Liebeserklärung an die Freiheit
Nadia Wassef hat schon viel gesehen. Geboren wurde sie 1974 in der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Sie war sieben Jahre alt, als der damalige Präsident Anwar Sadat im Oktober 1981 ermordet wurde und dessen Vize Husni Mubarak zu Ägyptens neuem Staatspräsidenten wurde. 2011, sie war gerade 37 Jahre alt, wurde sie Zeugin des Arabischen Frühlings und der Absetzung Mubaraks - nach drei Jahrzehnten Diktatur.
Bereits zehn Jahre vor dem Arabischen Frühling beschlossen Nadia Wassef und ihre Schwester, einen Buchladen zu eröffnen. Ein mutiges Unterfangen - denn in Ägypten waren Frauen als Unternehmerinnen nicht gern gesehen.
Wie sie, ihre Schwester und eine gemeinsame Freundin gegen alle Widerstände ihren Buchladen zu einer erfolgreichen Ladenkette gemacht haben, schildert Wassef in ihrem neuen Buch "Jeden Tag blättert das Schicksal eine Seite um". Gerade ist es erschienen.
Die Idee zum Buchladen
Der erste Gedanke an einen eigenen Buchladen kam Nadia Wassef nach dem Tod ihres Vaters - einer Zeit, in der es ihr nicht gut ging, wie sie im Gespräch erzählt.
Bei einem Abendessen mit Freunden sei sie gefragt worden, was sie denn am liebsten jetzt in Angriff nehmen würde.
Da antworteten sie und ihre Schwester unisono: Sie würden einen Buchladen aufmachen. "Ich erinnere mich noch genau, wie wir da saßen und davon träumten. Meine Schwester Hind sagte, dass es kein normales Buchgeschäft werden sollte, sondern dass jedes Regal einen eigenen Inhalt haben, und dass jedes Buch einen besonderen Beitrag leisten sollte."
In ihrem Buch erzählt Wassef, dass der Name "Diwan" ein Vorschlag ihrer Mutter Faiza war. Das Wort, hatte Faiza gesagt, bedeute Gedichtsammlung in persischer und arabischer Sprache, stehe aber auch für einen Ort, an dem Menschen zusammenkommen - und für eine elegante Couch.
Außerdem beschreibe das Wort "Diwani" die arabische Kalligrafie, hatte Faiza ihren Töchtern erklärt. Und das Wort sei in vielen Sprachen gut auszusprechen - etwa im Englischen, im Arabischen, im Französischen. Und so wurde der "Diwan Bookstore" geboren.
2002 eröffneten die jungen Unternehmerinnen den ersten unabhängigen Buchladen in Ägypten. Und der war sofort erfolgreich. So erfolgreich, dass inzwischen eine ganze Buchladenkette entstanden ist, an zehn Orten mit 150 Beschäftigten.
Ägypten in den 2000ern: eine wechselvolle Geschichte
Wassefs Buch ist Zeitzeugnis zweier wechselhafter Jahrzehnte in Ägypten. Die "Diwan Bookstores" entstanden während einer Diktatur, sie erlebten eine Revolution und eine Finanzkrise. Die darauffolgende Demokratie der streng islamischen Muslimbruderschaft währte nicht lange, und schon gab es eine Gegenrevolution durch das Militär. 2014 kam Präsident Sisi an die Macht, und wieder veränderte sich das Land.
Seit 2015 lebt Nadia Wassef in London. Sie wollte mehr Stabilität für ihre Kinder. Mit Kairo aber, der Stadt, in der sie groß geworden ist, bleibt sie eng verbunden. Das Buch habe sie geschrieben, sagt sie, um ihre eigene Beziehung zu Kairo und zu ihrer Buchhandlung, die sie von London aus weiter betreibt, besser zu verstehen.
Mit ihrem "Diwan Bookstore" wollte Wassef auch gegen Klischees angehen, insbesondere gegen die Vorstellung, dass es Frauen in Ägypten nicht leicht hätten, Geschäfte zu machen. Warum sollte es ihr als Geschäftsfrau anders gehen als Geschäftsmännern, hatte sie sich von Anfang an gesagt und beschlossen, sich nicht von Konventionen beirren zu lassen. "Und ich glaube, wenn man mit dieser Einstellung arbeitet, macht man weiter", sagte sie.
Kritische Momente
Natürlich gab es kritische Momente in der Geschichte der "Diwan Bookstores". Als 2011 der Arabische Frühling ausbrach, waren viele Dinge ungewiss. Einerseits war der Umbruch für die Wirtschaft von großem Nachteil. "Wenn man sich mitten in einer Revolution befindet und nicht weiß, ob die Leute zu Hause bleiben oder ausgehen, oder ob die Lieferanten überhaupt kommen, das ist unangenehm", erinnert sie sich. Andererseits leben Buchläden wie "Diwan" mit ihren ausgewählten Angeboten und einem angrenzenden Café gerade in turbulenten Zeiten von Diskussionen und Ideen - und auch von Freiheiten.
Wassef möchte mit ihrem Bookstore inspirieren, den Horizont erweitern: "Das Problem der Menschen ist, dass wir in Gegensätzen denken, weil das einfach ist. Leider sind einfache Antworten zwar schön, aber sie bringen einem nicht viel."
Das ist einer der Gründe, warum die "Diwan Bookstores" nicht nur arabische, sondern auch englische, französische und deutsche Bücher verkaufen. Dies soll eher einen Dialog zwischen den Kulturen als einen "Kampf der Kulturen" signalisieren.
Das Buch "Jeden Tag blättert das Schicksal eine Seite um" schildert die wechselvolle Geschichte eines Landes, eines Buchladens und nicht zuletzt einer Frau, die sich mit Mut, Mühe, Erfolgen und Rückschlägen einen Platz als einer der 200 einflussreichsten Frauen des Nahen Ostens erkämpft hat. Eine Liebeserklärung an Buchläden, Literatur und die Freiheit.
Manasi Gopalakrishnan
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