Zu Gast bei Beduinen
Elegant schmeißt Suleiman Hassaseen ein Bällchen aus Kichererbsenteig ins heiße Öl. Eine amerikanische Touristin schaut sich genau an, wie er es macht. Dann schafft sie es auch, ohne sich die Finger zu verbrennen. Der Beduine Hassaseen zeigt einer kleinen Gruppe von Touristen nicht nur, wie man Falafel herstellt. Er backt mit ihnen Fladenbrot und richtet Tahini-Salat her, gegessen wird dann gemeinsam. In der Feynan Öko-Lodge im Süden von Jordanien werden aus Beobachtern Mitmacher und aus Touristen Gäste der in diesem Tal lebenden Beduinen.
Die Feynan-Öko-Lodge liegt im Wadi Araba, einer abgelegenen Einöde im Süden Jordaniens, etwa drei Autostunden von der Hauptstadt Amman entfernt am Rande des Naturschutzgebiets Dana Reserve. In dem Tal leben heute noch 30 bis 40 Nomadenfamilien ein weitgehend traditionelles Leben in Zelten aus Tierhaar mit Ziegen und Schafen. Am Ende des Tales steht die Lodge, ein minimalistischer Lehmbau, eher einem Wüstenkloster ähnlich als einer Ferienanlage. Der jordanische Star-Architekt Ammar Khammash hat die erste Öko-Lodge im Land entworfen.
Ein sozial und ökologisch nachhaltiges Projekt
Die Region braucht dringend einen sozial und ökologisch nachhaltigen Tourismus, davon ist Manager Nabil Tarazi überzeugt. Mit den Hotelanlagen am Roten und Toten Meer, die sich nicht von Strandtourismus in der Karibik oder den Kanaren unterscheiden, könne man es nicht schaffen, auf Dauer Gäste anzulocken. Sie bleiben nicht nur wegen der politischen Instabilität weg, es fehlen auch überzeugende Projekte. "Wir probieren ein ganz neues Konzept von Tourismus aus", meint Tarazi. Feynan ist mehr als eine Öko-Lodge; es ist ein sozial und ökologisch nachhaltiges Projekt, das gleichzeitig kulturell sensibel in seine Umgebung eingebunden ist.
Suleiman Hassaseen ist im Wadi Araba zuhause. Der 27-Jährige lebt mit seinen Eltern und zehn Geschwistern in einem traditionellen Beduinenzelt etwa 500 Meter von der Lodge entfernt. Als Kind hat er Ziegen und Schafe gehütet, daher kennt er jeden Fleck und jede Pflanze in der rauen Bergwelt. Hassaseen ist einer von rund 20 Mitarbeitern, die die Lodge weitgehend selbstverwaltet betreiben. Man arbeite im Team, sagt er, denn alle stammen aus Beduinenfamilien in der Umgebung. Damit möglichst viele Familien zum Zug kommen, werden in der Regel nicht mehrere Personen aus dem gleichen Clan eingestellt.
Hassaseen begleitet Touristen auf ihren Wanderungen und zeigt ihnen, welche wilden Kräuter die Beduinen gegen Gesundheitsbeschwerden verwenden. Er erklärt ihnen die Pflanzen, die Gesteine der Berge und wo sich am besten Wildvögel beobachten lassen. Geduldig setzt er sich mit den Gästen zu den Beduinen im Tal, wo man viel Tee trinkt, wenig redet und einfach die Zeit verstreichen lässt.
Manager Tarazi dagegen stammt nicht aus dem Wadi Araba. Er ist in Ramallah, in den palästinensischen Gebieten geboren, in Jerusalem aufgewachsen und ging dann zum Studium nach London. Er arbeitete jahrelang in leitender Position bei einem kanadischen IT-Unternehmen, bis er genug hatte von der Businesswelt. Nach einem einjährigen Sabbatical, bei dem er Asien und die arabische Welt bereiste, wollte er etwas tun, was Sinn macht. Der Gemeinschaft etwas zurückgeben, so nennt er es.
Als die jordanische Naturschutzorganisation "Royal Society for the Conservation of Nature", der die Lodge gehört, 2009 einen Betreiber mit einem überzeugenden ökologischen Konzept suchte, griff Tarazi zu. Er hatte seine Aufgabe gefunden. Die Nachhaltigkeit in Feynan ist sein Baby. Photovoltaik-Zellen auf dem Dach generieren den Strom für die Lodge mit ihren 26 Zimmern und erzeugen warmes Wasser. Papier, Plastik und Blechabfälle werden eingesammelt und in Amman recycelt. Nur für Glas existiert in Jordanien keine Recyclinganlage mehr, weil es sich aufgrund der billigen chinesischen Importware nicht mehr lohnt. Abends erleuchten rund 300 Kerzen die Lodge; nur die Badezimmer und Büroräume sind mit elektrischem Licht ausgestattet, eine Klimaanlage gibt es nicht. Das sparsam verwendete Wasser stammt aus einer Quelle in den Bergen.
Kampf der Plastikflaschenflut
Besonders stolz ist Tarazi darauf, dass Feynan komplett ohne Plastikflaschen auskommt, denn die sind in ganz Jordanien eine Plage. Allein in der Felsenstadt Petra fallen jedes Jahr ein bis zwei Millionen Plastikflaschen an, die dann in der Natur herumliegen. Eine Katastrophe, findet Tarazi. In Feynan werden handgemachte Tonkrüge aus einer Frauenkooperative bei Petra verwendet. Für Wanderungen wurde eigens eine Alternative aus leichtem, umweltfreundlichem Kunststoff entwickelt. Das Ergebnis sind rund 15.000 Plastikflaschen weniger im Jahr.
Rund 5.500 Besucher kommen jedes Jahr nach Feynan, vom Einbruch der Touristenzahlen in Jordanien seit 2015 ist die Lodge zwar auch betroffen, aber viel weniger als andere Anbieter. So kann die Bevölkerung im Wadi Araba weiter direkt vom Projekt profitieren. So zum Beispiel die Bäckersfrau Umm Khaled, die die Öko-Lodge mit Fladenbroten beliefert und auf diese Weise ihrer Familie ein zusätzliches Einkommen beschert.
Umm Khaled backt in einer kleinen Steinhütte neben ihrem Zelt. Dort hat sie ihre Feuerstelle mit dem Backblech, auf dem sie mit einfachsten Mitteln bis zu 80 Fladen pro Tag backt. Die etwa 50-Jährige – die Älteren kennen ihr genaues Geburtsdatum nicht – freut sich über jeden Besuch und zeigt den Touristen, wie sie den Teig macht, während Zicklein an ihrer Kochstelle vorbei stolpern und Kinder herumrennen. In der Öko-Lodge kommen die Fladen frisch auf den Tisch.
Einnahmen zum Wohl der Beduinen
Im Wadi Araba ist die Geschäftstätigkeit von Frauen etwas Besonderes, denn das Leben der Beduinen verläuft noch immer nach den überkommenen traditionellen Regeln und Frauen gehen in den seltensten Fällen einer Tätigkeit außer Haus nach. Manche Männer haben noch mehrere Ehefrauen – nach jordanischem Recht ist das erlaubt. In der Hauptstadt hat sich die Kleinfamilie weitgehend durchgesetzt; bei den Beduinen ist das anders. Sie haben ihren eigenen Ehrenkodex. Gastfreundschaft ist ihnen heilig, um sie zu leben, brauchen sie Schafe und Ziegen, die zu Ehren eines Gastes geschlachtet werden. Ein Huhn kommt dafür nicht in Frage, das wäre ein Affront. Wirklich leben, können sie aber höchstens in guten Jahren von den Tieren. 50 Prozent der Einnahmen aus dem Betrieb der "Feynan Öko-Lodge" fließen direkt an die Beduinenfamilien und erlauben es ihnen, weiter an diesem Ort zu wohnen.
Ihr Leben verändert sich rasant. Nur noch etwa ein Prozent der Bewohner Jordaniens leben als Nomaden oder Halbnomaden. Die Regierung hat auch im Wadi Araba viele Familien in Steinhäuser umgesiedelt, aber nicht alle wollten das. Manche bauen neben ihrem Haus wieder ein Zelt auf, wo sie dann bleiben. Auch für Suleiman Hassaseen ist das Leben in einem Haus aus Steinen unvorstellbar. Er schätzt das einfache Leben im Zelt. Aber wie werden später einmal seine Kinder leben wollen? "Natürlich im Zelt", meint Hassaseen überzeugt.
Nabil Tarazi hat da einen nüchternen Blick. Er kann sich nicht vorstellen, dass die nächste Generation noch in Zelten leben wird. "Wir sind mit unserem Projekt sicherlich Teil des kulturellen Wandels", meint er. Es könne nicht darum gehen, die Kultur der Beduinen wie in einem Museum zu konservieren. Ziel ist es vielmehr, ihnen den Übergang in ein modernes Leben zu erleichtern, ohne dass sie ihre eigene Kultur vollständig aufgeben müssten. Dafür ist es wichtig, die Kultur der Beduinen wertzuschätzen und nicht nur noch als Touristenattraktion vorzuführen, wie es in Petra oder im Wadi Rum allzu oft geschieht.
In Feynan existiert diese alte Kultur neben dem Neuen. Abends steht Suleiman Hassaseen auf dem flachen Dach der Lodge und erklärt den Gästen den Sternenhimmel. Dazu bedient er ein hochmodernes Teleskop, so scharf, dass die Monde des Jupiters sichtbar werden. Dann schildert er ihnen, was sich die Beduinen über das Sternbild Großer Wagen erzählen. Es sind Geschichten von Liebe und Tod. Von Glück und Verderben. Geschichten aus einer vergangenen Zeit.
Claudia Mende
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