Gegen Wiederernennung und Erbfolge
Im September 2005 sollen die Ägypter der erneuten Ernennung Husni Mubaraks als Staatspräsident zustimmen. Dagegen macht sich offene Opposition breit. Ahmad Saif al-Islam Hamad, Exekutiv-Direktor des Hisham-Mubarak-Zentrums für Recht, erläutert in einem Interview mit Mona Naggar die Hintergründe der Bewegung.
Bereits seit vielen Monaten laufen Kampagnen, durch die verhindert werden soll, dass Husni Mubarak zum fünften Mal die Regierungsmacht erhält. Besonders heftig wird diese Diskussion gerade in jüngster Zeit geführt - warum?
Ahmad Saif al-Islam Hamad: Das rührt daher, dass innerhalb der ägyptischen Bevölkerung das Empfinden wächst, eine echte Reform der Politik tue nun endlich Not, wobei an erster Stelle das Verfahren zur Wahl des Präsidenten der Republik stehen muss. Das derzeit praktizierte Vorgehen sieht vor, dass ein Drittel des Parlaments einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Republik bestimmt, über dessen Ernennung daraufhin das Volk abstimmen muss.
Seit den 80er Jahren wird in Ägypten immer wieder gefordert, dieses Vorgehen zu ändern, also das Grundgesetz dahingehend zu ändern, dass echte Wahlen unter mehreren Kandidaten stattfinden - und zwar ohne die durch das Parlament vorgenommene Filterung.
Die Veränderungen im Nahen Osten, besonders nach der anglo-amerikanischen Besetzung des Irak haben in Ägypten Ressentiments geschürt. Die Reaktion der ägyptischen Regierung empfand man als unangemessen, die Position Ägyptens in der arabischen Welt und auch international scheint durch Mubaraks Politik geschwächt. Hinzu kommen die Bemühungen, die ein Teil der ägyptischen Regierungsvertreter zur Amtsübertragung an Mubaraks Sohn Gamal Mubarak unternimmt.
Nun sind verschiedene Gruppierungen entstanden, die genau dieses Thema frühzeitig in die ägyptische Öffentlichkeit tragen wollen.
Welche Standpunkte werden in dieser Diskussion hauptsächlich vertreten?
Hamad: Zwei Bewegungen treten besonders hervor. Da ist einmal "Die Volkskampagne für Veränderung" (al-Hamla al-sha'abiyya min agl al-taghyir). Als diese Gruppierung im September 2004 an die Öffentlichkeit trat, wurde die Pressekonferenz, die zu diesem Zweck veranstaltet werden sollte, von der Regierung verboten. Man startete die Kampagne daher über das Internet.
Zum anderen gibt es "Die Ägyptische Bewegung für Veränderung" (al-Haraka al-misriyya min agl al-taghyir). Beide Bewegungen haben so ziemlich dasselbe Motto: 'Nein zur Verlängerung der Amtszeit Mubaraks, Nein zur Übertragung des Amts an seinen Sohn, Ja zur Änderung des Grundgesetzes und zur Wahl eines Präsidenten unter mehreren Kandidaten.'
Eine dritte Gruppierung tritt hauptsächlich über das Internet in Aktion. Das ist "Die Bewegung für eine friedliche Veränderung in Ägypten" (Harakt al-taghyir al-silmi fi Misr), die Amru Musa als Präsidentschaftskandidaten vorschlägt und auf ihrer Website Unterschriften sammelt.
Auch die legalen Oppositionsparteien haben ein Komitee aus acht Parteien gebildet, genannt "Komitee für eine nationale Übereinkunft für Reformen" (Lignat al-wifaq al-watani li-l-islah), in dem widersprüchliche Ansichten vertreten werden.
Die Anhänger der " Volkskampagne für Veränderung" gehören verschiedenen politischen Richtungen an, es gibt Nasseristen unter ihnen, Kommunisten, Muslimbrüder, manche sind politisch unabhängig oder liberal eingestellt, dabei meist der Hizb al-ghad ("Partei von morgen") verbunden, viele gehören außerdem NGOs an, die sich für die Menschenrechte stark machen.
Die Bewegung wird größtenteils von einer politisch interessierten Elite getragen. Man kann nicht behaupten, dass sie auch in der breiten Masse Fuß gefasst hat. Das hat vielerlei Gründe, etwa das erhebliche Ausmaß an Despotismus des politischen Systems oder auch die Tatsache, dass die Bewegung etwas ganz Neues für die ägyptische Gesellschaft darstellt.
Es ist das erste Mal, dass sich die Leute bereits so früh für den Kampf um das Präsidentenamt interessieren, ein ganzes Jahr vor dem Urnengang. Das gehörte früher zu den roten Linien, es war nicht erlaubt, den Staatspräsidenten zu kritisieren, in der ägyptischen Gesellschaft galt das genau so als Tabu wie das Sprechen über Sex oder die Religion.
Dass man sich über diese rote Linie hinwegsetzt, ist neu, das läuft seit etwa eineinhalb Jahren, und darin besteht für mich die eigentliche Errungenschaft. Ich denke, wer auch immer der neue Präsident der Republik wird, selbst wenn es Husni Mubarak, Umar Sulaiman oder Gamal Mubarak werden sollte – er wird sich mit einer Gesellschaft konfrontiert sehen, die es sich nicht nehmen lässt, den Präsidenten und seine Politik zu kritisieren und seine Legitimität in Frage zu stellen.
Wie reagiert die Regierung auf die Aktionen der Reformkampagnen?
Hamad: Es besteht ein gewisses Maß an Toleranz seitens der Regierung, allerdings versucht man schon, den Anhängern einer solchen Bewegung Fesseln anzulegen und denjenigen abzuschrecken, der sich ihr anschließen will.
Als beispielsweise die "Die Volkskampagne für Veränderung" die Absicht bekannt gab, zum Auftakt ihrer Kampagne eine Pressekonferenz im Syndikat der Rechtsanwälte zu veranstalten, wurde erheblicher Druck auf das Syndikat ausgeübt, die Konferenz abzublasen, was dann auch geschah.
Und als die "Ägyptische Bewegung für Veränderung" ein Theater für eine politische Konferenz anmietete, während derer man die Standpunkte der Bewegung bezüglich Wiederernennung und Erbfolge bekannt geben wollte, wurden die Besitzer dieses Theaters unter Druck gesetzt, damit die Reservierung storniert wird.
Mittlerweile wurden die Bestimmungen zur Buchung von Konferenzräumen in Hotels oder bei den Gewerkschaften und Vereinen geändert. Grundvoraussetzung für eine Reservierung ist nun die Zustimmung eines Sicherheitsbeauftragten des Staates. Bis jetzt gibt es zwar keine schriftliche Richtlinie dazu, aber so wird es jetzt als eine Form der Schikane gehandhabt.
Gleiches gilt für die Verhaftung des Präsidenten der "Partei von morgen", Aiman Nur, und seines Kollegen Aiman Barakat sowie die Verhaftung von drei Mitarbeitern des 'Zentrums für sozialistische Studien', die beschuldigt werden, zu der Demonstration auf der Buchmesse am 4. Februar aufgerufen zu haben.
Gleichzeitig ist die Regierung aber bestrebt, sich reformfreudig zu zeigen, was wohl auf ausländischen Druck zurückzuführen ist, oder eben dem Bild entspricht, wie die Regierung im Ausland wahrgenommen werden will.
Wie wird sich das politische Szenario in Ägypten in den kommenden Monaten entwickeln?
Hamad: Ich erwarte einen Konflikt innerhalb der Regierung, in dem es drei Fronten geben wird: Die einen haben genug von Husni Mubarak und wollen, dass Umar Sulaiman die Macht ergreift. Die anderen hoffen auf Gamal Mubarak und eine dritte Richtung strebt einen Mittelweg an, indem sie eine Verlängerung der Amtszeit Husni Mubaraks unterstützt, und dies im vollen Bewusstsein, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage sein wird, sie zu beenden, was letztlich einem Entscheidungsaufschub gleichkommt.
Zum Zuge kommen werden vermutlich die Befürworter den Mittelweg. Ich habe meine Zweifel, ob Gamal Mubarak eine echte Chance zur Regierungsübernahme haben wird, aus einem ganz einfachen Grund: Das ägyptische Militär wird nicht akzeptieren, dass ihm die Macht aus den Händen gleitet, besonders angesichts der heiklen Lage an Ägyptens Grenzen, in Palästina, im Sudan, aber auch im Irak.
Zwar ist das ägyptische Militär auf der Bühne der nationalen Politik längst nicht so präsent wie das zum Beispiel in der Türkei, in Pakistan oder in Algerien der Fall ist, aber wir dürfen es auch nicht ignorieren.
Ich glaube, dass es zu einer Verlängerung von Husni Mubaraks Amtszeit kommen wird, die doch überschattet sein wird von allgemeiner Missbilligung. Die Ägypter haben das Gefühl, dass die wirtschaftliche und politische Krise und die Korruption eng mit den Regierungsoberhäuptern verbunden sind. Daher sind Gamal, Ala, Husni und Suzan Mubarak auch Gegenstand der meisten ägyptischen Witze.
Kann Europa, indem es Druck ausübt, einen positiven Anstoß zur Umsetzung politischer Reformen in Ägypten geben?
Hamad: Das Problem ist, dass Europa und die westlichen Staaten insgesamt keinen konsequenten Standpunkt hinsichtlich der Demokratie und der Menschenrechte vertreten. Ich will Ihnen ein Beispiel geben: In Ägypten herrscht Ausnahmezustand, und in den Gefängnissen wird gefoltert. Zu Recht wird beides von den westlichen Regierungen prinzipiell abgelehnt.
Gleichzeitig übersehen sie geflissentlich sowohl die Ausnahmezustände als auch die Folterungen auf der anderen Seite der Grenzen. Diese selektive Kritik bezüglich der Menschenrechte schwächt die Opposition und schadet der Bewegung, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzt.
Warum? Weil es bedeutet, dass auf der Agenda nicht das Thema Menschenrechte steht, sondern dass es eine verdeckte Agenda mit Forderungen an die ägyptische Regierung gibt, und wenn die Regierung diese akzeptiert, wird die Lage der Menschenrechte ignoriert.
Das Interview führte Mona Naggar
Aus dem Arabischen von Stefanie Gsell
© Qantara 2005
Ahmad Saif al-Islam Hamad ist Exekutiv-Direktor des Hisham-Mubarak-Zentrums für Recht.