Hoffnung für Frauen auf mehr Gleichberechtigung
Kaum ein anderes Thema hat die Weltöffentlichkeit so sehr beschäftigt wie das Schicksal der unterdrückten Frauen unter dem Taliban-Regime: Berufsverbot, keine Bildung für Mädchen, Erscheinen in der Öffentlichkeit niemals ohne Burqa und nur in männlicher Begleitung, ein entrechtetes Leben in den eigenen vier Wänden.
Tödliche Armut
Gul Anar ist eine ganz normale Frau aus dem ländlichen Afghanistan. Ihr Schicksal hat nichts mit den menschenverachtenden Verboten des Taliban-Regimes zu tun, sondern mit Tradition und Glauben. Gul Anar lebt in einem kleinen Dorf aus Lehm in den zerklüfteten Bergen Nordafghanistans. Sie ist Ende 20 und ihr Ehemann ist über 50 Jahre alt. Die beiden sind verheiratet, so lange sie denken kann.
Gul Anar war gerade zehn, als ihr älterer Bruder sie verkaufte. "Ich war sehr traurig, als ich heiraten musste. Ich bin nicht glücklich mit meinem Leben", sagt sie. "Was ist das denn für ein Leben? Mich hat nie jemand gefragt. Mein Bruder hat mich verkauft, weil die Familie arm war. Ich bin auch arm. Mein Mann ist alt und schwach. Wir haben nicht genug zu essen. Wir haben keine warmen Sachen für den Winter."
Vom Recht Geld zu verdienen
Gul Anar steht die Angst ins Gesicht geschrieben, sie fürchtet ihr nächstes Kind zu verlieren. Von den sieben, die sie geboren hat, leben nur noch drei. "Ich wollte meine Kinder zum Arzt bringen. Aber mein Mann hat mir kein Geld gegeben."
Gul Anar ist nie zur Schule gegangen. Wie fast 90 Prozent aller Frauen im ländlichen Afghanistan kann sie nicht lesen und nicht schreiben. Sie weiß nicht, was eine Verfassung ist, aber sie hat einen klaren Wunsch. "Ich will in die Schule gehen. Und dann will ich arbeiten. In der Fabrik, auf dem Feld, egal wo. Ich will das Recht haben, eigenes Geld zu verdienen."
Problem: die Umsetzung der neuen Gesetze
Der Entwurf der afghanischen Verfassungskommission berücksichtigt ihren Wunsch. Nach dem Grundrechtekatalog soll jeder Afghane das Recht auf Bildung und das Recht auf Arbeit haben. Alle Bürger des Landes sollen die gleichen Rechte haben. Wenn die große Ratsversammlung unserer Vision tatsächlich zustimmt, dann haben wir einen wichtigen Schritt in die Zukunft gemacht, glaubt die afghanische Frauenministerin Habiba Sorabi.
Aus dem geschriebenen Papier eine gelebte Realität im ganzen Land zu machen, wird allerdings ungleich schwerer. In den Dörfern der Provinz sind noch die Kriegsfürsten, die Mullahs und die Stammesältesten die obersten Autoritäten. "Das Umsetzen der Verfassung ist wirklich meine große Sorge. Wir müssen unsere Richter und unsere Polizei ausbilden und trainieren. Sie müssen dafür sorgen, dass die Gesetze respektiert werden", betont Sorabi.
"Und wir müssen natürlich die Frauen ausbilden. Die Frauen müssen lernen, was ihre Rechte und was ihre Pflichten sind, damit sie sich im Alltag verteidigen können, ohne die Grenzen des heiligen Islam zu überschreiten." Die afghanische Frauenrechtlerin Homa Sabri aus Kabul hätte sich gewünscht, dass die Verfassung ein Zeichen setzt. Und nicht nur ganz allgemein von afghanischen Bürgern, sondern ausdrücklich von Frauen und Männern spricht.
Das würde die Frauen noch stärker schützen, glaubt die Mitarbeiterin der Vereinten Nationen. Es ist eine Aufgabe von Jahrzehnten, das Leben der afghanischen Frauen zu verbessern. Und es geht nur, wenn Frauen und Männer durch Bildung andere Lebensentwürfe kennenlernen. Ein viertel Jahrhundert Krieg hat sie müde und mürbe gemacht.
Bausteine für die Zukunft
Ob und wie schnell Afghanistans Frauen die neue Verfassung im Alltag spüren können, hängt nicht zuletzt von drei Dingen ab: wie weit der Arm der Übergangsregierung von Präsident Hamid Karsai in Zukunft reicht. Wie konsequent alle nicht gewählten Machthaber entwaffnet werden. Und wie stark sich das Ausland auf Dauer in Afghanistan engagiert.
Sandra Petersmann © DEUTSCHE WELLE / DW-WORLD.DE 2003