Wo stecken Libyens Milliarden?

42 Jahre lang beuteten Muammar al Gaddafi und seine Söhne Libyen skrupellos aus. Die Gelder jetzt zurückzubekommen, wird sich schwierig gestalten. Denn die Familie Gaddafi hat ihr Geld auf Konten in aller Welt verteilt. Von Youcef Boufidjeline und Nader Alsarras

Libyens Staatschef Gaddafi; Foto: AP
Über Gaddafis vermutlich milliardenschweres Vermögen liegen keine genauen Zahlen vor. Die Familie Gaddafi unterscheidet nicht zwischen Privatvermögen und Staatshaushalt.

​​Über die Geldsummen, die Muammar al Gaddafi und seine Familie besitzen, wird zurzeit viel spekuliert. Niemand weiß wirklich, wie viel Geld Gaddafi während seiner 42 Jahre andauernden Herrschaft über eines der reichsten Öl-Länder gehortet oder ins Ausland gebracht hat.

Die britische Tageszeitung Guardian stellte jetzt fest, dass eine "Milliarden-Lücke" in den Bilanzen Libyens klafft, wenn man die Ausgaben des Staates mit seinen Einnahmen aus dem Erdöl- und Gasgeschäft vergleicht. Die britische Zeitung ist sich sicher, dass die Petrodollars, die nicht vom Staat wieder ausgegeben wurden, direkt in Gaddafis eigene Tasche gewandert sind.

Verstecktes Geld in aller Welt

Dennoch ist es schwierig, die Summe dieses Vermögens zu schätzen. Aus einer nicht näher genannten Quelle hat die britische Zeitung die Information, dass die Gaddafi-Familie Milliarden von Dollar auf Geheimkonten in Dubai, vermutlich aber auch in anderen Golfstaaten und in Südostasien besitzt.

Die Financial Times wiederum will durch die von WikiLeaks veröffentlichten US-Botschaftsdepeschen erfahren haben, dass Gaddafi ein riesiges "Geldimperium" aufgebaut hat, um das sich nun seine Söhne streiten.

Stadtansicht von Dubai; Foto: AP
Auch in Dubai soll Gaddafi sein Geld geparkt haben. "Gaddafi kontrolliert die Reichtümer des Landes und entscheidet darüber, welche Summen wo ausgegeben werden", sagt der Politikwissenschaftler Albseikri.

​​Der Grund für die ungenauen Zahlen über Gaddafis Vermögen liegt hauptsächlich darin, dass in Libyen die öffentlichen Staatsfinanzen von dem privaten Vermögen der Gaddafis nicht getrennt werden.

Gaddafi und seine Familie gehen mit dem Geld des Staates so um als wäre es ihr Eigentum, sagt der Autor und Politikwissenschaftler Assanoussi Albseikri: "Die hohen Staatsbeamten werden direkt von Gaddafi selbst ernannt. So wie Farhat Kaddara zum Beispiel, der Chef der libyschen Zentralbank, der ihm absolut loyal ist."

Die Staatsbeamten, so Albseikri weiter, würden von Gaddafi unmittelbar kontrolliert und dürften nicht hinterfragen, was er mit den Staatsgeldern macht. "Sie sind im Grunde seine Komplizen. Er kontrolliert die Reichtümer des Landes und entscheidet darüber, welche Summen wo ausgegeben werden", sagt Albseikri.

Unendliche Reichtümer?

Die Art und Weise, wie Gaddafi das Land regiert, veranlasst die Financial Times zu der Frage, ob das Vermögen Gaddafis und die staatlichen Ausgaben jemals getrennt erfasst worden sind - Ausgaben, deren hauptsächliche Quelle die Öl- und Erdgasgeschäfte des Landes sind.

2010 hat Libyen 2,6 Millionen Barrel Erdöl pro Tag produziert, das sind zwei Prozent der täglichen Erdölproduktion weltweit. Die Einnahmen aus diesem Geschäft betrugen 2010 rund 45 Milliarden Dollar. Im Jahr davor förderte Libyen laut Angaben der National Oil Corporation (NOC) etwa 1,6 Millionen Barrel täglich und nahm 35 Milliarden Dollar ein.

Ein Ölarbeiter in der libyschen Wüste; Foto: AP
Ein Ölarbeiter in der libyschen Wüste: Allein 2010 soll Libyen durch Erdöleinnahmen 45 Milliarden Dollar kassiert haben.

​​Der libysche Rechtsanwalt Alhadi Schallouf, ein Mitglied des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, vermutet, dass die Hälfte aller Einnahmen des Staates aus dem Öl- und Gasgeschäft seit 1969 auf den privaten Konten des Gaddafi-Clans gelandet ist. "Gaddafi", so Schallouf, "hat ein Extrakonto für seine Erdöl-Einnahmen. Die Gerüchte, Gaddafi besäße momentan etwa 82 Milliarden Dollar, sind falsch. Das sind Zahlen, die aus den neunziger Jahren stammen. Die tatsächliche Summe ist viel höher."

Der libysche Oppositionelle Mohammad Abdelmalek schätzt Gaddafis Vermögen auf 80 Milliarden Dollar und das seiner gesamten Familie auf 150 Milliarden Dollar. "Die Einnahmen des Staates", so Abdelmalek gegenüber der Deutschen Welle, "flossen direkt in die Taschen der Herrscherfamilie. Die einfachen Bürger haben davon nicht profitiert."

Gaddafis Behauptung, er würde die Einnahmen des Staates direkt dem Volk zugute kommen lassen, sei eine Lüge, sagt Abdelmalek. Stattdessen habe Gaddafi, so der Rechtsanwalt Schallouf, mit dem Geld Söldner und Armeen finanziert, um sein eigenes Regime zu schützen. Eine Meinung, die auch der Oppositionelle Abdelmalek teilt.

Petrodollars für Terror?

Nach den Angaben vieler Beobachtern können die afrikanischen Söldner, die Gaddafi angeblich gegen die Demonstranten in seinem Land eingesetzt hat, mit afrikanischen Rebellen-Gruppierungen in Verbindung gebracht werden.

Muamar Gaddafi; Foto: AP
Nach Angaben des Guardian besitzt Libyen 7,5 Prozent des italienischen Bankensektors.

​​"Gaddafi hat viele Terrorgruppen unterstützt, wie die IRA in Irland und andere Terrorgruppen in Italien und im Tschad", sagt Mohammad Abdelmalek. Viele libysche Oppositionelle fordern jetzt ein Einfrieren der Konten Gaddafis, wie es bei Tunesiens und Ägyptens Ex-Präsidenten der Fall war.

Libyen ist das drittgrößte Öl produzierende Land in Afrika. Seine Reserven werden auf 45 Milliarden Barrel geschätzt. Bei den Gasreserven, die auf 1500 Milliarden Kubikmeter geschätzt werden, steht Libyen auf Platz vier in Afrika.

2006 gründete Muammar al Gaddafi die "Libyan Investment Authority" (LIA), eine Art Staatsfonds, der bisher über 60 Milliarden Dollar in ausländische Projekte investiert hat, wie Beobachter vermuten. Die LIA steckte Geld in Banken, Zeitungen, Sportclubs und in die Automobilindustrie.

Nach Angaben des Guardian besitzt Libyen 7,5 Prozent des italienischen Bankensektors. Außerdem sollen 2,6 Prozent von Fiat und 7,5 Prozent vom Fußballclub Juventus Turin der LIA gehören. Gaddafi selbst soll laut Angaben der Financial Times rund 21,9 Millionen Dollar in eine Hotelanlage in L'Aquila investiert haben, der italienischen Stadt, die 2009 von einem schweren Erdbeben getroffen wurde.

Youcef Boufidjeline und Nader Alsarras

© Deutsche Welle 2011

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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