Integration statt Abgrenzung
Die Studie "Muslimisches Leben in Deutschland" des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge macht deutlich, dass die soziale Integration von Muslimen besser ist als vielfach angenommen. Defizite bestehen hingegen nach wie vor bei der Schulbildung und beim Bildungsaufstieg. Sonja Haug fasst die Ergebnisse der Studie zusammen.
Im Rahmen einer bundesweit repräsentativen Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge wurden im Jahr 2008 im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz Personen aus einer Vielzahl muslimisch geprägter Herkunftsländer befragt.
Die Studie basiert auf Informationen über fast 17.000 Personen und gibt Auskunft über das "Muslimische Leben in Deutschland". Eine pauschale Bewertung dieser Bevölkerungsgruppe ist angesichts ihrer unterschiedlichen Herkunftskontexte, Zuwanderungsmotive, Aufenthaltsdauer und auch unterschiedlichen Erfolgsgeschichten nicht angemessen.
Die Hochrechnung auf Grundlage einer direkten Befragung nach der Religionszugehörigkeit ergab, dass in Deutschland etwa vier Millionen Muslime leben. Muslime stellen damit einen Anteil von rund fünf Prozent der Bevölkerung und etwa ein Viertel der in Deutschland lebenden Personen mit Migrationshintergrund. Die größte konfessionelle Gruppe bilden mit 74 Prozent die Sunniten; 13 Prozent sind Aleviten und sieben Prozent Schiiten.
Der Stellenwert der Religion
Rund 45 Prozent der in Deutschland lebenden Muslime mit Migrationshintergrund sind deutsche Staatsangehörige. Knapp 2,6 Millionen der in Deutschland lebenden Muslime stammen aus der Türkei, 550.000 aus den südosteuropäischen Ländern Bosnien-Herzegowina, Bulgarien und Albanien. Die drittgrößte muslimische Bevölkerungsgruppe in Deutschland sind mit 330.000 Migranten aus dem Nahen Osten mit den Hauptherkunftsländern Libanon, Irak, Ägypten und Syrien.
Aus Nordafrika, vor allem Marokko, kommen zwischen 280.000 der in Deutschland lebenden Muslime. Weitere Herkunftsregionen sind Zentralasien/GUS, Iran, Süd-/Südostasien und das sonstige Afrika.
Es zeigt sich zudem, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund aus den entsprechenden Herkunftsländern keine Muslime sind. Beispielsweise gehören fast 40 Prozent der Migranten aus Iran gar keiner Religionsgemeinschaft an.
Aus anderen, überwiegend muslimisch geprägten Herkunftsländern wie dem Irak sind verstärkt religiöse Minderheiten zugewandert. Von der religiösen Zusammensetzung der Bevölkerung des Herkunftslandes kann daher nicht automatisch auf die Religion der in Deutschland lebenden Migranten geschlossen werden.
Religion im Alltag
Die überwiegende Mehrheit der Muslime ist sehr gläubig. Religiosität ist insbesondere bei türkeistämmigen Muslimen und Muslimen afrikanischer Herkunft ausgeprägt. Bei der religiösen Alltagspraxis, wie dem Beten, dem Begehen religiöser Feste, der Einhaltung religiöser Speisevorschriften und Fastengebote, bestehen jedoch große Unterschiede je nach Herkunftsregion und je nach Konfession.
Jeweils etwa ein Drittel der Muslime besuchen häufig, selten oder nie die Moschee. Obwohl die Religiosität und die religiöse Praxis bei Muslimen stark ausgeprägt ist, ist die Mitgliedschaft in einem religiösen Verein oder einer Gemeinde relativ selten (20 Prozent).
Strukturelle Integration
Die überwiegende Mehrheit der Migranten aus muslimischen Herkunftsländern (80 Prozent) verfügt über ein eigenes Erwerbseinkommen als Einkommensquelle. Der ausgesprochen hohe Anteil an Selbständigen zwischen 20 und 34 Prozent - je nach Herkunftskontext - zeigt die Bereitschaft, selbst für den Lebensunterhalt zu sorgen.
Ein Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Sozialhilfe ist jedoch bei Muslimen aus dem Nahen Osten und aus Süd-/Südostasien (z.B. Paktistan, Afghanistan) nicht selten (32 bzw. 28 Prozent). Eine Abhängigkeit von Transferleistungen tritt insbesondere bei sehr niedriger und sehr hoher Schulbildung auf. Es zeigt sich jedoch gleichzeitig, dass auch Migranten ohne Schulabschluss größtenteils in den Arbeitsmarkt integriert sind.
Soziale Integration
Bei den befragten Muslimen ist überwiegend keine ethnische und interreligiöse Abgrenzung feststellbar. Bei allen muslimischen Herkunftsgruppen ist der Anteil derjenigen, die keine Alltagskontakte zu Deutschen haben und auch keinen Kontaktwunsch äußern, nicht größer als ein Prozent.
Eine explizite Abgrenzungstendenz konnte nicht festgestellt werden. Soziale Kontakte stellen eine Basis für den gesellschaftlichen Zusammenhalt dar. So ist die Mitgliedschaft in Vereinen eine Ressource für die Integration in die Aufnahmegesellschaft. Mehr als die Hälfte der Muslime sind Mitglied in einem deutschen Verein oder Verband, häufig in Sportvereinen oder Gewerkschaften.
Die Häufigkeit der sozialen Alltagskontakte der Befragten zu Personen deutscher Abstammung ist relativ hoch und Muslime aus allen Herkunftsregionen zeigen eine hohe Bereitschaft zu häufigeren Kontakten mit Deutschen.
Entwicklung der Integration
Bei der Integration lassen sich Fortschritte beobachten. So wird für die Gruppe der türkischen Migranten in verschiedenen Studien festgestellt, dass sie im Hinblick auf die Integration im strukturellen Bereich, beispielsweise dem Erwerb von Schulabschlüssen und der Platzierung auf dem Arbeitsmarkt, hinter anderen Nationaliätengruppen aus den südeuropäischen Anwerbeländern oder Aussiedlern zurückfällt.
Die Ergebnisse der Studie zeigen ergänzend, dass die türkischstämmigen Migranten auch im Vergleich zu Migranten aus anderen muslimisch geprägten Herkunftsländern beim Indikator Schulbildung relativ schlecht abschneiden.
Dies erklärt sich vor allem durch extrem niedrige Werte bei türkischen Frauen der ersten Zuwanderergeneration. Im Generationenverlauf lässt sich insgesamt ein deutlicher Bildungsaufstieg erkennen, insbesondere bei den Frauen. Die Chance, die erworbenen Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt umzusetzen, ist für einen nicht unerheblichen Teil der Migranten gegeben.
Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Je höher das Bildungsniveau, umso höher ist auch die Positionierung auf dem Arbeitsmarkt, dieser Zusammenhang gilt auch für muslimische Zuwanderer. Der Eintritt ins Erwerbsleben funktioniert allerdings nicht in jedem Fall. So zeigt die Arbeitslosenstatistik, dass vor allem türkische Migranten häufiger arbeitslos sind.
Studien geben auch Hinweise darauf, dass dies bei gleicher Qualifikation gilt. Die Arbeitslosigkeit der Zuwanderer tritt häufig im Zusammenhang mit dem Strukturwandel der Industriearbeit auf und ist somit Folge der Anwerbung von Arbeitnehmern z.B. für die industrielle Produktion vor nunmehr fast 50 Jahren.
Die gezielte Anwerbung von Arbeitnehmern aus bildungsfernen Schichten wirkt sich noch heute auf die Positionierung ihrer Nachkommen im Bildungsbereich und in der Erwerbsbeteiligung aus.
Integration nicht nur religiöser Gruppen
Die Ergebnisse zur strukturellen Integration müssen Anlass für weitere staatliche Integrationsbemühungen sein. Die Integration von Muslimen und anderen Migranten aus muslimischen Herkunftsländern darf sich dabei nicht nur auf die religiösen Zielgruppen beschränken, sondern muss weiterhin breit angelegt sein.
Ein wichtiger Ansatzpunkt ist hierbei neben der Sprachförderung durch die bundesweiten Integrationskurse die Integration durch Bildung. Trotz eines generell im Generationenverlauf feststellbaren Bildungsaufstiegs weist die relativ hohe Quote an Schulabgängern ohne Abschluss bei männlichen Migranten aus einigen muslimisch geprägten Herkunftsländern auf weiter bestehende Bildungsdefizite von Zuwanderern hin.
Bildung im Mittelpunkt
Bei den nachfolgenden Generationen bleibt Bildung das zentrale Aktionsfeld der Integrationspolitik. Hier müssen die bereits öffentlich diskutierten Ansätze zur Förderung der vorschulischen, schulischen und außerschulischen Bildung von Migranten konsequent umgesetzt werden.
Alle Kinder sollten möglichst früh Gelegenheit zum Erlernen der deutschen Sprache haben. Sinnvoll sind auch die Erhöhung des Anteils von Lehrkräften mit Migrationshintergrund und der verstärkte Einsatz der Schulsozialarbeit, um die Fachlehrkräfte zu entlasten, das Lernumfeld zu verbessern und die schicht- und migrationsspezifischen Probleme im Schulalltag zu beheben.
Neben staatlichen Bemühungen sollte auch die Elterngeneration in der Verantwortung für die Bildung ihrer Kinder bestärkt werden. Die intensivere Einbeziehung des familiären Umfeldes in vorschulisches, schulisches und außerschulisches Lernen könnte hier ein geeignetes Mittel sein, um Bildungs- und Berufskarrieren von Zuwandererkindern verstärkt zu fördern.
Eltern sollten umfangreich über den Spracherwerb bei Kindern und dessen Förderung informiert werden und dazu motiviert werden, ihren Kindern den optimalen Erwerb der deutschen Sprache zu ermöglichen.
Ein Beispiel dabei sind die bundesweiten Elternintegrationskurse, bei denen neben dem Hauptlernziel der Sprachkenntnisse vor allem Wert auf die Behandlung der Themen Erziehung, Bildung und Ausbildung der Kinder gelegt wird.
Ein weiterer Ansatzpunkt liegt in der Unterstützung der elterlichen Erziehungskompetenz sowie einer Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Migranteneltern und den Bildungsinstitutionen.
Sonja Haug
© Qantara.de 2010
Dr. Sonja Haug ist Soziologin und Privatdozentin an der Universität Mainz sowie der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch-Gmünd. Sie leitet das Forschungsfeld "Empirische Sozialforschung – wissenschaftliche Leitung des Doktorandenprogramms" des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge.
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