der Generalsekretär gerne erscheinen lassen würde. Die PAM ist zweitstärkste Partei im Stadtrat und musste hinter den Kulissen lange mit den Koalitionspartnern verhandeln, bis Mansouri endlich in ihr neues Amt gewählt werden konnte.
"Mangelnde Erfahrung in öffentlichen Institutionen und im Management", warfen die Gegner der jungen Frau vor, die bis zu diesem Zeitpunkt tatsächlich kaum über politische Praxis verfügte.
"Da hat man bestimmt nachgeholfen", meinte ein Lokalpolitiker aus Marrakesch, der unerkannt bleiben will. "Die PAM versucht sich einen neuen, jugendlichen Anstrich zu geben. Dazu nutzt die Partei ihren Einfluss bis ganz nach oben zum König."
Mit König meint er den früheren Innenminister Fouad Ali al-Himma, der die PAM 2008 als Gegengewicht zu islamistischen politischen Gruppierungen gründete und ein Jugendfreund von Mohammed VI. ist.
Die Kommunalwahlen vom letzten Juni waren der erste erfolgreiche Test der Partei: Die PAM wurde zum Gewinner der Wahl und erhielt 27 Prozent aller Städte- und Gemeinderäte Marokkos.
Die alteingesessenen Parteien beschuldigten die Behörden, der PAM aktiv zugearbeitet zu haben. "Die Partei nutzte nur alle erdenklichen Möglichkeiten, um sich durchzusetzen", erklärte Ismail Alaoui, der Generalsekretär der "Partei für Fortschritt und Sozialismus" (PPS). "Sie haben Kandidaten aufgestellt, die keinerlei politische Skrupel haben."
Wählerkauf gegen Bakschisch
Beschwerden über die Kommunalwahlen hatte es bereits am Wahltag gegeben, noch bevor die Wahllokale geschlossen waren. Insgesamt wurden rund 900 Klagen wegen unlauterem Wettbewerb eingereicht. Mit "schmutzigem Geld" sollen Wähler gekauft worden sein, besonders aus den sozial schwachen Bevölkerungsschichten.
Pro Stimme habe man zwischen 100 und 1.000 Dirham (10 bis 100 Euro) bezahlt. In Marokko, wie auch in anderen muslimischen Ländern, wie etwa Afghanistan oder Libanon, ist dies kein ungewöhnlicher Vorgang.
"Ich gucke, wer mich am besten bezahlt", versichert etwa Mounir, der in Tanger als Taxifahrer arbeitet. Und sein Bruder in Rabat würde es genauso machen: "Ist doch ein schöner Nebenverdienst. Schade, dass nicht öfter gewählt wird", fügt er noch schmunzelnd hinzu.
Auch anderweitig kann man aus den Wahlen Kapital schlagen. Metzger oder Lebensmittelhändler vermieten ihre Läden als Wahlwerbeflächen an den Meistbietenden.
Bürgermeisterin für drei Wochen
In Marrakesch annullierte das Verwaltungsgericht am 13. Juli die Ergebnisse im Wahlbezirk Menara, nachdem ein Kandidat der Oppositionspartei "Front des Forces Démocratiques" eine Beschwerde eingereicht hatte.
Infolge dessen wurde die Wahl von Fatima al-Mansouri ebenfalls aufgehoben. Sie war gerade mal drei Wochen Bürgermeisterin gewesen. In einer Neuwahl sollte nun der vakante Posten des Stadtoberhaupts vergeben werden.
Eine Entscheidung, die man Mounir Chraibi, dem Gouverneur der Region Marrakesch-Tensift-El Haouz anlastete. Er hatte Frau al-Mansouri auch davon überzeugen wollen, einige ihrer Aufgaben als Bürgermeisterin, darunter das Wohnungsbauwesen, aufzugeben.
"Ich konnte in diesem Punkt nicht zustimmen", meinte Fatima al-Mansouri. "Er hat einfach zu sehr darauf gedrängt, besonders was die Abgabe von Befugnissen betraf."
Eine Woche später wurde Mounir Chraibi vom Innenministerium als Wali entlassen. Man habe "große Dysfunktionen" innerhalb seines Verwaltungsdienstes feststellen müssen, hieß es in einer ministeriellen Stellungnahme.
Die Oppositionsparteien, darunter auch die islamische "Parti de la Justice et du Développement" (PJD), gaben sich überrascht und vermuteten, die Konkurrenz von der PAM habe wieder einmal ihre königlichen Beziehungen spielen lassen. "Es gibt eben Glückspilze, die immer ihren Weg finden", erklärte Lahcen Daoudi, stellvertretender Vorsitzende der PJD.
Frauen müssen viel beweisen
Fatima al-Mansouri dürften die Spekulationen und Vorbehalte ihrer Gegner mittlerweile völlig egal sein. Zu Anfang war die 33jährige wahrscheinlich noch überrascht, welche Tragweite eine Frau als Bürgermeisterin von Marrakesch besitzt.
Um Asmae Chaabi, die 2003 in Essaouira an der Atlantikküste ins Amt gewählt worden war, hatte man kein derartiges Aufheben gemacht. Dabei war sie der erste weibliche Bürgermeister Marokkos.
Nach dem ganzen Hin und Her um ihre Person dürfte al-Mansouri nun wohl kaum mehr etwas aus der Fassung bringen. Außerdem ist sie mittlerweile wieder in Amt und Würden. Das Appellationsgericht in Marrakesch hob das erste Urteil des Verwaltungsgerichts auf. Eine endgültige Entscheidung soll sehr bald der Oberste Gerichtshof treffen.
Es ist jedoch kaum anzunehmen, dass die Bürgermeisterin erneut ihres Amtes enthoben wird. "Frauen sind daran gewöhnt, dass sie immer sehr viel beweisen müssen", erklärte al-Mansouri nach ihrer zweiten Amtseinsetzung.
Kampf gegen die Armut
Die gelernte Rechtsanwältin muss sich nun beweisen und ihre ehrgeizigen Ziele umsetzen. "Wenn wir trotz internationaler Krise weiterhin eine zugkräftige Stadt bleiben wollen, müssen wir die Lebensbedingungen der Menschen in Marrakesch verbessern", erklärte die junge Bürgermeisterin.
"Es ist für eine Stadt mit einem derartigen Wirtschaftsboom inakzeptabel, noch immer eine so unausgeglichene Gesellschaft zu haben."
Wie die Bürgermeisterin jedoch nachhaltige Veränderungen schaffen will, bleibt noch offen. Die Touristenzahlen sind, wie fast bei allen internationalen Reisezielen, auch in Marrakesch dieses Jahr deutlich zurückgegangen.
Ob die im Herbst neu initiierte Werbekampagne in Europa tatsächlich "Marrakesch als Reiseziel fördert und die Nachfrage erhöht", wie es sich der marokkanische Tourismusminister Mohamed Boussaid vorstellt, steht – angesichts der weltweiten Krise und der Angst vor der Schweine-Grippe – zu bezweifeln.
Schlechte Aussichten für Fatima al-Mansouri, die für die Umsetzung ihrer Ideen viel Geld braucht. Sie wird sich gewiss keine neuen Freunde machen, sollte sie aus einer schmalen Stadtkasse Millionen für die Infrastruktur von Wellblechhütten zur Verfügung stellen. Und noch weniger wird das der Fall sein, wenn sie das Problem der weit verbreiteten Korruption beseitigen will.
Alfred Hackensberger
© Qantara.de 2009
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