Lesen aus Lust und Neugier

Arabische Literaturverlage drucken oft nur kleine Auflagen ihrer Bücher, da sich die Leserschaft ohnehin auf wenige Intellektuelle beschränkt. Doch seit kurzem ist die Literaturszene am Nil in Bewegung geraten. Susanne Schanda erklärt warum.

Arabische Literaturverlage drucken bis heute oft kleine Auflagen ihrer Bücher, da sich die Leserschaft ohnehin meist nur auf wenige Intellektuelle beschränkt. Doch seit kurzem ist die Literaturszene am Nil in Bewegung geraten. Susanne Schanda erklärt warum.

Samar Ali und Sahar el-Mougy; Foto: Susanne Schanda
Neu entdeckte Spielräume für junge Schriftstellerinnen am Nil: Samar Ali (links) und Sahar el-Mougy (Mitte) bei einem literarischen Gespräch in Kairo.

​​Am Anfang des neuen Lesebooms in Ägypten steht der Roman "Der Jakubian-Bau" von Alaa al-Aswani. 2002 erschienen, führte er während zweier Jahre die arabischen Bestsellerlisten an.

Zahlreiche Übersetzungen und die aufwendige Verfilmung seines Werkes 2005 - mit Starbesetzung und einem Rekordbudget - katapultierten den Roman schließlich auf den internationalen Markt.

Erst nach diesem Erfolg konnte der Autor ein Buch veröffentlichen, das er bereits 1990 geschrieben hatte, dessen Publikation aber damals von der staatlichen Buchorganisation verboten wurde. Der Kurzroman "Ich wollt', ich würd' Ägypter" ist kürzlich zusammen mit 13 Erzählungen des Autors auf Deutsch erschienen.

Krise der Belletristik

Es sei heute viel einfacher, ein Buch zu publizieren, als noch vor zehn Jahren, erklärt der Autor beim Gespräch in Kairo: "In den 1990er Jahren hatten wir in Ägypten eine Lesekrise, es wurde kaum noch Belletristik gelesen. Die privaten Verlage waren entsprechend zurückhaltend mit dem Publizieren. So versuchte ich es über die staatliche Buchorganisation und scheiterte."

Alaa al-Aswani; Foto: Samir Grees
Nimmt kein Blatt vor den Mund: Al-Aswani kritisiert die sozialen und politischen Zustände im heutigen Ägypten auf subtile Weise.

​​Alaa al-Aswani, der trotz seines literarischen Erfolges immer noch als Zahnarzt arbeitet und jeweils am Freitag in seiner Klinik Interviews gibt, weist auf die kürzlich eröffnete Buchhandlung auf der anderen Straßenseite: "Der Laden läuft gut. Wer hingegen in den 1990er Jahren eine Buchhandlung gründen wollte, hätte das Geld genauso gut in den Nil werfen können. Doch jetzt rentiert sich das Geschäft, das heißt, es gibt wieder Leser. Das gesellschaftliche Klima hat sich positiv verändert."

Beststellerlisten und Schreibseminare

In den letzten Jahren sind zahlreiche neue Buchhandlungen entstanden und zeigen, dass es in Ägypten einen wachsenden Markt gibt. "Al-Kotob Khan" (Der Büchermarkt) steht in elegant geschwungenen arabischen Buchstaben auf der Tür eines Buchladens in Maadi, einem Stadtteil außerhalb des Zentrums von Kairo, wo vorwiegend die gebildete, obere Mittelschicht lebt. Neben dem Eingang steht eine Tafel mit zwei Bestsellerlisten.

Den ersten Platz der arabischen Liste hält der mit dem Arabic Booker Prize ausgezeichnete Roman "Azazeel" des ägyptischen Autors Jussuf Ziedan. Bei den englischsprachigen Bestsellern führt die junge Ägypterin Samar Ali mit ihrem Gedichtband "Tannoura" vor Paulo Coelho, Khaled Hosseini und Barack Obamas "Change We Can Believe In".

Samar Ali ist 27 Jahre alt, verdient ihr Geld wie Alaa al-Aswani als Zahnärztin und schreibt Gedichte auf Englisch und Kurzgeschichten auf Arabisch. "Tannoura" erschien im kürzlich gegründeten Malamih-Verlag, der den Fokus auf junge, innovative Literatur und Comics aus Ägypten setzt und sowohl auf Englisch wie Arabisch publiziert.

"Ich bin in Madrid aufgewachsen und habe mein Studium auf Englisch absolviert, bin also zweisprachig", erklärt die Autorin im Café Boursa in Downtown Cairo. Zusammen mit anderen jungen Schreibenden und der etablierten Autorin und Uni-Professorin Sahar el-Mougy lässt sie hier nach einem Kreativschreibkurs den Tag ausklingen.

Literatur als Feigenblatt

El-Mougy bestätigt den Eindruck, dass die Literaturszene seit einigen Jahren neu aufblüht. Nicht unwesentlich dabei sei die relative Freiheit, die der Staat den Schreibenden lasse. Die Schriftstellerin macht sich allerdings keine Illusionen: "Die Regierung benutzt uns als Feigenblatt, um zu demonstrieren, wie liberal sie ist. Die Freiheit ist dort zu Ende, wo wir anfangen, die Regierung zu kritisieren."

Die Feministin und Schriftstellerin Sahar el-Mougy ist Vorbild für zahlreiche Studentinnen und junge Autorinnen. Sie schreibt gesellschaftlich-politische Kolumnen für die unabhängige Zeitung "Almasry Alyoum" und plädiert in ihrem jüngsten Roman "Noon" (der arabische Buchstabe N) nicht nur für geistige, sondern auch für sexuelle Unabhängigkeit der Frauen.

Taxifahrer als Barometer der Gesellschaft

Der Spielraum für die Literatur ist größer geworden. Und er wird rege genutzt. Auch "Taxi" von Khaled al-Khamissi findet reißenden Absatz und wurde bereits in zahlreiche Sprachen übersetzt. Mit diesem Buch leuchtet der Autor die ägyptische Gesellschaft aus, gespiegelt in Geschichten, die Taxifahrer auf der Straße erleben und zu hören bekommen.

Die junge Autorin Samar Ali Foto: Susanne Schanda
Die junge Ägypterin Samar Ali ist in der lokalen Szene mit ihrem Gedichtband "Tannoura" erfolgreich.

​​"Taxifahrer sind ein Barometer der Gesellschaft. Allein in Kairo sind 250.000 von ihnen unterwegs", sagt der Autor und ergänzt, dass Taxifahren eigentlich gar kein Beruf, sondern eher eine Neben- oder Zwischenbeschäftigung sei:

"Viele Arbeitslose fahren Taxi, bis sie wieder eine richtige Arbeit finden. Es gibt Staatsbeamte, die morgens im Büro arbeiten und nachmittags Taxi fahren. Die Fahrer kommen aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen und sozialen Schichten", so al-Khamissi.

Al-Khamissi unterstreicht, dass sein Buch keine journalistische oder soziologische Arbeit sei, sondern Fiktion: "Es ging mir darum, repräsentative Geschichten über die ägyptische Gesellschaft zu erzählen, wie sie täglich Hunderte Male passieren."

Eine der Geschichten handelt von einer jungen Frau, die in einem ärmlichen Quartier verschleiert ins Taxi steigt und sich während der Fahrt umzieht. An ihrem Ziel, einem Viersternehotel, wo sie als Kellnerin arbeitet, verlässt sie das Taxi verwandelt – geschminkt und im Minirock. Diese Taxi-Geschichten kommen einfach und geradlinig daher und wirken berührend und authentisch.

Blogger im literarischen Diskurs

Lange Zeit galt Lesen in Ägypten als eine Beschäftigung für Intellektuelle, Universitätsprofessoren und Literaturkritiker. Lesen aus Lust und Neugier war wenig verbreitet. Jetzt erreicht die Literatur Bevölkerungskreise außerhalb der traditionellen Elite.

Für den Schriftsteller und Verleger Mekkawi Said haben das Internet und die Blogger-Szene entscheidenden Einfluss auf die schnelle Verbreitung von Literatur. Sein Roman "Cairo Swan Song", der jetzt auf Englisch übersetzt wird, hat bei seinem Erscheinen 2007 bei der Literaturkritik wenig Echo ausgelöst.

"Dann haben zahlreiche Blogger das Buch besprochen und weiterempfohlen. Diese intensive Promotion im Internet führte schließlich dazu, dass das Buch letztes Jahr auf die Shortlist des Arabic Booker Prize kam. Erst danach haben die Kritiker in den Zeitungen darüber geschrieben", erzählt Said.

Sein Roman hat sich bereits 50.000 Mal verkauft. Das ist viel im Vergleich zu den üblichen 3.000 bis 5.000 Exemplaren, die von einem arabischen Buch gedruckt werden.

Zugang zu Information und Wissen

Die neue Lesekultur kann aber nicht nur auf die aktive Blogger-Szene in der arabischen Welt zurückgeführt werden. Said verweist auf die Einflüsse Saudi-Arabiens und der Golfstaaten, denen die Gesellschaft in den letzten Dekaden ausgesetzt war.

Karam Youssef; Foto: Susanne Schanda
Die Buchhändlerin Karam Youssef hat nun erstmals als Verlegerin ein Buch publiziert.

​​"Einerseits brachten die vom Golf zurückkehrenden ägyptischen Arbeitskräfte die konservative wahhabitische Interpretation des Islam mit, die nicht zu unserer toleranten Gesellschaft passt.

Durch den ökonomischen Boom in den Golfstaaten wurde aber gleichzeitig den Kindern und Jugendlichen eine gute Ausbildung geboten, die sie nun hier anwenden, indem sie Bücher lesen", sagt der 54jährige und fügt hinzu, dass die junge Generation besseren Zugang zu Information und Wissen habe und daher offener sei als die seinige, die unter der nasseristischen linken Ideologie und Engstirnigkeit gelitten habe.

Literatur als begehrtes Gut

Mekkawi Said setzt voll auf die Literatur. Vor drei Jahren hat er seinen Brotjob als Rechnungsprüfer gekündigt und den Verlag "Al-Dar" gegründet. Das Geschäft laufe gut. Mit bisher 230 Titeln sei er der fünftgrößte Verlag Ägyptens.

Auch die Buchhändlerin des Ladens "Al-Kotob Khan" in Maadi, Karam Youssef, hat bereits ein erstes Buch mit Texten eines Literaturworkshops herausgegeben, die unter der Leitung des Schriftstellers Yasser Abdellatif im Café der Buchhandlung geschrieben wurden.

Die vor drei Jahren eröffnete Buchhandlung ist zugleich Verlag und Kulturzentrum. Die Lage außerhalb des Stadtzentrums sei dabei kein Problem, sagt Karam Youssef: "Leseratten jagen den Büchern überallhin nach."

Darauf möchte sich die etablierte Buchhandlung "Diwan" nicht verlassen. Nach dem gut besuchten Hauptgeschäft im Viertel Zamalek hat sie Filialen in vier weiteren Stadtteilen Kairos eröffnet. So kommt sie ihren Leserinnen und Lesern entgegen.

Susanne Schanda

© Qantara.de 2009

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