„Die Hände hoch! Sonst werden sie abgehackt!“
Die Menschenmenge feiert den Sultan. Er steht im Zentrum der Bühne, ein weiter Kaftan flattert um seinen massigen Körper und ein prunkvoller Turban verleiht ihm zusätzliche Größe. Beschwörend hebt er vor rot flackernden Scheinwerfern die Hände. Im Hintergrund produzieren seine Gefährten aus verschiedenen Nationen, die alle den Familiennamen „Divan“ angenommen haben, einen Klangteppich aus schwerer Rockmusik. Der Sultan singt türkische Märchenlieder, während
das Volk zu seinen Füßen auf und ab hüpft. Dazwischen predigt er die Liebe oder erzählt von Reisen und Weisen. Er spricht die Menschen auf Deutsch und Türkisch an. Schließlich bringt er die berauschte Zuhörerschaft dazu „Harem, Harem, Harem“ zu skandieren und feuert sie an: „Und jetzt alle die Hände hoch! Sonst werden sie abgehackt!“
Der Sultan ist ein Schwabe
Der Sultan heißt bürgerlich Gültiken Kaynak, ist gebürtiger Schwabe und lebt in Remscheid. Sein Leben lang macht er schon Musik. Bis 1994 auf Englisch. Dann kam das Attentat von Solingen „und ich dachte, ich muss mal Flagge bekennen.“ Also komponierte er ein Lied mit türkischem Text „und die Leute kamen nach dem Konzert und sagten: Oh, das italienische Lied ist aber schön!“ Seitdem macht er mit seiner Band „Divan“ türkischen Rock aus 1001 Nacht und begeistert Türken und Deutsche gleichermaßen. Gerade, weil er mit Klischees spielt. „Aber es sind schöne Klischees. Und, ist Liebe ein Klischee?“
"Du musst Musik schön verpacken"
Noch erfolgreicher ist DJ Ipek mit ihrem speziellen Fusionsprogramm aus orientalischem und westlichem Pop. Ihr Weg führte zunächst von einer Minderheitengruppe in die nächste, nämlich aus der türkischen in die schwul-lesbische Community. Die 31-jährige trägt die Haare kurz. Sie hat ein Jurastudium begonnen und eines in Sozialwissenschaft beendet. Seit vier Jahren tanzt ein buntes Publikum im Berliner Klub SO36 nach ihrer Musiksammlung. Das klingt leicht, ist aber Kunst. „Leute kommen und fragen: Kannst du nicht mal normale Musik spielen?“ Auch bei Gruppen, die Toleranz fordern, ist jeder Auftritt ein Kampf gegen Stereotype. „Da kam eine Transsexuelle und wollte matriarchalische Musik hören. Die türkische sei sexistisch.“ Ipek will irritieren, bedient aber auch Erwartungen. Das gehört zum Geschäft. „Für mich sind Erwartungen keine Klischees. Du musst Musik schön verpacken, damit sie ankommt.“
Ist die Vision von der multikulturellen Gesellschaft also nur eine schöne Verpackung? Eine käufliche Scheinwelt aus Caipirinha, Döner und exotischen Rhythmen? „Kultur kann man nicht kaufen“, findet der Ägypter Nasser Kilada. Er tingelt schon seit 14 Jahren mit Musikern aller Kontinente durch Deutschland. „Kultur vermischt sich mit der Zeit. Manchmal kommt etwas Gutes dabei heraus.“
"Ich mach mein Ding"
„Beim Kommerz werden auch andere Sachen unterschwellig mitgegeben“, beobachtet die deutsch-türkische Musikerin Aziza A. „Jeder Mensch zieht sich aus einer anderen Kultur nur sein persönliches Ding raus.“ Man muss also zeigen, anbieten, experimentieren. Und Risiko eingehen. „Wir haben schon in Hells-Angels Kneipen gespielt“, erzählt Kaima. „Nach dem ersten Lied hat man uns ausgelacht, nach dem dritten haben die Rocker getanzt.“ „Ich mach mein Ding“, sagt Aziza A, „was die Leute denken, ist mir egal.“ Das ist nun wieder eine durchaus kulturübergreifende Einstellung.
Lennart Lehmann
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