Terrorismus pur in Samarra
Seit dem Bombenanschlag auf den Askari-Schrein in Samarra, einem der größten Heiligtümer der Schiiten im Irak, überzieht eine Welle der Gewalt das Land. Denn das Attentat in Samarra war ganz offensichtlich eine gegen schiitische Gläubige gerichtete gezielte Provokation von sunnitischer Seite. Peter Philipp kommentiert.
Der Anschlag auf den Askari-Schrein in Samarra fällt ohne jeden Zweifel in die Kategorie "Terrorismus pur". Denn es ging hier nicht einfach um Sachbeschädigung. Den Tätern und ihren Hintermännern war klar, dass der Anschlag auf solch eine heilige Stätte Wut und Zorn der schiitischen Bevölkerung auslösen würde.
Und die Täter haben damit billigend in Kauf genommen, haben es vermutlich sogar gezielt darauf angelegt, dass die durch ihre Tat ausgelösten Unruhen Menschenleben kosten würden. Und zwar nicht nur unter den Schiiten, sondern ebenso sicher auch unter Sunniten - zu denen die Täter ja wohl gehören dürften.
Solch kaltblütiges Vorgehen entspricht dem Kalkül von Terroristen. Und die Warnung des irakischen Präsidenten Dschalal Talabani vor einem Bürgerkrieg ist nicht überzogen.
Hinter der Strategie der Angreifer steht einzig und allein ein Ziel: Jede Normalisierung im Irak zu verhindern und die verschiedenen Religionsgruppen gegeneinander aufzubringen - koste es, was es wolle.
Denn eine Normalisierung - wie wir sie zum Beispiel mit den Wahlen des zurückliegenden Jahres und der Ausarbeitung einer Verfassung wenigstens im Ansatz beobachtet haben - bedeutet das Ende der Macht derer, die bisher im Irak die Vorherrschaft ausübten.
Auch der letzte Sunnit muss eingesehen haben, dass seine arabisch-sunnitischen Glaubensgenossen mit knapp zwanzig Prozent Bevölkerungsanteil in einem demokratischen System an den Rand gedrückt werden. Nicht jeder greift dafür zum Sprengstoffgürtel und Raketenwerfer, aber die es doch tun, können den Prozess natürlich nachhaltig stören.
Weder die Zentralregierung - und erst recht nicht die Amerikaner - werden in der Lage sein, solches aufzuhalten. Dazu ist jetzt die Besonnenheit der religiösen Führer gefragt, auf die man ja immerhin noch hört. Etwa der schiitische Großayatollah Ali Al-Sistani, der sich immer wieder - so auch jetzt - gegen Gewalt gewendet hat.
Gelingt es, die Lage wieder zu beruhigen, dann muss dieser Anschlag eine Aufforderung sein, die immer tiefere Spaltung des Irak in religiöse Gruppierungen zu überwinden. Lange Jahre war der Irak ein weitgehend säkulares Land. Und es wäre wünschenswert, wenn es gelänge, Politik und Religion auseinander zu halten. Nur so kann vermieden werden, dass die religiösen Unterschiede und Gegensätze von den verschiedensten Gruppen immer wieder missbraucht werden.
Im Ausland, besonders in Europa, sollte man die Ereignisse in Samarra und anderswo im Irak nun aber nicht als Beispiel dafür werten, dass diese nur unter Muslimen vorkommen können - wie mancher im Zusammenhang mit dem Karikaturenstreit zu behaupten wagte.
Man denke einmal, was passieren würde, wenn islamistische Fanatiker den Kölner Dom angriffen. Ein absurdes Beispiel? Vielleicht. Aber nach dem Mord am Filmemacher van Gogh dauerte es nicht lange und die ersten Moscheen brannten in den Niederlanden.
Peter Philipp
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2006
Qantara.de
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