"Meine Frauen-WG im Irak"
"Meine Frauen-WG im Irak oder Die Villa am Rande des Wahnsinns" - das klingt nach einem guten Film von Pedro Almodovar und nach viel Spaß für Frauen. Aber die Autorin und Journalistin Susanne Fischer berichtet nicht aus einer Szenestadt wie Madrid, sondern aus dem Nordirak, genauer gesagt aus Kurdistan, aus der Provinzstadt Suleimania – 400 km nördlich von Bagdad.
Seit März 2005 arbeitet die Autorin dort für das "Institute for War and Peace Reporting" (IWPR) und bildet irakische Journalisten aus dem ganzen Land aus. Das IWPR, mit Sitz in London, wurde 1991 gegründet und fördert in einer Vielzahl von post-autoritären Staaten die freie Presse. Heute leitet Susanne Fischer das lokale Büro von IWPR im Irak.
Sie kennt das Land gut und hat nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 neun Monate in Bagdad gelebt. Aus dieser Zeit stammt ihr erstes Buch mit beeindruckenden Reportagen aus einem Land, das immer weiter zerbricht:
"Café Bagdad. Der ungeheure Alltag im neuen Irak", das sie zusammen mit ihrem damaligen Lebensgefährten Christoph Reuter geschrieben hat. Heute kann sie nicht mehr nach Bagdad reisen.
Gründung einer Frauen-WG
Ihr neues Buch über die "Villa am Rande des Wahnsinns" ist teils Reportage, teils Tagebuch über ihre erste Zeit bei IWPR. Sie arbeitet mit vier Kolleginnen aus den USA, Australien, Südkorea und dem Irak zusammen. Nach ein paar mühsamen Wochen in einem unwirtlichen Hotel beschließen die fünf, eine Frauen-WG nach Kreuzberger Art zu gründen.
Später kommen die zwei irakisch-kurdischen Kollegen Mariwan und Ayub hinzu. Und so beginnt eine aufregende Zeit zwischenmenschlicher Turbulenzen in politisch schweren Zeiten, die Susanne Fischer mit viel Ehrlichkeit beschreibt.
Hut ab, denkt man an vielen Stellen, wenn man sich die Lebensläufe der Journalistinnen ansieht, die nun in Suleimania lehren.
Da ist die amerikanische Jüdin Jessica aus New York, die sehr schnell kein Geheimnis mehr aus ihrer Religion machen möchte. Oder die stille Shannon aus Australien, die nicht durchhält und nach ein paar Wochen ohne Gruß abreist.
Die Irakerin Ava schmuggelt ihren zukünftigen Ehemann an ihren WG-Genossinnen vorbei. Und Gina, die aus Südkorea stammt, ist mit einem Journalisten verheiratet, der sich entschieden hat, zur US-Armee zu gehen, und nun - zeitgleich mit ihr – als Soldat in Bagdad dient.
Im Herbst 2005 trifft dann noch Tiare aus Hawaii in der WG ein. Tiare hat zuvor drei Jahre für den Daily Star in Beirut gearbeitet.
Seltenes Genre
Alle diese ausländischen Journalistinnen haben spannende Jobs aufgegeben und sich dem Aufbau einer freien Presse im Irak verschrieben. Sie bilden junge Menschen aus, die viel riskieren, um überhaupt an den Kursen des IWPR teilzunehmen.
Manche verschweigen es ihren Angehörigen. Andere werden bedroht, wenn sie ihren Beruf ausüben wollen. Am 26. März 2006 wird einer von ihnen in Bagdad erschossen. Der IWPR-Trainee Kamal Manahi Anbar war der 68. getötete Journalist im Irak seit Kriegsbeginn.
Bis heute sind im Irak mehr Journalisten ums Leben gekommen als in Vietnam in 20 Jahren Krieg – hauptsächlich Iraker. Susanne Fischer beschreibt, wie sie und ihre Kollegen mit Situationen wie diesen umgehen.
Der Alltag der Ausländerinnen hat zum Teil wenig Irak-spezifisches, sondern spiegelt klassische Erfahrungen aus der islamischen Welt wieder. Die Autorin erlaubt uns einen Blick über ihre private Schulter und hat sich damit für ein Genre entschieden, das selten zur Berichterstattung aus dem Nahen Osten benutzt wird.
Sonja Hegasy
© Qantara.de 2007
"Meine Frauen-WG im Irak oder Die Villa am Rande des Wahnsinns". Von Susanne Fischer. EUR 17,90, 256 S. Piper Verlag
Qantara.de
Medien im Irak
Meinungsfreiheit im Visier
Entführungen, Mordanschläge, Terror: Fast 90 Journalisten wurden bisher im Irak getötet, mehr als in jedem anderen Konflikt. Zwei Drittel der Opfer waren irakischer Herkunft. Übersetzer, Kameramänner und Reporter, die für internationale Sender, Nachrichtenagenturen oder Zeitungen arbeiteten. Einzelheiten von Petra Tabeling
Kirkuk – Stadt des Anstosses im Irak
Schwierige Verständigung zwischen den Volksgruppen
Kurden, Turkmenen und Araber reklamieren seit dem Fall Saddam Husseins die irakische Stadt Kirkuk für sich. Wie die gegensätzlichen Ansprüche aufgelöst werden sollen, ist noch völlig offen. Volker Perthes besuchte das Zentrum für Dialog und soziale Entwicklung in Kirkuk.
www
"Institute for War and Peace Reporting" (engl.)