Türkische Aleviten fordern Anerkennung

Die neue Bereitschaft der türkischen Regierung, auf die alevitische Minderheit zuzugehen, stößt bei vielen Aleviten auf Misstrauen. Eine Einladung zum Abendessen mit Ministerpräsident Erdogan wurde von den meisten Aleviten-Organisationen abgelehnt. Andreas Gorzewski berichtet.

Türkischer Ministerpräsident Tayyip Erdogan; Foto: AP.
"Wir gehören alle zu diesem Land, wir sind alle Brüder": Erdogans Versöhnungsangebote werden von alevitischen Vereinen kritisch gesehen.

​​Nach Ansicht alevitischer Verbände hat die konservative Regierungspartei AKP in den vergangenen fünf Jahren nichts gegen die Benachteiligung der Religionsgemeinschaft getan. Deshalb trauen sie den jüngsten Dialogangeboten von Erdogan nicht. Als sich Regierung und Alevitenvertreter erstmals zu einem symbolträchtigen Abendessen zusammensetzen sollten, blieb die Mehrzahl der Aleviten-Organisationen dem Treffen fern.

Das Abendessen anlässlich der alevitischen Fastenzeit ging auf den AKP-Abgeordneten Reha Camuroglu zurück, der selbst Alevit ist. Allerdings erntete Camuroglu mit seinen Vermittlungsbemühungen bei seiner Glaubensgemeinschaft vor allem Kritik.

Das Misstrauen gegenüber der Regierung sitzt tief. Izzettin Dogan, Vorsitzender der CEM-Stiftung, vermutete hinter dem Dialoginteresse der AKP Wahlkampftaktik. So wolle die Partei neben den sunnitischen Muslimen nun auch Aleviten ansprechen. Laut Ali Yildirim, Leiter des Alevitischen Forschungszentrums, verfolgt die AKP eine Assimilationspolitik. Die Regierungspartei wolle die Glaubensgemeinschaft in die türkische Behördenstruktur integrieren, um ihr dadurch ihre Eigenart zu nehmen.

Die Rolle der EU

Abseits der Mutmaßungen über innenpolitische Gründe für die neue Gesprächsbereitschaft steht Ankara auch unter Druck der EU. In den Fortschrittsberichten zu den EU-Beitrittsverhandlungen wird die fehlende Anerkennung und Gleichbehandlung der 10 bis 20 Millionen Aleviten in der Türkei kritisiert.

Erdogan betonte bei dem Abendessen die Gemeinsamkeiten zwischen sunnitischen Muslimen und Aleviten: "Wir gehören alle zu diesem Land, wir sind alle Brüder." In der religiösen Praxis gibt es allerdings nur wenige Gemeinsamkeiten zwischen dem Alevitentum und dem sunnitischen oder schiitschen Islam.

Aleviten beten nicht fünfmal am Tag, fasten zu einer anderen Zeit als dem Ramadan und pilgern nicht nach Mekka. Die Angehörigen der Religionsgemeinschaft, die unter Türken wie Kurden verbreitet ist, verrichten ihre Gebete nicht in Moscheen, sondern in so genannten Cem-Häusern. Diese Cem-Häuser sind jedoch nicht offiziell als Gebetsstätten anerkannt, wie ein Verwaltungsgericht in Ankara kürzlich erneut feststellte.

Der alevitische Glaube entwickelte sich im Mittelalter in Anatolien. Dabei vermischten sich islamische und nicht-islamische Einflüsse. Wegen ihrer religiösen Besonderheiten wurden Aleviten über Jahrhunderte hinweg als vermeintliche Ungläubige verketzert und immer wieder verfolgt.

Keine eigenen Rechte?

Aus Sicht der heutigen türkischen Religionsbehörde Diyanet ist das Alevitentum Teil der islamischen Tradition. Damit ist es nach offizieller Lesart aber keine selbstständige Religionsgemeinschaft mit eigenen Rechten. Dagegen protestieren viele Aleviten empört.

Allerdings sind die knapp 300 alevitischen Organisationen in der Türkei heillos zerstritten über die Frage, wie ihr Glaube zum Islam steht. Während einige Aleviten sich durchaus als Muslime sehen, siedeln andere ihre Religion außerhalb des Islam an.

Umstritten ist auch, wie die geforderte Anerkennung genau aussehen soll. Einige Verbände fordern staatliche Förderung. Dazu zählt ein Gehalt für alevitische Geistliche, die im Gegensatz zu sunnitischen Imamen kein Geld vom Staat bekommen. Außerdem verlangen einige Organisationen eine eigene Vertretung in der Religionsbehörde. Andere wollen dagegen eine völlige Zerschlagung der Religionsbehörde, die bislang nur dem sunnitischen Islam dient.

Androhung des Gemeindeausschlusses

Seltene Einigkeit unter den größten Organisationen herrschte nur im Boykott des Abendessens. Dieses Essen habe nur den Zweck gehabt, die Forderungen der Aleviten unter den Teppich zu kehren, schimpfte Turan Eser, Vorsitzender der Alevitisch-Bektaschitischen Föderation. Den dennoch teilnehmenden Aleviten wurde sogar die religiöse Verstoßung aus der Gemeinschaft angedroht.

Angesichts dieser strikten Ablehnung hagelte es jedoch Kritik in den Medien. Taha Akyol, Kolumnist der Tageszeitung "Milliyet", wertete Erdogans Gesprächsangebot als Chance zur Lösung eines uralten Konflikts.

"Parteipolitischer oder ideologischer Fanatismus darf das nicht verhindern", betonte Akyol. Kommentator Mehmet Metiner fragte in der Zeitung "Bugün": "Kann man soviel Angst vor dem Dialog haben?"

Andreas Gorzewski

© Qantara.de 2008

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