Ein Leben für die Ausgeschlossenen
Hamid Skif hat sich als Autor stets für die Ausgeschlossenen, für die Marginalisierten der Gesellschaft eingesetzt. In den 1990er Jahren musste der engagierte Schriftsteller aus seiner Heimat Algerien fliehen. Jetzt ist der Exilliterat und Qantara-Autor kurz vor seinem 60. Geburtstag gestorben. Ein Nachruf von Regina Keil-Sagawe
"Die Stimme von Hamid Skif gehört zu jenen, die wir lieber nicht hören möchten, weil sie so eindringlich sind und uns so nahe kommen", urteilte seinerzeit das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL. Nun ist diese Stimme für immer verstummt. Am Freitag, dem 18. März 2011, um fünf Uhr früh ist der algerische Exilautor und Heidelberger "Literatur-im-Exil"-Preisträger in seinem Haus in Hamburg einem Lungenkrebsleiden erlegen, nur drei Tage vor seinem 60. Geburtstag. Am 21. März 1951 wird Hamid Skif, mit bürgerlichem Namen Mohamed Benmebkhout, Spross einer Kaufmannsfamilie aus dem südalgerischen Bou Saâda, in Oran geboren. Die frühe Erfahrung von Krieg und Gewalt schärft sein Unrechtsbewusstsein für alle Zeit: Ein Großonkel, in den 1930ern erster frankophoner Sprecher von Radio Bagdad, wird algerischer Revolutionär der ersten Stunde, als Kind verliert Hamid sein rechtes Auge im Krieg. Schon der Zwölfjährige will Journalist und Dichter werden.
Politisches Engagement und "gefährliche Erzählungen"
Mit siebzehn sammelt er Theatererfahrung beim großen Kateb Yacine, ist mit zwanzig in der von Jean Sénac herausgegebenen Anthologie de la jeune poésie algérienne de graphie française (1971) vertreten, wird Journalist bei Révolution Africaine und La République. 1973 wird er erstmals verhaftet, weil er eine kritische Reportage über die algerische Polizei geschrieben hat, 1974 nach Algier strafversetzt, weil er sich der Schließung seiner Zeitung widersetzt. Nach kurzem Intermezzo beim Nationalen Filmförderungsbüro landet er auf Druck des algerischen Informations- und Kulturministers für die nächsten 15 Jahre bei der algerischen Presseagentur Algérie Presse Service, 1975 in Ouargla, 1978 in Oran, ab 1984 in Tipaza. Für sein Drehbuch "Une si tendre enfance" ("Eine so sanfte Kindheit") erhält er den Nationalen Drehbuch-Preis.
Doch vom algerischen Staatsfernsehen wird es als konterrevolutionär eingestuft, und die Presse weigert sich, seine "gefährlichen" Erzählungen zu publizieren. 1990, als in Algerien eine gewisse Liberalisierung einsetzt, versucht er sich als freier Journalist, gründet das Wirtschaftsmagazin Perspectives und 1992 die Association des Journalistes Algériens, den algerischen Journalistenverband. 1993/94, als die ersten algerischen Intellektuellen, Tahar Djaout, Youcef Sebti, Opfer terroristischer Attentate werden, entgeht Skif selbst nur knapp drei Mordanschlägen und verlässt mit Frau und Kindern schweren Herzens Algerien. 1995/96 ist er Stipendiat des Heinrich-Böll-Hauses, seit 1997 lebt er in Hamburg, unterstützt vom "Schriftsteller-im-Exil"-Programm des Pen-Clubs und der Hamburger Stiftung für Politisch Verfolgte.
Anwalt ohne Robe
Er, der Verfolgte, der Zensur und Erniedrigung gnadenlos zu spüren bekam – "man hat mich mit dem Revolver an der Schläfe gezwungen, kniend meine Gedichte vorzulesen" – setzt sich selbst unermüdlich für die Verfolgten ein, mit seiner Lyrik, seiner Prosa, in der Wahl seiner Themen, mit seinem an Brecht geschulten grotesk-lakonischen Stil. In "Geografie der Angst" zum Beispiel, dem in Frankreich gleich zweifach prämierten Roman, der das Thema der illegalen Boat People auf dem Mittelmeer aufgreift. "Ich wollte Anwalt werden. Ich wurde es ohne Robe, ohne Gerichtssaal. Ich setze mich immer für die Ausgeschlossenen, für die Marginalisierten ein, für all diejenigen, für die keiner das Wort ergreifen will: für Frauen, Kinder, für Menschen, um die sich keiner kümmert", erklärt Hamid Skif 2005 in Heidelberg, als er für seinen Briefroman "Sehr geehrter Herr Präsident" den "Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil" erhält.
Noch in seiner Dankesrede regt er an, die Stadt Heidelberg möge doch ein Festival maghrebinischer Literatur etablieren. Die erste Session des Maghrebtags, der 2007 im Rahmen der Literaturtage stattfand, mit Albert Memmi und Christoph Leisten, hat er noch selber eröffnen können, bei der zweiten, 2009, mit Habib Tengour und Leila Abouzeid, war er auch präsent. Nun hat das Festival seinen Paten verloren, doch die Idee lebt fort, wird weitergesponnen – eine Konzeption aus Hamid Skifs Feder für ein Partnerfestival im marokkanischen Essaouira steht längst. Seine Generosität, sein Ideenreichtum, seine altruistische Hilfsbereitschaft, sein sanfter Humor und seine tiefe Mitmenschlichkeit werden nicht nur seiner Familie fehlen. "Man muss weggehen können, und doch sein wie ein Baum". So hat Hilde Domin einmal geschrieben. Wie ein Echo klingt es bei Skif: "Wenn ich auch Algerien verlassen habe, so hat Algerien mich doch niemals verlassen." Er hatte noch so viele Pläne, so vieles vorgehabt … sein Engagement für eine Renaissance des algerischen Malers Abdelkader Guermaz war nur ein Teil davon. Nun führt ihn sein letzter Weg in die Heimat zurück, möge er dort den Frieden finden, der ihm zu Lebzeiten nicht vergönnt war.
Regina Keil-Sagawe
© Qantara.de 2011
Regina Keil-Sagawe ist Romanistin, Publizistin und Übersetzerin, spezialisiert auf maghrebinische Literatur; sie ist überdies im Vorstand des Deutsch-Algerischen Kulturvereins YEDD e.V. Bücher von Hamid Skif auf Deutsch: Sehr geehrter Herr Präsident (Briefroman), Edition Köln, Köln 2003. Aus dem Französischen von Linde Birk. Hure mit Krawatte (Erzählungen aus Algerien), Edition Köln, Köln 2004 Aus dem Französischen von Ursula Günther. Exile der Frühe: Gedichte-Briefe eines Abwesenden, Manutius, Heidelberg 2004. Aus dem Französischen von Andreas Münzner. Geografie der Angst, Edition Nautilus, Hamburg, 2007. Aus dem Französischen von Andreas Münzner.