Camerons diplomatisches Vabanquespiel

Großbritanniens Premier David Cameron lässt die islamistische Muslimbruderschaft in seinem Land von den Geheimdiensten durchleuchten. Kritiker halten ihm vor, mit der Untersuchung dem politischen Druck Saudi-Arabiens nachgegeben zu haben. Von Susannah Tarbush

Von Susannah Tarbush

Jüngst kündigte der britische Premier James Cameron an, dass er die Organisation der Muslimbruderschaft in Großbritannien einer Untersuchung durch staatliche Organe unterziehen wolle. Geleitet werden soll die dafür eingesetzte Kommission vom britischen Botschafter in Saudi-Arabien. Die Ankündigung stieß im In- und Ausland auf ein geteiltes Echo.

Besonders kritisch waren die Reaktionen nach der Ernennung Sir John Jenkins, des britischen Botschafters in Saudi-Arabien, zum Leiter der Kommission. Zu den weiteren Mitgliedern des Untersuchungsteams gehören der Chef des Geheimdienstes MI6, Sir John Sawyers, und der nationale Sicherheitsberater, Sir Kim Darroch.

Im Oberhaus fragte der frühere britische Botschafter in Saudi-Arabien und frühere Chef des diplomatischen Corps, Lord Wright Richmond, am 8. April, ob die Ernennung zum Leiter des Untersuchungsteams Sir Jenkins nicht in eine "extrem undankbare" Situation bringe, zumal die Regierung, bei der dieser als Diplomat akkreditiert sei, Saudi-Arabien, "jeden nur erdenklichen Schritt unternehme, die Muslimbruderschaft zu diskreditieren, wenn nicht zu zerstören". Und er fügte hinzu, dass, wenn er selbst noch immer Botschafter in Saudi-Arabien wäre, er es als "extrem schwierig [empfände], sollte mich jemand darum bitten, diese Untersuchung zu leiten".

Im Dienste der Saudis

Lord Taylor of Holbeach, Staatssekretär im Innenministerium, beharrte aber darauf, dass Sir John Jenkins einzig "aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Diplomat und ausgewiesener Kenner der arabischen Welt" ernannt worden sei und seine Aufgabe in keinerlei Zusammenhang mit seinem Posten in Saudi-Arabien stehe.

Über ihre Pressestelle in London ließ die Muslimbruderschaft verlauten, dass sie beabsichtige, der anstehenden Untersuchung offen gegenüberzustehen und eng mit der britischen Regierung zusammenarbeiten zu wollen, wenn es darum geht, "die Philosophie und ihre Werte, ihre Politik und ihre bisher geleistete Arbeit" zu untersuchen, "sowohl innerhalb wie außerhalb der Regierung".

Dennoch, so heißt es in der Presseerklärung weiter, "ist es schwer zu erkennen, wie es Sir John Jenkins möglich sein soll, eine unabhängige Untersuchung der Muslimbruderschaft durchzuführen, um dann, als Botschafter in einem nicht-demokratischen Land, der dortigen Regierung seine Erkenntnisse über eine Organisation mitzuteilen, mit der sie erklärtermaßen in politischer Opposition gegenübersteht."

A young demonstrator holds a picture of ousted Egyptian President Mohamed Morsi during a protest in support of the Muslim Brotherhood outside 10 Downing Street, London, on 18 August 2013 (photo: WILL OLIVER/AFP/Getty Images)
A supporter of the Muslim Brotherhood holds a picture of ousted Egyptian president Mohamed Morsi during a protest in support of the Muslim Brotherhood in London in August 2013. The Muslim Brotherhood was founded in Egypt in 1928 and was banned for much of the twentieth century. All this changed with the overthrow of Hosni Mubarak in 2011. However, only two years later, Egyptian authorities declared the Muslim Brotherhood a terrorist organization and banned it again

Bei der Pressekonferenz vom 1. April ging Premier Cameron auch auf die Absichten ein, die hinter der Untersuchung stehen: "Wir wollen das extremistische Narrativ in Frage stellen, das von einigen islamistischen Organisationen verbreitet wurde." Er sagte, dass es für die britische Regierung wichtig sei zu verstehen, "was genau die Muslimbruderschaft ist, wofür sie steht, was ihre Überzeugungen in Bezug auf Extremismus und vor allem gewalttätigen Extremismus sind, welche Verbindungen sie zu anderen Gruppen hat und auf welche Gefolgschaft sie in Großbritannien zählen kann."

Die Entscheidung Camerons zur Durchführung der Überprüfung wird von einigen als Geste der Kapitulation vor dem Druck angesehen, dem er vor allem aus Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten ausgesetzt gewesen sei – jene Länder, die die Muslimbruderschaft erst vor kurzem als Terrororganisation eingestuft hatten.

Der ägyptische Botschafter in Großbritannien, Ashraf Al-Kholy, sagte gegenüber dem Sicherheitsexperten der BBC, Frank Gardner, dass Großbritannien dringend die Muslimbruderschaft überprüfen müsse: "In welchem Zustand befindet sich  Muslimbruderschaft in Großbritannien? Wie wird sie finanziert? Wie kommunizieren sie? Gibt es Verabredungen oder Zusammenkünfte, die sich gegen ein drittes Land richten? Dies ist uns sehr wichtig und ich denke, dass der britische Premier und seine Regierung nicht wollen, dass ihr Land als Basis von Aktivitäten genutzt wird, die sich gegen ein anderes Land in der Region richten, weder Ägypten noch sonst eines."

Gleichzeitig hat die Muslimbruderschaft über ihr Londoner Pressebüro angekündigt, "jeden unlauteren Versuch, unsere Arbeit einzuschränken, durch britische Gerichte überprüfen lassen" zu wollen und dass sie zu diesem Zweck einen renommierten Menschenrechtsanwalt als Berater verpflichtet habe. Zugleich forderte die Organisation die britische Regierung auf, "die zahlreichen ernsthaften und gut dokumentierten Menschenrechtsverletzungen zu überprüfen, die vom ägyptischen Militärregime verübt worden sind."

Falsche Signale an die arabische Welt

Einige Beobachter sehen einen Zusammenhang zwischen der Ankündigung Camerons und dem erst kurz zuvor erfolgten Abschluss eines Vertrages, mit dem das große britische Unternehmen BAE 72 Eurofighter Typhoon Jets nach Saudi-Arabien verkauft hatte. Obwohl die genaue Verkaufssumme nicht bekanntgegeben wurde, ist bekannt, dass sie wohl höher liegt als die im ursprünglichen Vertrag von 2007 festgehaltenen 4,5 Milliarden Pfund (etwa 5,4 Milliarden Euro).

Dr. Christopher Davidson, Dozent für Nahostpolitik an der School of Government and International Affairs der Universität von Durham, sagte gegenüber Qantara.de, dass die britische Regierung "sehr viel politisches Kapital in ihre 'Golf-Initiative'" investiert habe. "Mit dieser Initiative soll der Handel mit den Golfmonarchien angekurbelt werden, wozu natürlich auch Waffenlieferungen gehören. Cameron scheint sich angesichts dessen dem Druck gebeugt zu haben und sendet damit völlig falsche Signale an die übrige arabische und muslimische Welt aus."

A supporter of the Muslim Brotherhood throws back a tear gas canister launched earlier by riot police during clashes outside Ain Shams University near Egypt's Defence Ministry headquarters in Cairo, 27 March 2014 (photo: Reuters)
Speaking at a news conference on 1 April, David Cameron said: "As a government we are obviously opposed to violent extremism [...] we are also a government that is opposed to extremism. We want to encourage people away from a path of extremism and we want to challenge the extremist narrative that some Islamist organisations have put out." Pictured here: A supporter of the Muslim Brotherhood throws back a tear gas canister launched by riot police during clashes in Cairo in late March 2014

Davidson sagte außerdem, dass ihm der von Cameron gewählte Zeitpunkt der Untersuchungsankündigung "verdächtig" vorkomme, nämlich kurz vor den ägyptischen Präsidentschaftswahlen, die sehr wahrscheinlich Feldmarschall Abdelfattah al-Sisi gewinnen wird. "Ein Vorgang, der von den Regierungen Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate keineswegs nur wohlwollend beobachtet, sondern mitfinanziert wird. Diese beiden Monarchien haben viel politisches Gewicht darauf verwendet, die Bruderschaft als Organisation auszulöschen, und das nicht nur in Ägypten, sondern auch auf der Arabischen Halbinsel."

Doch damit nicht genug, so Davidson: "Als machtvolle islamische Alternative wird die Muslimbruderschaft von diesen Monarchien als existenzielle Bedrohung wahrgenommen, stellen sich diese doch gern als beste, verlässlichste und die am 'westlichsten' orientierte Regierungen in mehrheitlich muslimischen Ländern dar. In der Realität sieht dies natürlich ganz anders aus, denn Hunderte friedliche Islamisten sitzen in den dortigen Gefängnissen. Außerdem unterstützen sie eine ägyptische Regierung, die im letzten Sommer nicht nur eine große Zahl von Anhängern der Muslimbruderschaft getötet hat, sondern die erst kürzlich auch Todesurteile gegen mehr als 500 Unterstützer der Organisation verhängte."

Existenzielle Bedrohung für die Golfmonarchien

Frank Gardner von der BBC meint, dass "die Vereinigten Arabischen Emirate auf die britische Regierung lange eingewirkt" hätten, denn schließlich sähen diese die Muslimbruderschaft als "besonders subversive Organisation an, die ihre Arme über den ganzen Nahen Osten ausbreite, weshalb sie eine existenzielle Bedrohung für ihre eigene Herrschaft darstelle".

Gardner fügt hinzu, dass die Emirate Großbritannien gesagt hätten: "Wenn Ihr mit uns weiterhin Geschäfte machen wollt, mit all diesen lukrativen Verträgen, dann müsst Ihr auch dafür sorgen, dass bei Euch endlich Schluss ist mit der Muslimbruderschaft! Wir können es nicht zulassen, dass Ihr unseren Feinden eine sichere Zuflucht bietet."

Camerons Untersuchung der Muslimbruderschaft soll selbst innerhalb der Regierung zu Meinungsverschiedenheiten geführt haben, konterkariere diese Aktion doch, wie es einige im Außenministerium sehen, die jahrelange Zusammenarbeit mit der Bruderschaft zur Förderung von Demokratie, Pluralismus und Menschenrechten in den arabischen Ländern.

Nur eine Woche zuvor etwa hatte im Außenministerium erstmals eine von Staatsministerin Baroness Sayeeda Warsi geleitete Beraterkommission zu Fragen von Religions- und Glaubensfreiheit getagt. Zu den 14 Mitgliedern dieser Kommission gehört auch Professor Tariq Ramadan, dessen Großvater Hassan al-Banna 1928 Gründer der Muslimbruderschaft war. "Der religiöse Berater David Camerons stammt vom Gründer der 'terroristischen' Muslimbruderschaft ab", titelte kurz darauf The Daily Mail.

Wird, wenn die anstehende Untersuchung abgeschlossen ist, Cameron dem Beispiel Ägyptens, Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate folgen und die Muslimbruderschaft zu einer terroristischen Organisation erklären? Das erscheint unwahrscheinlich. In den 86 Jahren seit ihrer Gründung hat die Bruderschaft die Etablierung zahlreicher anderer Organisationen angeregt. Wie sollte mit den zahllosen Mitgliedern all dieser Gruppen verfahren werden, sollte die Bruderschaft tatsächlich verboten werden?

Ibrahim Mounir, einer der ranghöchsten Vertretern der Muslimbruderschaft in Großbritannien, warnte in einem Interview mit der Zeitung The Times vom 5. April, dass ein britisches Verbot der Muslimbruderschaft das Risiko von Terrorangriffen erhöhen würde.

Diese Äußerungen lösten einen Sturm der Empörung aus, der in der Behauptung gipfelte, Mounir bedrohe das Vereinigte Königreich mit Terrorismus. Dabei hatte er lediglich auf eine Gefahr eines möglichen Verbots hingewiesen, die auch von anderen Beobachtern gesehen wird. Die alte Labour-Regierung etwa hatte wiederholt diskutiert, ob die islamistische Organisation "Hizb ut-Tahrir" verboten werden solle. Von der Polizei wurde jedoch schon damals immer wieder darauf hingewiesen, dass die Gruppe sich dann vermutlich in den Untergrund begeben würde, was als weitaus gefährlicher einzustufen sei.

Susannah Tarbush

© Qantara.de 2014

Übersetzt aus dem Englischen von Daniel Kiecol

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de