Unabhängiger Journalismus im Aufwind

In der Türkei müssen Journalisten nach wie vor fürchten, wegen Beleidigung des Türkentums verurteilt zu werden. Trotzdem gibt es Journalisten, die es wagen, offen über sensible Themen zu berichten. So auch die Mitarbeiter der Internet-Plattform Bianet. Hülya Köylü berichtet.

In der Türkei müssen Journalisten nach wie vor fürchten, wegen des Straftatbestands der "Beleidigung des Türkentums" verurteilt zu werden. Trotzdem gibt es Journalisten, die es wagen, offen über sensible Themen zu berichten. So auch die Mitarbeiter der Internet-Plattform Bianet. Hülya Köylü hat die Redaktion in Istanbul besucht.

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Für einen unbahängigen und kritischen Journalismus - das Internet-Netzwerk Bianet in Istanbul

​​Gute Laune und angeregte Diskussionen bei Bianet, einer Internet-Nachrichtenagentur, die sich eine kritische Analyse der türkischen Medien und eine unabhängige Berichterstattung auf die Fahne geschrieben hat. Zehn junge Leute sitzen in einem Großraumbüro im Istanbuler Stadtteil Cukurcuma.

Tolga Korkut schreibt gerade an einem Artikel über ein am Wochenende von Bianet organisiertes, internationales Treffen zum Thema "unabhängige Medien". Bevor er zu Bianet kam, hat er mehrere Jahre für verschiedene türkische Medien gearbeitet, erzählt der junge Journalist in fließendem Englisch. Doch da habe er sich ständiger Kontrolle und Zensur ausgesetzt gefühlt – jetzt sei das anders:

"Die Distanz zwischen einem selbst und den Dingen, über die man berichtet, wird geringer. Ich fühle mich nicht mehr manipuliert, ich habe nicht das Gefühl, dass man mir etwas aufzwingt. Jetzt mache ich meinen Job, wie er sein sollte."

Über hochsensible Themen schreiben

Korkuts Spezialgebiet sind Menschenrechtsfragen - ein hochsensibles Thema in der Türkei. Im Zusammenhang mit den Verhandlungen über einen EU-Beitritt sind von Brüssel aus immer wieder Verletzungen von Grundrechten angeprangert worden.

Korkut berichtet regelmäßig über Opfer von staatlicher Gewalt, Unterdrückung, Folter. Aber es sind nicht so sehr die spektakulären Fälle, die zum Teil auch in den internationalen Medien auftauchen, die ihn lange beschäftigen, sondern die Geschichten, die das alltägliche Elend illustrieren:

"Zum Beispiel sterben hier sehr viele Arbeiter, weil sie keinen ausreichenden Schutz bei der Arbeit haben. Dabei gibt es Gesetze, die das vorschreiben. So sind in diesem Jahr 20 Arbeiter einer Werft deswegen gestorben – und niemand berichtet darüber, außer unabhängige Medien wie wir."

Kurdenkonflikt kein Tabuthema

Bianet ist sehr stark auf Themen aus dem Südosten des Landes fokussiert. Dort leben vor allem Kurden. Ihre Lage und vor allem die kurdischer Frauen ist nach wie vor schwierig: Zum einen ist diese ärmste Region der Türkei sehr traditionell geprägt. Zum anderen greift das türkische Militär dort nach wie vor zum Teil sehr hart durch. Immer wieder kommt es zu Strafaktionen, Verhaftungen, Vergewaltigungen, Folter.

Darüber zu berichten ist für Journalisten nicht ungefährlich. Und auch über die verbotene Kurdische Arbeiterpartei PKK zu schreiben, birgt Risiken. Das weiß auch Ragip Duran, der regelmäßig bei Bianet vorbeikommt.

Ein Interview mit dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan, das er 1994 in einer pro-kurdischen Zeitung veröffentlichte, brachte ihm eine Gefängnisstrafe von zehn Monaten ein. Die Begründung für das Urteil des Staatssicherheitsgerichts: Duran habe damit Propaganda für eine terroristische Organisation gemacht.

"Das war schon an sich eine Beleidigung für mich", so Duran, "denn ein Journalist macht keine Propaganda. Aber das war ja nicht das erste Mal, dass ich vor Gericht stand, denn in dieser Zeit habe ich mich vor allem mit dem Thema Kurden auseinandergesetzt."

Journalisten leben gefährlich

Das Gefängnis, sagt Ragip Duran nicht ohne Zynismus, gehöre eben zum Leben eines Mannes in der Türkei – vor allem, wenn dieser Journalist sei:

Ragip Duran nach seiner Freilassung im Jahr 1999; Foto: AP
Ragip Duran wurde wegen eines Interviews mit dem PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt

​​"Das Gefängnis gehört zur sozialen Tradition in der Türkei", berichtet Ragip Duran. "Unsere besten Schriftsteller und Dichter sind im Gefängnis gleichsam ausgebildet worden. Das ist leider so. Ich war daher nicht überrascht – und es hat mich auch nicht entmutigt – denn es gibt schließlich Schlimmeres. "

25 Journalisten seien in den letzten 15 Jahren getötet worden, erzählt Duran. Noch immer gebe es in der Türkei vier große Tabus: der Völkermord an den Armeniern, die Kurdenfrage, die Rolle des Militärs und die Vater-Figur Atatürk.

Gesetzliche Eindämmung der Meinungsfreiheit

Ein immer wieder kritisiertes Mittel, die Meinungsfreiheit einzudämmen, ist der Paragraph 301 des Strafgesetzbuches, der die "Beleidigung des Türkentums" unter Strafe stellt. Kritik hingegen wird ausdrücklich erlaubt. Doch die Begriffe bleiben schwammig:

"Was ist Beleidigung, was ist Kritik? Wo soll man da die Grenze ziehen?", fragt Duran. Und die Definition des "Türkentums" sei noch undurchsichtiger: "Wenn man schreibt: Die Infrastruktur einiger Dörfer sei nicht ausreichend ist das dann eine Beleidigung des Türkentums?"

Zwar habe sich in den letzten Jahren schon sehr vieles zum Besseren gewendet, so Duran. Aber bestimmte Hindernisse auf dem Weg in die Europäische Union könne die Regierung nicht einfach per Gesetz aus dem Weg räumen. "Der Wandel in den Köpfen der Menschen dauert eben länger", meint er.

Medienkonzentration

Dazu will er auch mit seiner Arbeit bei Bianet beitragen. Er führt regelmäßig Trainingskurse für junge Journalisten durch. Sein Hauptanliegen ist, ihnen neben journalistischen Techniken auch mehr Selbstbewusstsein zu vermitteln:

"Journalist in diesem Land zu sein – vor allem in den kurdischen Gebieten – ist sehr schwer. Da muss man schon Kompromisse machen. Es gibt viele Hindernisse. Oft unterwerfen sich die Journalisten hier der generellen Ideologie oder sie unterwerfen sich den Vorgaben ihres Mediums. Man muss wissen, dass 60 Prozent aller Medien in der Türkei in der Hand eines einzigen Medienkonzerns sind."

Duran hat auch mehrere Jahre in England, Frankreich und den Niederlanden gearbeitet. Wenn er Informatiker oder Arzt gewesen wäre, sagt er, dann hätte er vielleicht doch mal darüber nachgedacht, die Türkei auf Dauer zu verlassen. Aber als Journalist sei sein Arbeitsplatz nun mal festgelegt.

Hülya Köylü

© DEUTSCHE WELLE 2007

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