„Wenn man die Hand ausstreckt ..."
Was bedeutet eigentlich Dialog der Kulturen, wenn er in die Praxis umgesetzt wird? An dem Projekt des Internats der Königin-Luise-Stiftung in Berlin „Jugend im Dialog – Austausch der Kulturen“ sind mittlerweile 12 Länder beteiligt. Besonders engagiert zeigt sich der Iran.
Was kann man tun, um nachhaltiges Fremdsein abzubauen? Diese Frage stellte Manfred Grüter, stellvertretender Internatsleiter der Königin-Luise-Stiftung, einer Gruppe Schüler im November 2000, nach einer Demonstration für Menschlichkeit und Toleranz vor der jüdischen Synagoge in Berlin. „Denn was nützt eine Demonstration, wenn danach nichts folgt?“ Aus dieser Frage entwickelte sich das Projekt „Jugend im Dialog – Austausch der Kulturen“, an dem mittlerweile zwölf Länder beteiligt sind, darunter Iran, Jemen, Saudi-Arabien und Ägypten, sowie Institutionen wie das Deutsche Archäologische Institut (DAI), das Ethnologische Museum in Dahlem und das Auswärtige Amt.
Unter dem Leitmotiv „Abbau von Fremdenfeindlichkeit und Nationalismus“ hatte sich die Projektgruppe an Landesvertretungen in ihrer unmittelbaren Umgebung – die Botschaften in Berlin-Dahlem – gewendet und gemeinsame Veranstaltungen organisiert. „Es ging darum, etwas über das gesellschaftliche Leben zu erfahren und persönliche Kontakte zu knüpfen“, erklärt der Projektleiter.
Dialog in die Praxis umsetzen
Am erfolgreichsten entwickelte sich die Zusammenarbeit mit der Republik Iran. Deren Botschaft hatte das Angebot gemacht, Schüler der Iranischen Schule in Berlin an das Internat kommen zu lassen, um sich dort am Freizeitprogramm zu beteiligen. Doch Anfangs zeigte sich die deutsche Seite skeptisch, berichtet Grüter. „Da kamen also zuerst 16 iranische Schüler, nach Geschlechtern getrennt, die Mädchen mit Kopftüchern, und prompt gab es Diskussionen. Auch die Erwachsenen merkten plötzlich, was es bedeutet, Dialog in die Praxis umzusetzen, nämlich, dass man auch konsequent sein muss, wenn man die Hand ausstreckt.“ Nach der ersten Aufregung unterwarfen sich die Initiatoren des Projektes der Toleranzformel „eigene Werte zu vertreten, aber zugleich kulturelle Entwicklungen in anderen Regionen zu akzeptieren – auch wenn diese nicht unbedingt kompatibel sind.“ Die Einstellung wurde belohnt. Als die UNO das Jahr 2001 zum Jahr des interkulturellen Dialogs erklärte, und die Projektgruppe die UNESCO auf sich aufmerksam machte, wurde sie prompt in deren Förderrahmen aufgenommen.
Reise nach Iran
„Die Iraner haben das Projekt sehr mitgeprägt, so dass es von einer theoretischen auf eine praktische Ebene heruntergeholt wurde,“ resümiert Grüter. Schon bald gehörten die iranischen Schüler zum Alltagsbild des Internats. Nach einem Angebot der iranischen Botschaft reiste eine Gruppe Internatler im Februar 2003 nach Teheran, Isfahan, Schiraz, und Persepolis. Unter anderem führte die Gruppe in den dortigen Schulen „sehr offene Gespräche“ über unterschiedliche Schulsysteme und Bildungsziele. Alle zeigten sich von dem Land sehr positiv überrascht. „Natürlich waren wir privilegiert untergebracht. Aber man fährt ja mit offenen Augen durch das Land und macht sich seine Gedanken." Die deutschen Mädchen sollen ihr Kopftuch jedenfalls gerne getragen haben.
Jetzt kommt Im Januar eine iranische Delegation aus Schülern und Lehrern nach Berlin. Andere Schulen, wie die Deutsche Schule in Teheran, sollen ebenfalls in das Projekt mit einbezogen werden. Sogar Bundestagspräsident Wolfgang Thierse lobte schon den beispielhaften „und wichtigen“ Jugendkontakt, den die Berliner initiiert haben.
Lennart Lehmann
© 2003, Qantara.de