Vom Ende der Erbfeindschaft
Seit den Anschlägen vom September 2001 hat das Auswärtige Amt Dialogprojekte mit der islamischen Welt gestärkt. In den letzten Jahren wurden hierzu rund 1,5 Mio. Euro pro Jahr ausgegeben. Da auch im Rahmen einer Reihe von anderen Finanzlinien mit Zivilgesellschaften in islamisch geprägten Ländern gearbeitet wird (unter anderem über EU-Kooperationen), wurde zeitweise jedoch sicher dreimal so viel investiert. Trotzdem wird dieser Dialog nicht leichter, sondern schwieriger.
Obwohl die unter 30-Jährigen zwei Drittel der arabischen Gesellschaften ausmachen, haben Mittlerorganisationen zu lange hauptsächlich mit den städtischen Eliten der Länder kooperiert, und dabei übersehen, dass auch die Kinder dieser Schicht äußerst frustriert sind über fehlende Zukunftsperspektiven im In- und Ausland. Breitenwirkung und Begegnung für eine Vielzahl junger Leute konnten diese Dialogprojekte nicht entfalten, auch wenn es Ansätze gab. Seit Januar 2006 bietet das Goethe-Institut beispielsweise unter dem Titel Li-Lak ("Für mich – Für Dich") eine deutsch-arabische Webseite für 16- bis 26-Jährige an.
Dass der "Dialog mit dem Islam" nicht gut funktioniert, wissen wir spätestens seit der Eskalation um die dänischen Mohammed-Karikaturen. Die Anschläge in Norwegen haben uns erneut die Brisanz der grassierenden, anti-muslimischen Haltungen gezeigt. Wenn radikale Ausgrenzungs-ideen, die darauf basieren, dass der andere grundsätzlich verschieden ist und keinen Wandel erleben kann bzw. darf, schon in der Mitte der Gesellschaft akzeptiert werden, dann ist klar, dass sich an den Rändern dieses Meinungsspektrums gewaltbereite Täter formieren.
Eine Annäherung ist möglich
Dass sogenannte Erbfeindschaften überwunden werden können, dafür liefert das deutsch-französische Verhältnis ein gutes Beispiel. Noch in den 1950er Jahren hielten nicht wenige Menschen Deutschland und Frankreich für so antagonistisch, dass sie eine Annäherung ins Reich des Unmöglichen verwiesen. Heute ist es nicht mehr vorstellbar, dass es einmal unschicklich war, wenn man in Frankreich einen Deutschen oder eine Deutsche mit nach Hause brachte.
Das Deutsch-Französische Jugendwerk (DFJW) hat in großem Maße dazu beigetragen, Vorstellungen dieser Art in die Mottenkiste der Geschichte zu verbannen. Mit einem Jahresbudget von 20 Millionen Euro unterstützt das DFJW jährlich durchschnittlich 7.000 Austausch¬programme. Seit seiner Gründung im Jahre 1963 wurden vom DFJW insgesamt über sieben Millionen Menschen finanziell gefördert, um an Austauschprogrammen zwischen Frankreich und Deutschland teilzunehmen. Der Historiker Joseph Rovan nannte dies einmal die "größte jemals in Friedenszeiten mit friedlichen Mitteln und Absichten organisierte Völkerwanderung". Grundidee war und ist dabei der Wille, auf einer breiten gesellschaftlichen Basis Kooperation und Annäherung zwischen beiden Ländern von unten zu ermöglichen und zu fördern.
Dieses Beispiel sollten die Europäische Union und die arabischen Staaten jetzt aufgreifen. Das DFJW hat eine Reihe seine Aktivitäten bereits seit den 1990er Jahren auf einen trilateralen Dialog mit Deutschland, Frankreich und ausgewählten Mittelmeer-Anrainerstaaten (Algerien, Tunesien, Marokko, Libanon, Israel, Palästina, Türkei) ausgeweitet. 2013 feiert das DFJW sein 50-jähriges Bestehen. Dies wäre der beste Anlass, ein euro-mediterranes Jugendwerk ins Leben zu rufen. Mit der Schaffung eines euro-mediterranen Jugendwerks könnte der sträflich vernachlässigte Austausch zwischen jungen Menschen auf einer breiten Basis in Gang gesetzt werden.
Austauschprogramme von Jugendlichen (sowohl schulischer wie außerschulischer Art), wie sie das DFJW seit Jahrzehnten durchführt, können hierfür Vorbild sein. Zwar gibt es seit 1998 das "EuroMed-Jugend-Programm" der Europäischen Kommission, doch dieser Jugendaustausch betrifft jedes Jahr kaum mehr als 3000 Personen. Demgegenüber würde die Schaffung einer dauerhaften Institution mit entsprechenden Mitteln ein deutliches Zeichen setzen – sowohl für die Unterstützung der bemerkenswerten Bemühungen um demokratische Öffnung in den Gesellschaften der nordafrikanischen und arabischen Länder in den letzten Monaten wie auch für die viel beschworene euro-mediterrane Partnerschaft.
Nicht auf die lange Bank schieben
Natürlich gibt es zahlreiche Unterschiede im historischen deutsch-französischen Verhältnis und in den Beziehungen zwischen den nördlichen und südlichen Anrainerstaaten des Mittelmeers. Ein euro-mediterranes Jugendwerk ist kein Allheilmittel, um die Antagonismen zwischen Europa und der arabischen Welt zu überwinden. Wenn der deutsch-französische Jugendaustausch sich seit über 40 Jahren so positiv auswirkt, dann auch, weil er in eine generelle Politik der Zusammenarbeit und der konstruktiven Auseinandersetzung eingebettet ist. Dass die Europäische Union auf der einen Seite und die arabischen Staaten auf der anderen Seite bis jetzt noch keine konsequente Kooperationspolitik betreiben, sollte jedoch kein Grund sein, die Schaffung eines solchen Jugendwerks weiter auf die lange Bank zu schieben.
Sonja Hegasy / Nicolas Moll
© Qantara.de 2011
Dr. Sonja Hegasy ist Vizedirektorin des Zentrums Moderner Orient in Berlin und Vorsitzende des Beirats 'Wissenschaft und Zeitgeschehen' des Goethe-Instituts.
Dr. Nicolas Moll war bis 2009 stellvertretender Referatsleiter Interkulturelle Ausbildung des DFJW in Berlin und lebt derzeit in Sarajewo.
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de