Arabische Zivilgesellschaft auf dem Prüfstand
Mit Jordanien und Libanon hat Ines Braune zwei Länder für ihre Studie über Journalistenverbände gewählt, die in den 90er Jahren von Demokratiebewegungen erfasst wurden. Ihr Buch zeichnet ein detailliertes Bild der Presselandschaft der beiden Länder. Eine Rezension von Jürgen Endres
Die für geraume Zeit lebhaft und kontrovers geführte Diskussion über das Demokratie fördernde Potential so genannter Zivilgesellschaften, die Frage der Übertragbarkeit des Konzepts der Zivilgesellschaft auf andere "Kulturen" und die Frage nach den die Zivilgesellschaft konstituierenden Institutionen haben zweifellos ihre ursprüngliche "wissenschaftliche" Aktualität und Intensität eingebüßt.
Im Gegensatz dazu kommt der Zivilgesellschaft in der entwicklungspolitischen Praxis jedoch nach wie vor eine bedeutende Rolle zu. Und so führt der entwicklungspolitische Grundsatz der Stärkung der als "Demokratisierungsträger" wahrgenommenen Zivilgesellschaft etwa dazu, dass zivilgesellschaftliche Organisationen einen prominenten Platz in der Liste der zu fördernden Institutionen einnehmen.
Eher empirische Untersuchung als theoretischer Beitrag
Vor diesem Hintergrund ist auch die von Ines Braune verfasste, 115 Seiten starke Studie zu den Journalistenverbänden in Jordanien und Libanon als ein überaus lesenswerter, weil exemplarischer Diskussionsbeitrag einzustufen; seine Stärken sind jedoch weniger in der theoretischen und konzeptionellen Auseinandersetzung mit der Zivilgesellschaft zu sehen als in einer von den Konzepten der Zivilgesellschaft distanziert geleiteten, nüchternen empirischen Untersuchung der als Fallbeispiele gewählten Organisationen.
Interessant ist die von Ines Braune vorgelegte Studie dabei vor allem aus zweierlei Gründen: Zum einen, weil die Autorin mit dem Königreich Jordanien und dem Libanon zwei Staaten ausgewählt hat, denen gemeinhin mit Beginn der 90er Jahre (Ta'if-Abkommen im Libanon 1990 und Nationalcharta in Jordanien 1991) Anfänge (Jordanien) oder die Wiederaufnahme (Libanon) demokratischer Transformationsprozesse zugeschrieben werden.
Zum andern, weil die Autorin mit den von ihr untersuchten Journalistenverbänden Organisationen in den Mittelpunkt der Diskussion rückt, denen aufgrund der allgemeinen gesellschaftlichen und politischen Bedeutung von Medien meist auch eine zentrale Rolle als zivilgesellschaftliche Organisation im Demokratisierungsprozess beigemessen wird.
Zentrale Fragen der zivilgesellschaftlichen Diskussion
Ausgehend von der Fragestellung "Welche Rolle spielen die Journalistenverbände in Jordanien und im Libanon im Kontext der Zivilgesellschaft?" beschäftigt sich die Autorin exemplarisch mit zwei, für die zivilgesellschaftliche Diskussion überaus zentralen Fragen:
erstens, ob und in welchem Maße die von ihr ausgewählten Organisationen der so genannten Zivilgesellschaft zuzuordnen sind und zweitens, inwieweit der jordanische und libanesische Journalistenverband seine ihm als zivilgesellschaftliche Organisation zugedachten Funktionen erfüllen kann.
Als Datengrundlage dienen der Autorin dabei die Auswertung von Primär- und Sekundärquellen in deutscher, englischer und arabischer Sprache sowie zahlreiche im Rahmen eines Feldforschungsaufenthaltes in Jordanien und Libanon geführte halbstandardisierte Interviews mit Experten sowie standardisierte Interviews mit Mitgliedern und offiziellen Vertretern der untersuchten Journalistenverbände.
Gliederung der Studie
Die Studie selbst ist wie folgt aufgebaut: Nach einer kurzen Einführung in das Themenfeld und einer recht skizzenhaft geratenen Zusammenfassung der wissenschaftlichen Diskussion zur Zivilgesellschaft - angesichts der Fallbeispiele wäre hier eine vertiefte Darstellung insbesondere der "arabischen" Diskussion durchaus wünschenswert gewesen - folgt der eigentliche Hauptteil der Arbeit.
Dieser umfasst neben einem gesellschaftspolitischen Überblick und einer Bestandsaufnahme der Zivilgesellschaften in den beiden ausgewählten Staaten einen Überblick über die Geschichte der jordanischen und libanesischen Presse und die aktuelle Presselandschaft sowie die ausführliche Analyse des jordanischen und libanesischen Journalistenverbandes.
Im Zentrum stehen dabei insbesondere deren Geschichte, interne Strukturen und Finanzen, ihr Mitgliederprofil sowie die von den Journalistenverbänden postulierten Ziele und realen Verbandsaktivitäten. Deutlich herausgearbeitet werden dabei die Potentiale und teilweise eng gezogenen Grenzen der jeweiligen Zivilgesellschaften sowie – insbesondere am jordanischen Beispiel – der Prozess der Instrumentalisierung zivilgesellschaftlicher Organisationen durch das Regime und die Entstehung einer "royalen Zivilgesellschaft" zur Abschöpfung externer Ressourcen.
Undemokratische Verbände?
Mehr als deutlich wird darüber hinaus im Verlauf der Lektüre, dass – folgt man grundlegenden Definitionskriterien für zivilgesellschaftliche Organisationen – sowohl eine Einordnung des jordanischen als auch des libanesischen Journalistenverbandes als zivilgesellschaftliche Organisation äußerst zweifelhaft ist, da sich beide Verbände u.a. durch erhebliche interne Demokratiedefizite, faktische Zwangsmitgliedschaften und im Falle des jordanischen Journalistenverbandes stark ausgeprägte finanzielle Abhängigkeit von der jordanischen Regierung auszeichnen.
Warum die Autorin dessen ungeachtet beide Verbände der Zivilgesellschaft zuordnet, bleibt fraglich, zumal auch die herausgearbeiteten Betätigungsfelder und das Ausmaß des zivilgesellschaftlichen Engagements der beiden Verbände in nur sehr geringem Maße mit den "zivilgesellschaftlichen Anforderungen" korrespondieren.
Nichtsdestotrotz: Man muss nicht allen methodischen Entscheidungen, Einschätzungen und Setzungen der Autorin folgen, um den exemplarischen Beitrag der Studie zur Diskussion über Zivilgesellschaften anzuerkennen.
Denn als eines der wichtigsten Ergebnisse der Studie bleibt zweifelsohne festzuhalten - und dies ist insbesondere für die entwicklungspolitische Praxis wichtig - , dass nicht alles, was auf den ersten Blick als zivilgesellschaftlich und somit Demokratie fördernd wahrgenommen wird, zivilgesellschaftlich und im Falle der Journalistenverbände in Jordanien und im Libanon Demokratie fordernd und fördernd ist.
Darüber hinaus sei das Buch zudem all denjenigen empfohlen, die weniger an der zivilgesellschaftlichen Bedeutung der analysierten Journalistenverbände als an einer mit spannenden Exkursen angereicherten Analyse der Presselandschaft in den beiden Staaten Interesse haben.
Jürgen Endres
© Qantara.de 2005
Braune, Ines 2005: Die Journalistenverbände in Jordanien und im Libanon – ein Teil der Zivilgesellschaft?, Hamburger Beiträge: Medien und politische Kommunikation – Naher Osten und islamische Welt, Bd. 10, Hamburg
Dr. Jürgen Endres ist Islam- und Politikwissenschaftler
Qantara.de
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