Tod an Bord
In den letzten zehn Jahren kamen sechs Asylbewerber auf ihren Abschiebeflügen zu Tode, berichtet Amnesty International. Regierungen versuchen Alternativen zu Abschiebungen auf Passagierflügen zu finden, aber geht es um mehr Sicherheit für die Asylbewerber oder um effizientere Abschiebeverfahren? Tareq Al-Arab berichtet
Mohamed Aamir Ageeb starb einen qualvollen Erstickungstod. Bei seiner Abschiebung auf einem Passagierflug der Lufthansa nach Khartoum pressten drei Grenzschutzbeamte Ageebs Kopf zwischen seine Knie, nachdem sie ihm Hände und Beine gefesselt und einen Motorradhelm übergestülpt hatten. Kurze Zeit später war er tot. Nahezu fünf Jahre später, am 2. Februar 2004, begann der Gerichtsprozess. Der Ausgang des Verfahrens ist noch unklar. Den Grenzschutzbeamten drohen Haftstrafen von bis zu fünf Jahren.
Der Fall Ageeb ist keine Ausnahme. Der Argentinier Ricardo Barrientos starb nur Minuten, nachdem er das Flugzeug der Air France nach Buenos Aires betreten hatte. Der Abzuschiebende wurde von französischen Sicherheitskräften in Handschellen an Bord geleitet. Als er Widerstand leistete, zwangen sie ihn in den Flugzeugsitz und pressten seine Knie gegen seine Brust. Der 52jährige bekam keine Luft mehr und erstickte. Nur zwei Wochen nach Barrientos' Tod starb Mariame Getu Hagos, ein weiterer Abzuschiebender, auf einem Air France Flug.
"Diese Todesfälle sind seit 1991 die ersten, die auf französischem Territorium durch erzwungene Abschiebung erfolgten. Daher ist dringend eine eingehende Untersuchung nötig", sagt Neil Durkin, Pressesprecher von Amnesty International UK. "Die Anzahl der Todesfälle europaweit erfordert es dringend, dass diese Vorfälle eingehend untersucht werden."
Keine Menschenrechte für Asylbewerber?
Eine Untersuchung ist im Gange. Amnesty International fordert eine vollständige und unabhängige Untersuchung zu den Umständen von Barrientos' Tod, die die Ergebnisse offenlegt.
Abgelehnten Asylbewerbern ist es offenbar kaum möglich, ihre Menschenrechte einzufordern. "Ist die Person erst einmal an Bord und erfolgreich abgeschoben, ist die Möglichkeit, eine Klage einzureichen, gleich null", sagt Nicola Rogers, Rechtsanwältin der British Immigration Law Practitioners Association.
In Großbritannien vergeht keine Woche ohne Zwischenfälle, in denen abgelehnte Asylbewerber auf ihren Abschiebeflügen Widerstand leisten, sagen die für die Durchführung der Abschiebungen verantwortlichen privaten Firmen.
Tom Davies ist Geschäftsführer von Loss Prevention International, eines der Unternehmen, die Abschiebungen im Auftrag der englischen Regierung durchführt. Er erklärt, wie schwierig das Abschiebegeschäft geworden ist - besonders nach dem 11. September. Seitdem weigern sich viele Fluggesellschaften schlichtweg abzuschieben. "Gäbe es British Airways nicht, könnten wir so gut wie keine Abschiebungen mehr auf Passagiermaschinen durchführen", sagt Davies.
"Wir müssen jeden mit gültigem Ticket transportieren"
Die meisten Abschiebungen werden auf Passagierflügen durchgeführt.
"Wir müssen jeden transportieren", erklärt eine British Airways Mitarbeiterin. "Wir können da auch bei Abzuschiebenden keinen Unterschied machen, da sie ja ein gültiges Ticket haben. Das Innenministerium entscheidet, wann und mit welcher Fluggesellschaft sie zurückgeflogen werden. Wir haben dann keine andere Wahl, als das zu akzeptieren."
Obwohl es sich mit dem Kundenservice kaum vereinbaren lässt, sind Abschiebungen auf kommerziellen Flügen an der Tagesordnung.
"Ich habe ziemlich häufig solche Abschiebungen mitbekommen", sagt Enis Günay, ein British-Airways-Vielflieger. "Die armen Teufel werden in Handschellen gelegt und von zwei Sicherheitsleuten – auf jeder Seite einer – begleitet. Diese Leute sind doch ohnehin schon Verlierer, warum müssen sie zudem auch noch auf diese Weise gedemütigt werden?" fragt Günay.
Die Fluglinien sagen, sie seien an das Gesetz gebunden
Aktivisten versuchen seit Jahren die Fluggesellschaften dazu zu bewegen, sich aus dem Abschiebegeschäft zurückzuziehen. Die Fluglinien wiederum verweisen auf Gesetze, die ihnen die Hände binden.
Zu den Todesfällen von Barrientos und Hagos erklärt eine Pressesprecherin der Air France: "Wir müssen gelegentlich Ausländer bis an die Grenze transportieren. Diese Abschiebemaßnahmen werden vom Innenministerium von entsprechenden Behörden anderer Staaten durchgeführt. Die Grundlage hierfür sind administrative oder rechtliche Entscheidungen."
"Gemäß dem UK Immigration Act 1971 sind wir gesetzlich dazu verpflichtet, Abzuschiebende zu transportieren, wenn die Regierung es verlangt", erklärt ein BA Pressesprecher. Statewatch, eine unabhängige europäische Menschenrechtsorganisation, bestätigt, dass es in Großbritannien eine klare gesetzliche Verpflichtung für Fluggesellschaften gibt. Mehr noch: Flugkapitäne, die sich weigern, einen Abzuschiebenden zu transportieren, würden nach Abschnitt 27 des Immigration Acts eine strafbare Handlung begehen.
Flugkapitäne können Abschiebungen blockieren
Das britische Innenministerium erklärt, dass sich Flugkapitäne in Einzelfällen aus Sicherheitsgründen weigern können, einen Abzuschiebenden, der sich wehrt, zu transportieren. Auf die Frage hin, wie es möglich ist, dass sich einige Fluglinien seit kurzem kategorisch weigern können, Abschiebungen durchzuführen, blieb das englische Innenministerium eine Antwort schuldig: "Die Frage sollte man besser den Fluglinien stellen."
In jedem Fall ist die Situation zweischneidig. Fluggesellschaften müssen prinzipiell Abschiebungen durchführen. Wenn aber die Sicherheit des Flugs gefährdet ist, können sie eine Gesetzeslücke nutzen, um die Abschiebung zu verhindern. Der Flugkapitän hat an Bord die Hoheitsgewalt und kann sich weigern, einen Passagier zu befördern, wenn er die Sicherheit des Fluges durch ihn gefährdet sieht.
Klaus G. Meyer, Flugkapitän und ehemals Leiter der Arbeitsgruppe Recht und Mitglied des Vorstandes des deutschen Pilotenverbands Vereinigung Cockpit e.V, verweist darauf, dass Abschiebungen ein unkalkulierbares Risiko für Piloten darstellen können. "Nach nationalem und internationalem Recht beschränken sich die Befugnisse des verantwortlichen Luftfahrzeugführers darauf, für die Sicherheit und Ordnung des Fluges zu sorgen", erläutert Meyer.
Hierzu habe er gemäß dem rechtsstaatlichen Prinzip der Verhältnismäßigkeit das mildeste Mittel anzuwenden. Sei bereits vor Flugantritt abzusehen, dass Sicherheit und Ordnung nur unter Zwangsanwendung aufrechterhalten werden können, sei das mildeste Mittel, den Abzuschiebenden nicht an Bord zu nehmen. "Wenn die Befugnisse der Begleitbeamten vom Kommandanten abgeleitet werden, ist dieser auch im rechtlichen Sinn verantwortlich, sollte der Abzuschiebende Schaden erleiden", resümiert Meyer.
"Möchten Sie abgeschoben werden?"
Vereinigung Cockpit rät ihren Mitgliedern, sich zu weigern, einen Abzuschiebenden zu transportieren, der nicht "freiwillig" fliegt. Dies entspreche der Politik des Weltpilotenverbandes IFALPA, der die Begriffe "willing to travel" bzw. "not willing to travel" eingeführt hat. Cockpit geht sogar soweit, ihren Mitgliedern dazu zu raten, die Freiwilligkeit zu ermitteln. Man solle die Person befragen, um jedes Risiko oder juristische Folgen zu vermeiden.
Fluggesellschaften wie British Airways oder Air France möchten sich nicht auf eine definitive Politik, nach der man von Abschiebungen per se absieht, festlegen. "Wir weigern uns, Abschiebungen durchzuführen, aber nur von Fall zu Fall – und wenn es einen vernünftigen Grund dafür gibt", erklärt ein British Airways Pressesprecher.
"Es muss erst einen Skandal geben, bevor Unternehmen sich um ihr Values Management kümmern", wird Dirk Gilbert, Professor an der European Business School, auf der Webseite Anti-Abschiebungsaktivisten "Deportation Class" zitiert. Im Falle von Lufthansa scheint das zuzutreffen. Seit Ageebs Tod lehnt die Fluglinie Abschiebungen gegen den Widerstand der Betroffenen grundsätzlich ab.
Asylanten "auf würdevolle Art" abschieben
Einige europäische Regierungen haben vor kurzem alternative Wege für Abschiebungen in Betracht gezogen: Von Gruppendeportationen auf Charterflügen bis hin zu Abschiebungen über Land in Bussen, Zügen oder zivilen Polizeifahrzeugen.
Nach Meinung des britischen Innenministerium sind Charterflüge eine "würdevolle Art, Abzuschiebende zurückzuführen". Die abgelehnten Asylbewerber stünden auf Charterflügen unter der Aufsicht von medizinisch ausgebildetem Personal. Dennoch sind Abschiebungen auf Passagierflugzeugen nach wie vor die gängige Praxis.
Welche Nachteile die alternativen Abschiebemöglichkeiten auch haben mögen: Auf Passagierflügen finden Abschiebungen zumindest unter den Augen vieler Zeugen statt. Kritiker weisen aber immer wieder darauf hin, dass der Schutz der Abzuschiebenden durch unabhängige Beobachter gewährleistet sein muss – ganz egal, auf welchem Weg die Abschiebungen erfolgen.
Tareq Al-Arab
© Qantara.de 2004