Ein Zeichen der Solidarität und des Mutes
Als im Jahre 2009 auf die äußeren Mauern des ehemaligen Konzentrationslagers in Mauthausen der Satz "Was unsren Vätern war der Jud ist uns die Moslembrut. 3. Weltkrieg, 8. Kreuzzug" geschmiert wurde, gab es von den politischen Repräsentanten kaum Erregung.
Der damalige Bundespräsident Heinz Fischer jedoch meldete sich zu Wort. Deutlich, aber dennoch ambivalent. In seiner Aussage prangerte er primär Antisemitismus und dann Fremdenfeindlichkeit an. Das irritierte mich. Schließlich zeigte diese Aufschrift doch eine ganz spezifische Stoßrichtung. Sie zielte auf Muslime als die neuen inneren 'Anderen' ab. Sie stünden in einer Kontinuität vom jüdischen 'Anderen' zum muslimischen 'Anderen'.
2009 war ein Jahr, in der der rassistische Diskurs der rechtspopulistischen FPÖ gegenüber Muslimen bereits seine breitengesellschaftliche Wirkung bis hinauf in die politischen Führungszirkel Österreichs gezeigt hatte, als damals ein Moschee- und Minarettbauverbot mittels Änderung des Baugesetzes in Vorarlberg unter ÖVP-Mehrheit umgesetzt wurde (bevor Haider dies mit seinem BZÖ in Kärnten tat!).
Der starre Blick in die Vergangenheit
Die Ambivalenz des damaligen Bundespräsidenten, die Sache nicht beim Namen zu nennen, hielt ich für bedenklich. Und zugleich sehr bezeichnend dafür, dass der derzeit grassierende Rassismus nicht beim Namen genannt wird. Wie so oft auch in Deutschland ist der Blick der Politiker, wenn sie ihr 'Nie Wieder!' herunterbeten, mehr in die Vergangenheit gerichtet als tatsächlich in die Gegenwart.
Was seit den dezidiert islamophoben Wahlkampagnen der FPÖ ab 2005 in den restlichen österreichischen Parteien geschah, brauche ich an dieser Stelle nicht weiter erläutern. Es genügt, auf die letzten Entwicklungen hinzuweisen. Das 2015 verabschiedete Islamgesetz und das im März verabschiedete Integrationsgesetz sind nur beispielhaft für die weite Verbreitung von ehemals nur in der FPÖ anzufindenden Positionen der ungleichen Behandlung von Muslimen zu nennen.
Erstere markiert eine gesetzliche Ungleichbehandlung von Muslimen gegenüber anderen Religionsgemeinschaften und beendete damit das aus der Habsburgermonarchie stammende liberale Modell. Zweiteres führte zu einem Erlass, den Gesichtsschleier zu verbieten.
In solchen Zeiten ist es kein Pluspunkt, sich für die Gleichberechtigung und gegen die Diskriminierung von den als so 'anders' empfundenen und behandelten Musliminnen zu stellen. Das wusste der österreichische Bundespräsident, auch wenn seine Aussage nicht von einem PR-Profi vorher penibel durchstudiert und vorbereitet wurde.
Zivilcourage statt Wegschauen!
Umso wichtiger ist das jüngste Zeichen des neuen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen, erstens die Islamophobie klar und deutlich zu thematisieren und zweitens, sich dagegen zu stellen, indem er zu Solidarität mit den von Sexismus und Islamfeindlichkeit betroffenen Frauen aufruft. Über Nuancen kann man diskutieren. Aber gerade dieser Mut hätte mehr herausgestrichen werden sollen.
Wenig verwunderlich kursierten in den Tagen nach der Debatte die wildesten Relativierungen, Verschwörungen und Vorwürfe herum, um diesen Rassismus in der Mitte der Gesellschaft, den wir Islamophobie nennen, zu relativieren.
Islamophobie sei eine Erfindung von Islamisten hieß es von der einen Seite, geflissentlich ignorierend, dass Islamophobie das erste Mal von einem französischen Autor im Jahre 1910 verwendet wurde, um die vorurteilsbeladene Darstellung gegenüber den kolonialisierten Algeriern auf Seiten der französischen Kolonisatoren zu benennen.
Die andere Seite behauptete, Islamophobie sei ein Kampfbegriff, so als ob der Begriff selbstständig ohne Akteure wandeln würde. So, als ob der Begriff Demokratie sich dadurch disqualifiziere, weil die US-Amerikaner in den Irak unter dem Vorwand, Demokratie verbreiten zu wollen, einmarschierten. Beide vorgebrachten Argumente zur Disqualifizierung der Aussagen des Bundespräsidenten zeigen sich deutlich als wissenschaftlich nicht haltbar und – noch wichtiger – politisch fragwürdig motiviert.
Was Bundespräsident Alexander Van der Bellen tat, ist hingegen ein wichtiges Zeichen, das bisher selten von politischen Führungspersönlichkeiten auf höchster Ebene gezeigt wurde: Zivilcourage zu zeigen – gegen den gesellschaftsfähig gewordenen Rassismus gegenüber Muslimen.
Van der Bellen – der Versöhner
Darüber hinaus machte Van der Bellen deutlich, was oft nur impliziert wird. Er sorge sich sich "seit Langem, dass wir uns immer so sehr auf das Schlussverbrechen, den Holocaust, die Konzentrationslager fokussieren, und zu wenig mitdenken, was schon in den 1920er- und den 1930er-Jahren passiert ist".
Das Amt des Bundespräsidenten wird in der parlamentarischen Demokratie in Österreich gemeinhin als versöhnend, beruhigend und einigend wahrgenommen. Das ist auch gut so. Vielleicht ist in Zeiten der vermehrten gesellschaftlichen Polarisierung aber weniger wichtig, nicht in ein "Fettnäpfchen" zu treten, das den Beliebtheitsgrad schmälert, sondern Dinge beim Namen zu nennen.
Blickt man auf die verstellenden Reaktionen auf die Aussagen Van der Bellens, so ließe sich ohnehin frei nach Jean-Paul Sartre sagen, dass auf Seiten der Widersacher Van der Bellens "das Vorurteil die Wahrnehmung fälscht". Mutige Handlungen führen zu Aufregung. Aber vielleicht bedarf es gerade einer solchen Aufregung, um auf die Breitenwirkung von Rassismus in unserer Gesellschaft aufmerskam zu machen.
Farid Hafez
© Qantara.de 2017
Farid Hafez ist derzeit Fulbright-Professor an der University of California in Berkeley. Er lehrt und forscht an der Universität Salzburg und gibt alljährlich den European Islamophobia Report (www.islamophobiaeurope.com seit 2015) sowie das Jahrbuch für Islammophobieforschung (www.jahrbuch-islamophobie.de seit 2010) heraus.