Inkonsequente Politik gegenüber Islamisten

Nach dem 11. September 2001 schloss sich Pakistans Präsident Musharraf dem "Krieg gegen den Terror" an. Im Ausland wurde allerdings immer wieder bezweifelt, dass Pakistan es damit ernst meine. Thomas Bärthlein berichtet.

Nach dem 11. September 2001 schloss sich Pakistans Präsident Musharraf dem "Krieg gegen den Terror" an. Im Ausland wurde allerdings immer wieder bezweifelt, dass Pakistan es damit ernst meine. Wie glaubwürdig ist Musharrafs Kehrtwende - fünf Jahre danach? Thomas Bärthlein berichtet.

Pakistans Präsident Musharraf und US-Präsident Bush nach dem 11. September 2001; Foto: AP
Pakistans Präsident Pervez Musharraf und US-Präsident George W. Bush auf einer Pressekonferenz nach dem 11. September 2001

​​Pakistan ist nach den Verhaftungen mutmaßlicher Flugzeug-Attentäter in Großbritannien international erneut ins Zwielicht geraten. Offenbar kam der entscheidende Hinweis zwar von den pakistanischen Sicherheitskräften, aber genauso wurde registriert, dass die meisten Terroristen pakistanischer Herkunft waren und es Verbindungen nach Pakistan gab.

Innenminister Aftab Khan Sherpao bekräftigte daher noch einmal, dass sich seine Regierung nach der Grundsatzentscheidung von Präsident Pervez Musharraf richte, nach der pakistanischer Boden nicht vom Terrorismus missbraucht werden dürfe. "Unsere Entscheidung ist aus Überzeugung, nicht aus Zwang erfolgt", so Sherpao.

Doch wie konsequent wird diese Grundsatzentscheidung in der Praxis umgesetzt? Für den Politik-Wissenschaftler Boris Wilke, langjähriger Pakistan-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, gibt es keine einfache Antwort.

Kleiner militanter Flügel

Im islamistischen politischen Spektrum Pakistans machen die gewaltbereiten Gruppen nur einen kleinen Teil aus. Und auch unter den Militanten gebe es verschiedene Flügel.

Einige wenige dieser militanten Gruppen hätten Präsident Musharraf und dem Militär den Krieg erklärt. Und diese würden, so Wilke, "immer wieder als 'Al-Qaida Pakistan' bezeichnet. Aus diesen Kreisen scheinen auch einige der Attentäter zu kommen, die Attentate gegen westliche Stellen in Pakistan verübt und möglicherweise auch Verbindungen zu den Attentätern nach London haben."

Und im Hinblick auf diese Kreise unterstreicht die pakistanische Regierung laut Wilke mit Recht ihre Erfolge im Kampf gegen den Terrorismus: Sowohl in den Stammesgebieten an der Grenze zu Afghanistan, wo es große Militäroperation gebe, aber auch bei der polizeilichen und nachrichtendienstlichen Anti-Terror-Bekämpfung.

Das Problem bestehe allerdings darin, dass der Regierungskampf gegen den Terror nur einen Teil der gewaltbereiten Szene trifft, schränkt der Politikwissenschaftler ein:

"Der größere Teil dieser militanten Gruppierungen wird nicht konsequent verfolgt, weil man sie für weitere außenpolitische Bestrebungen möglicherweise noch benötigt. Und sei es als Drohpotential in einer Region, in der Pakistan eingeklemmt ist zwischen einem aufstrebenden Indien und einem Afghanistan, das sich auch unter der Regierung Karzai nicht Pakistan-freundlich zeigt."

Keine Provokation der Islamisten

Daneben gibt es aber auch einen innenpolitischen Faktor. Der Militär-Regierung fällt es schwer, aktiv gegen die ideologischen Grundlagen der militanten Islamisten vorzugehen - zum Beispiel die radikalen Madrassas (= Koranschulen) zu schließen. Das könnte eine Provokation der Islamisten bedeuten, was die Regierung aus taktischen Gründen vermeidet.

Im Westen werde die Gefahr einer Machtübernahme der Islamisten in Pakistan jedoch oft überschätzt, glaubt Boris Wilke. Seiner Meinung nach sind die Islamisten – auch die, die offen zum Sturz Musharrafs aufrufen – im Machtspiel innerhalb Pakistans nur ein Faktor, der ausbalanciert werden müsse. "Und das erklärt auch ein bisschen, dass man eine inkonsequente Politik gegenüber diesen Gruppen betreibt."

Denn das militärische Establishment, das in Pakistan regiert, sieht die traditionellen bürgerlichen Oppositionsparteien, insbesondere Benazir Bhuttos Pakistan People's Party PPP, als die weitaus größere Bedrohung für seine Vormacht-Stellung. Und um die Opposition gegeneinander auszuspielen und an der Macht zu bleiben, gehen die Militärs immer wieder mehr oder weniger offen auch Bündnisse mit den Islamisten ein:

"Diese Allianz zwischen 'Militär und Mullah'", erklärt Wilke, "das ist eine Zweck-Ehe. Das ist nicht naturgegeben. Die Milieus des Militärs und der Religiösen sind denkbar verschieden."

Jeder der beiden Gruppen sei darauf bedacht, seine Privilegien zu behalten und zu verhindern, dass eine Zivilgesellschaft entstehe, die die Voraussetzung ist für eine politische Öffentlichkeit und die Kontrolle des Parlaments. Daran hätten sicherlich beide Kräfte kein Interesse.

Thomas Bärthlein

© DEUTSCHE WELLE 2006

Qantara.de

Wandel in Pakistans Wirtschaftsmetropole
Flucht unter den Schleier
In Karatschi verhüllen sich immer mehr Frauen aus der Oberschicht. Sie folgen einer islamischen Predigerin, die einen rückwärts gewandten Islam vertritt. Ihre Stiftung Al-Huda ist auch in Großbritannien und den USA vertreten. Von Manuela Kessler

Interview
"Es gibt eine große Bandbreite unter den Islamisten"
Präsident Pervez Musharraf ist eine schillernde Persönlichkeit. Seine Widersprüchlichkeit passt zur Geschichte Pakistans – einem Staat, dessen Nation durch Religionszugehörigkeit definiert wurde und in dem die Armee von Anfang an eine zentrale Quelle demokratisch unlegitimierter Macht war. Ayesha Jalal erläutert diese Zusammenhänge im Interview mit Hans Dembowski.