"Für die Araber ist der Holocaust ein Tabuthema"

In arabischen Ländern wird nach wie vor die Existenz des Holocaust häufig in Frage gestellt. Umso bemerkenswerter, dass ein Palästinenser in Nazareth ein Holocaust-Museum führt.

Von Igal Avidan

​​Die Bilder sind in zahlreichen Ländern der Welt bekannt, in Israel eigentlich ohnehin - aber in der arabisch geprägten Stadt Nazareth im Norden Israels hat sie noch längst nicht jeder gesehen: Ein jüdischer Junge im Warschauer Ghetto hebt vor deutschen Uniformierten die Hände.

Ausgemergelte KZ-Häftlinge blicken teilnahmslos in die Kamera. Brennende Synagogen - neu und ungewöhnlich sind die Texthinweise auf Arabisch, denn in Nazareth steht das erste arabische Holocaust-Museum.

Dessen Initiator und Betreiber ist der Palästinenser Khaled Kasab Mahameed. Für ihn geht es bei der Ausstellung vor allem darum, Verständnis zu wecken. Denn wenn er nicht verstehe, was ein Überlebender des Holocaust erlebt hat, könne er auch nicht begreifen, "warum er mein Land konfisziert und mich als Bürger benachteiligt", sagt Mahameed.

Araber wollen Holocaust nicht anerkennen

Es ist vor allem der Palästina-Konflikt, der dazu geführt hat, dass die Ermordung von sechs Millionen europäischen Juden in der Nazi-Zeit in arabischen Ländern oft anders gesehen wird als in westlichen Ländern. Nicht wenige Araber sind der Ansicht, dass eine Anerkennung des Massenmords an den Juden den Staat Israel stärken und dessen Besatzungspolitik legitimieren würde.

Mahameed sieht einen direkten Zusammenhang zwischen dem Holocaust, der Gründung des Staates Israel und der Vertreibung vieler Palästinenser - einschließlich seiner eigenen Familie. Dass der Zionismus lange vor Adolf Hitler entstand und die Araber die Teilung Palästinas in zwei Staaten damals generell ablehnten akzeptiert er nicht.

Holocaust kein Thema in der Schule

Als Mahameed neun Jahre alt war, hörte er, wie sein Vater die Vertreibung der palästinensischen Familie aus dem Dorf Ladjun in Galiläa 1948 beklagte. "Warum haben sie uns das angetan", sagte der Vater damals. "Wir sind doch keine Nazis."

So begriff der Junge, dass die Nationalsozialisten das ultimative Böse repräsentieren. In der arabischen Schule hingegen wurde der Holocaust kaum erwähnt, obwohl das Curriculum vom israelischen Bildungsministerium vorgegeben wurde.

Dieses Defizit versteht Mahameed nicht: "Durch Holocaust-Erziehung könnte für die israelischen Juden doch der Frieden näher rücken." Denn ein tieferes Verständnis der Palästinenser für die vergangenen Leiden von Juden, könnte die Konfliktsituation im Nahen Osten entschärfen, glaubt Mahameed.

Kaum ein Araber besucht das Museum freiwillig

2005 begann Mahameed, inzwischen Rechtsanwalt, die Araber über den Holocaust aufzuklären. Er gründete einen Verein, kaufte vier Dutzend Plakate in der Buchhandlung der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, verfasste eine 20-seitige Broschüre dazu auf Arabisch und Hebräisch und eröffnete in seinem Rechtsanwaltsbüro in Nazareth das Holocaust Museum.

Mahameeds Mandanten müssen sich die Bilder anschauen und seine Erläuterungen anhören. Erst danach werden sie juristisch beraten. Aber kaum ein Palästinenser oder Araber besucht das Museum freiwillig.

Für die Araber sei der Holocaust ein Tabuthema. "Ein Bekannter hat mich regelrecht beschimpft. Und in einer Lokalzeitung nannten sie mich 'päpstlicher als der Papst'", schildert Mahameed. Manche beschuldigten ihn sogar, ein Kollaborateur der Zionisten zu sein.

Um diesem Ruf entgegen zu treten, platzierte er in einer Ecke der Ausstellung vorsichtshalber eine große palästinensische Fahne.

Kein Zusammenhang zwischen Holocaust und Gründung Israels

Journalisten aus aller Welt pilgern zu dem einzigartigen kleinen Museum. Die Reporter der größten arabischen Zeitung in Israel, "Kul al-Arab", waren nicht darunter - obwohl sich die Redaktion nur einen Kilometer entfernt befindet.

Chefredakteur Zoher Andrawous sieht keinen direkten Zusammenhang zwischen dem Holocaust und der Gründung des Staates Israels. Man müsse zwar über den Holocaust informiert sein, sagt Andrawous. "Aber solange sich das jüdische Volk für das ultimative Opfer hält, werden wir weder Frieden noch Gleichberechtigung erleben."

Unterstützung erhielt Mahameed bisher lediglich von der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung, die 2005 sein dreitägiges Seminar für Palästinenser zum Thema Holocaust förderte. Nach einem Jahr ist er stolz darauf, dass - so meint er zumindest selbst - seine ehrenamtliche Arbeit erste Risse in der Mauer des arabischen Schweigens hinterlassen und den Frieden zwischen Israelis und Palästinensern einen Schritt näher gebracht habe.

Er hofft, dass sein Holocaust-Museum irgendwann mehr Akzeptanz bei der arabischen Bevölkerung in Nazareth und darüber hinaus finden wird.

Igal Avidan

© DW-World.de 2006

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