Aufbruch ins Morgenland
Der Kulturhistoriker Johannes Kalter konnte in den letzten dreißig Jahren für das Stuttgarter Linden-Museum zahlreiche Kunstgegenstände aus der islamischen Welt erwerben und stellte in mehreren Ausstellungen die unterschiedlichen Lebenswelten des orientalischen Kulturraums vor. Abdul-Ahmad Rashid mit einem Porträt des Kunstsammlers.
Professor Dr. Johannes Kalter hat sich jahrzehntelang mit dem Islam und der orientalischen Welt beschäftigt. Auf Umwegen entdeckte er sein Interesse für die fremde Kultur – während einer Studienreise nach Mombasa, wo er verfallende Häuser der muslimischen Kaufleute, Freitagsmoscheen und Bäder sah.
Schlüsselerlebnis Afrika
Fasziniert von diesen Eindrücken kehrte Kalter nach Deutschland zurück. Dort wartete bereits eine Aufgabe auf ihn: Der damalige Direktor des Linden-Museums in Stuttgart, Friedrich Kussmaul, bot ihm an, in dem bis dahin recht chaotisch sortierten Museum eine Orient-Abteilung aufzubauen.
So begann für Johannes Kalter eine intensive Auseinandersetzung mit dem islamischen Orient: Zunächst arbeitete er sich in die vorhandene Fachliteratur ein, dann besuchte er Museen für Völkerkunde und islamische Kunst in Deutschland und im europäischen Ausland und war Gasthörer an der Universität Tübingen.
Ende der siebziger Jahre brach Kalter dann nach Afghanistan auf, um dort Ausstellungsstücke für das Museum zu erwerben. Hiermit legte er den Grundstein für eine einmalige Sammlung afghanischer Kunst im Linden-Museum. Denn auch die Bestände im Nationalmuseum in Kabul sind heute verschollen.
Vor Fälschungen nie sicher
Im Laufe der Jahre bereiste er dann weitere islamische Länder, um den Museumsbestand gezielt zu erweitern. Marokko, Pakistan, Syrien, Palästina und die Türkei standen auf seiner Liste. Und der Kulturhistoriker gibt zu, dass er in dieser Zeit auch einige Male Lehrgeld zahlen musste:
"Also, ein Museumsmensch, der behauptet, er habe im Leben noch nie eine Fälschung gekauft, ist entweder dumm oder lügt. Aber, wer macht keine Fehler in seinem Beruf?"
Den Abtransport der fremden Schätze nach Stuttgart hat Kalter nie bereut. Ein schlechtes Gewissen oder Skrupel hat er nicht, im Gegenteil:
"Kein Mensch käme auf die Idee, dass alle Picassos ins Baskenland oder alle Breughels nach Amsterdam zurückmüssen, weil Picasso Baske und Breughel Niederländer aus Amsterdam war, sondern es ist für jeden klar, die Werke sind über die Welt verteilt, und wichtig ist eigentlich nur, dass man weiß, wo sie sind. Und ich denke, so viel Respekt hat außereuropäische Kunst auch verdient, dass man sagt, wichtig ist, dass sie zugänglich ist, dass sie dokumentiert ist, dass sie aufbewahrt wird."
Innerhalb der Jahre wuchs die Sammlung des Linden-Museums von anfänglich 1.000 auf nunmehr 16.000 Einzelstücke an. Darunter finden sich wertvolle Koranexemplare, mittelalterliche Gedichtbände, aber auch Gebrauchsgegenstände wie Kannen und Vasen sowie wertvoller Schmuck.
Pluralität statt monolithischer Block
Die fremden Schätze werden in einer Dauerausstellung, präsentiert, die ständig aktualisiert wird. Das Konzept sieht vor, alle Aspekte der islamischen Religion darzustellen und sie nicht als monolithischen Block aufzufassen. Auf Sammel- und Dokumentationsreisen wird der Grundstock des Museums erweitert.
Dabei kommt es Johannes Kalter nicht nur darauf an, zu sammeln und auszustellen. Er möchte, dass die Menschen die fremde Welt des Orients nachempfinden. So ist der Höhepunkt der Ausstellung ein nachgestellter Basar, durch den die Besucher hindurchgehen können und sich plötzlich im Suq von Damaskus oder im Basar von Kabul wähnen:
"Man kann die Neugier von Menschen wecken über Objekte, aber die Objekte sind für mich der Aufhänger zum vermitteln, zur Auseinandersetzung mit dem vorgeblich Fremden."
Vermittlung eines positiven Orientbildes
Dazu gehört für den gebürtigen Mannheimer auch, präsent zu sein und die Besucher durch die Ausstellungen zu führen:
"Ich hatte zum Beispiel mal eine Ausstellung 'Der lange Weg der Türken', also türkische Kulturgeschichte von den uns fassbaren Anfängen bis zu den Türken in Kreuzberg, da habe ich teilweise sonntags vier Führungen gemacht, einfach, weil ich gemerkt habe, es ist ein unglaubliches Interesse da, und das für mich Erfreulichste war, das war die erste Ausstellung, bei der ich fast so viele Türken unter den Besuchern hatte wie Deutsche."
Besonders nach dem 11. September 2001 sei die Zahl der Besucher gestiegen, so Kalter. Doch das Motiv der meisten Besucher sei die Angst vor der islamischen Bedrohung.
Darum wird der Experte Kalter auch nach seiner nun erfolgten Pensionierung weiterhin bemüht sein, in Vorträgen und wissenschaftlichen Artikeln dieser Schreckensvorstellung ein positives Orientbild entgegenzusetzen.
Abdul-Ahmad Rashid
© Qantara.de 2004