Kostenlose Propaganda
Vor zehn Jahren hätten bärtige Herren mit Turban, die im Fernsehen von der islamischen Weltrevolution predigen, nur ungläubiges Stirnrunzeln hervorgerufen. Die meisten europäischen Zuschauer hätten an einen Scherz oder eine "versteckte Kamera" gedacht. Doch heute sind religiöse Bartträger ein wiederkehrender Bestandteil der Nachrichten – allen voran Osama Bin Laden und sein Vize Ayman al-Zawahiri.
Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 posieren die beiden Al-Qaida-Führer regelmäßig in Video- oder Audiobotschaften, die von den internationalen Medien rund um die Welt getragen werden. In handlichen Stücken versteht sich, denn die Monologe über den Endsieg des Islam sind dem heutigen, an Abwechslung gewohnten Medienkonsumenten nicht zumutbar und sprengen jedes vorhandene Sende- oder Seitenformat. Bin Laden und Zawahiri wird das egal sein. Eine bessere, kostenlose Propaganda ist kaum vorstellbar.
Neue Kommunikationsmethoden
Die Terrorchefs kennen die Medienwelt jedoch gut genug, um zu wissen, bei jedem Format, egal wie erfolgreich es auch laufen mag, ergeben sich mit der Zeit Abnutzungserscheinungen. Deshalb haben beide Al-Qaida-"Anchormen" wohl ihre Medienabteilung "Al-Sahab" beauftragt, sich ein neues Kommunikationsformat einfallen zu lassen, das ein bisschen frischen Wind in die eintönige Präsentation bringt.
As-Sahab entschied sich für ein interaktives Element bei der neuen Propaganda. Etwas, das heutzutage bei Fernsehen, Radio oder Zeitung fester Bestandteil der PR-Strategie ist und "Kundenanbindung" erzeugt.
Im Zeitraum von Dezember 2007 bis Januar 2008 konnten alle Menschen, die des Arabischen mächtig waren, ihre Fragen an Ayman al-Zawahiri auf den einschlägigen Sympathisanten-Webseiten der Gruppe richten.
Letzte Woche kamen nun die Antworten per Audiobotschaft vom Al-Qaida-Vize, der sich sehr erfreut zeigte, dass eine ganze Flut von Fragen eingegangen war. "Mit Hilfe Allahs", so Zawahiri, habe er die "90 wichtigsten" ausgewählt und sein Augenmerk ganz besonders auf die kritischen Fragen gerichtet.
Ein unbeabsichtigter Irrtum
Schon beim ersten Fragekomplex wird deutlich: Al-Qaida hat ihr neues Interaktionsspiel nicht alleine zu PR-Zwecken lanciert, sondern auch, um sich zu rechtfertigen. "Wer ist es, der in Ihrem Namen die Unschuldigen in Bagdad, Algerien und Marokko tötet? Warum schlägt Ihre Organisation nicht in Israel zu? Ist es etwa leichter, Muslime auf Märkten umzubringen?" Themen, die auch bei anderen Fragestellern immer wieder kommen.
Der Mord an vielen Tausenden von Zivilisten ist für sie inakzeptabel und hat Al-Qaida nahezu sämtliche Sympathien unter Muslimen gekostet, die es nach dem 11. September 2001 zum Teil gegeben hatte. Statt den wahren Feind anzugreifen, tötet man muslimische Frauen und Kinder.
Was Israel betrifft, mag Ayman al-Zawahiri mit seiner Antwort vielleicht noch einige Sympathisanten überzeugen, als er sich mit den Anschlägen auf eine Synagoge in Tunesien und auf israelische Touristenhotels in Kenia brüstete. "Haben wir in Kenia nicht auch zwei Raketen auf eine El-Al-Maschine abgeschossen?"
Über den Tod unschuldiger Zivilisten sagt er dagegen nur, "wir haben keine Unschuldigen getötet", und sollte es dennoch vorgekommen sein, "dann war es ein unbeabsichtigter Irrtum."
Menschliche Schilde
In Algerien gab es heftige Kritik an diesen Aussagen – dort, wo am 11. Dezember 2007 41 Menschen, die meisten davon Algerier, bei einem Al-Qaida-Anschlag auf das Gebäude der UNO ums Leben kamen.
In Bagdad ist es nicht anders. Dort sterben täglich Unzählige beim Einkaufen, auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule. Für die betroffenen Familien der Opfer wird es belanglos sein, wenn al-Zawahiri sich damit rechtfertigt, dass die Besatzungstruppen im Irak, Zivilisten als "menschliche Schilde" missbrauchen. Eine Argumentation, wie sie übrigens auch von US-Präsident George W. Bush benutzt wird, um die "Kollateralschäden" unter der irakischen Zivilbevölkerung zu erklären.
Von "menschlichen Schilden", hinter denen sich die Hisbollah-Terroristen verstecken, sprach auch die israelische Regierung während des Libanon-Kriegs im Sommer 2006 – ebenfalls, um den Tod von Unschuldigen zu kaschieren.
Gegen US-Amerikaner und ungläubige Schiiten
Ansonsten sind die Fragen und Antworten recht uninteressant und an islamistische Insider gerichtet: So fragt man etwa nach der Position Al-Qaidas zur Hamas und zu Yussuf al-Qardawi, einem einflussreichen ägyptischen Scheich, der beim arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira auftritt oder auch nach der Haltung al-Qaidas zum Iran.
Al-Zawahiri spricht vom Untergang der USA, der mit 9/11 begonnen habe und, wie bei allen großen Imperien, nicht von heute auf morgen stattfindet, sondern noch zehn Jahre dauern könne.
Gegen einen möglichen amerikanischen Angriff auf den Iran hätte der Al-Qaida-Vize nichts einzuwenden – schließlich ginge es gegen schiitische Ungläubige, die die reine, sunnitische Lehre nur besudeln. Wie auch immer der Sieger in diesem Konflikt heißen möge, er wäre geschwächt und könnte dann umso leichter von Al-Qaida angegriffen und vernichtet werden.
Alfred Hackensberger
© Qantara.de 2008
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