Bilder gerade rücken
Bilderbuchwetter in Berlin: Der Himmel ist strahlend blau, es ist angenehm warm. Doch statt in einem der Straßencafes die Sonne zu genießen, drängeln sich Dutzende von Kameraleuten, Fotografen und Politikern durch die Landesvertretung Sachsens.
Ein weißgetünchter Saal, auf dem Boden edles Parkett und die Wände vollgehängt mit riesigen Gemälden. Mittendrin sind vier junge Frauen. Etwas schüchtern lauschen sie den unzähligen Fragen, wenden verlegen ihre Blicke von den Kameras weg.
Einige verdecken das dunkle Haar mit hauchfeinen Seidentüchern. Für die vier Malerinnen ist es eine absolute Premiere. Erstmals präsentieren sie ihre Werke außerhalb ihrer Heimat Afghanistan.
"Ich bin durch das Malen viel selbstbewusster geworden. Früher waren Frauen in meiner Gesellschaft unsichtbar", sagt die 19-jährige Sheenkai. Durch die Kunst fühle sie sich nun viel freier.
Identitätssuche mit Pinselstrichen
Es ist vor allem Wut, die aus den Bildern der Künstlerinnen spricht. In enge Quadrate gezwängte Frauengesichter, schemenhafte Silhouetten, die in der Masse untergehen. Burkas, über und über beklebt mit Augen und Mündern.
Fast alle Künstlerinnen sind Anfang 20. Sie wurden kurz nach der Machtergreifung durch die Taliban geboren. Krieg und Unsicherheit prägten ihr bisheriges Leben. Schulbildung und Selbstbestimmung waren immer eine Frage des Kampfes.
Heute suchen sie mit Pinselstrichen nach ihrer Identität, machen sich und ihre Ängste mit Farbe sichtbar. Gelernt haben sie das im Center for Contemporary Arts Afghanistan. Das ist eine private Kunsthochschule, die sich vor allem an Frauen richtet. Sie wurde 2004 von Künstlern gegründet.
"Wir werden nicht staatlich finanziert, sondern müssen uns um alles selber kümmern", erzählt Mitbegründer Rahraw Omarzad. Das sei in Afghanistan etwas vollkommen Neues, weil früher Kunst oft als Propagandamittel missbraucht wurde. "Aber erst durch Vielfalt kann eine Gesellschaft wachsen und sich eine demokratische Kultur etablieren. Und genau das versuchen wir hier zu leben."
Schwere Last der Vergangenheit
Inzwischen studieren 23 junge Frauen an der Kunstakademie in Kabul. Sie sind Töchter aus liberalen Familien. Es herrscht grenzenlose Neugier und Nachholbedarf.
Unter den Taliban wurde die Darstellung von Menschen und Tieren mit Peitschenhieben bestraft - ein striktes Bildverbot im Namen Allahs. Einzig idyllische Landschaften und Kalligrafien waren erlaubt. Diese Motive fehlen heute völlig in den Werken der jungen Malerinnen.
Das sei für sie zwar ein Bruch mit dem Radikalismus, aber kein Bruch mit ihren Wurzeln. Denn Sheenkai und die anderen bezeichnen sich als gläubige Musliminnen. "Der Islam und die Kunst sind für mich keine Gegensätze. Malerei hat in meiner Religion eine lange Tradition. Wir müssen diese nur weiterentwickeln und zeigen, das auch unsere Sichtweise ein Teil des Islam sein kann."
Schubladen gibt es auch im Westen
Deswegen sind die vier Künstlerinnen nach Berlin gekommen. Sie haben hier mit deutschen Kunststudenten diskutiert und unzählige Museen und Galerien besucht. Khadijas Mandelaugen fangen an zu leuchten, wenn sie davon erzählt: An jeder Ecke Kunst, das sei ja wie Ramadan und Geburtstag zugleich.
Doch die 21-Jährige hat bemerkt: Schubladen, in die man sie hineinzwängt, gibt es nicht nur in ihrer Heimat. "Viele hier im Westen belächeln uns und glauben, dass wir nicht wirklich talentiert sind, zumal Frauen aus Afghanistan sowieso permanent unterdrückt werden. Vielleicht kann diese Ausstellung helfen, dieses Bild etwas gerade zu rücken, denn wir sind gar nicht so anders als die Frauen hier."
Khadija, Sheenkai und die anderen wollen mit Klischees brechen - an der Spree, genauso wie am Hindukusch. Deswegen studieren sie nicht nur, sondern unterrichten auch jüngere Kunstklassen und besuchen Mädchen in den afghanischen Provinzen, um ein wenig von ihrem Aufbruchsgeist weiterzugeben. Schließlich könne man nicht nur mit Worten und großer Politik etwas verändern - sondern auch mit Pinsel und Farbe.
Aygül Cizmecioglu
© DEUTSCHE WELLE 2008
Die Deutsche Welle zeigt die Ausstellung ab dem 13. August im Bonner Funkhaus. Die Schau wird dort bis zum 9. September zu sehen sein.
Qantara.de
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