(Anti-)Rassismus: "Rassismus gedeiht da, wo er geleugnet wird"

Aus Politik und Zeitgeschichte“ (APuZ 42-44/2020): (Anti-)Rassismus
Artikel 3 des Grundgesetzes legt fest, dass kein Mensch aufgrund "seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauungen" und "seiner Behinderung" benachteiligt werden darf. Rassistische Übergriffe, Anschläge und Morde sowie Berichte über rechtsextreme Netzwerke auch in Polizeibehörden offenbaren jedoch die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit dieses Verfassungsgrundsatzes.
Rassismus als "Märchen über angeborene Eigenschaften" (Alice Hasters) und vermeintliche Legitimation von Ungleichheitsstrukturen kennt vielfältige Betroffene und passt sich an wandelnde gesellschaftliche Kontexte an. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie tritt er mitunter besonders deutlich hervor. Das hiesige Echo auf die antirassistischen Proteste in den USA zeigt zudem, dass globale und lokale Phänomene sich durchaus wechselseitig beeinflussen können. Die Bewegung Black Lives Matter knüpft dabei auch in Deutschland an eine lange Geschichte antirassistischer Reaktionen an.
Während unter Demokrat:innen Einigkeit darüber besteht, dass Rassismus eine Gefahr ist und bekämpft werden muss, wird regelmäßig kontrovers diskutiert, wie rassistischen Zuschreibungen und Handlungsmustern begegnet werden kann. Was würde eine Streichung, Umformulierung oder unveränderte Beibehaltung des Begriffs "Rasse" im Grundgesetz für den Schutz vor rassistischer Diskriminierung bedeuten? Wie lässt sich Rassismus in einer postmigrantischen Gesellschaft konzeptuell fassen? Und wie lässt sich vermeiden, dass sich beim demokratischen Streit über die beste Strategie die Fronten so sehr verhärten, dass dazwischen bisweilen Sprachlosigkeit herrscht?
Alice Hasters: Mückenstiche mit System. Zum Umgang mit Alltagsrassismus
In einer Welt, in der Ungleichheit besteht, ist auch Rassismus ungleich gewichtet. Die Unterschiede im Alltag zwischen weißen Menschen und Menschen, die von Rassismus betroffen sind, werden selten von Weißen bemerkt. Doch auch kleine Momente können große Effekte haben.
Christoph Giesa: Warum und wie ich auch als Weißer über Rassismus rede
In den Debatten um Rassismus scheinen die Fronten verhärtet: Auf der einen Seite stehen Betroffene, auf der anderen Seite die, die nicht begreifen können oder wollen, dass die Gesellschaft ein Rassismusproblem hat. Was ist mit jenen, die auf keiner der beiden Seiten stehen?
Naika Foroutan: Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft
Rassismus ist ein gesellschaftliches Ordnungsphänomen, das sich an den jeweiligen Kontext anpassen kann. In der postmigrantischen Gesellschaft dreht er sich nur an der Oberfläche um Migration. Vielmehr geht es um Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe.
Cengiz Barskanmaz, Maureen Maisha Auma: Zum Rassebegriff im Grundgesetz: Zwei Perspektiven
Die Debatte über die ersatzlose Streichung, Umformulierung oder unveränderte Beibehaltung des Rassebegriffs im Grundgesetz wird seit etwa einem Jahrzehnt und in Teilen sehr kontrovers geführt. Was bedeuten die unterschiedlichen Optionen für den Antidiskriminierungsschutz?
Daniela Hunold, Maren Wegner: Rassismus und Polizei: Zum Stand der Forschung
Die Forschung zu diskriminierenden Einstellungsmustern und Handlungspraktiken von Polizist*innen weist große Lücken auf. Berichte über Rassismus und Rechtsextremismus innerhalb der Polizei verdeutlichen die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen Informationsbasis.
Tiffany N. Florvil: Zur Beständigkeit der Graswurzel. Transnationale Perspektiven auf Schwarzen Antirassismus im Deutschland des 20. Jahrhunderts
Das wortgewaltige Echo auf den Schwarzen Freiheitskampf in den USA zeigt die starke Wechselwirkung zwischen lokalen und globalen Phänomenen. Bewegungen wie Black Lives Matter können dabei an eine Geschichte des antirassistischen Aktivismus anknüpfen.
Kimiko Suda, Sabrina J. Mayer, Christoph Nguyen: Antiasiatischer Rassismus in Deutschland
Asiatisch gelesene Menschen werden in Deutschland positiver wahrgenommen als andere (post)migrantische Gruppen. Die Zunahme antiasiatischer Narrative und Übergriffe während der Corona-Pandemie zeigt aber, wie unsicher dieser Zustand ist.
© Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ) 2020
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