Wenn Antisemitismus und Islamophobie Hand in Hand gehen
Viktor Orbán, der Mitbegründer und Vorsitzende der ungarisch-konservativen Partei Fidesz, dürfte George Soros früher einmal recht dankbar gewesen sein. Denn im Jahr 1988 wurde der damals 25-jährige Orbán als Absolvent der Rechtswissenschaften Mitglied der von der Soros Foundation finanzierten Studiengruppe Central-Eastern Europe. Ein Jahr später erhielt er ein Stipendium der Soros Foundation für einen Forschungsaufenthalt zum Studium der Geschichte der englischen liberalen Philosophie am Oxforder Pembroke College.
In jüngerer Zeit spendete Soros eine Million Dollar an die Regierung Orbán. Die Gelder waren für den Wiederaufbau der Orte bestimmt, die beim Kolontár-Dammbruch im Jahr 2010 mit giftigem Schlamm aus einer nahe gelegenen Aluminiumfabrik überflutet worden waren.
Doch heute kommt Viktor Orbán kein Wort des Dankes gegenüber George Soros über die Lippen. Im Gegenteil: Er überzieht seinen ehemaligen Wohltäter stattdessen mit einer bösartigen Kampagne.
In seiner aggressiven Rhetorik rekurriert er nicht nur auf antisemitische Stereotype, sondern lädt seine verbalen Angriffe gegen Soros auch islamophob auf. Überraschenderweise (oder auch nicht) fiel diese Symbiose aus Antisemitismus und Islamophobie auch in anderen Ländern Europas und sogar in den USA auf fruchtbaren Boden.
Eine Symbiose aus Antisemitismus und Islamophobie
Orbán steht zwar selbst nicht im Ruf, antisemitisch zu sein, er gilt aber als gnadenloser Opportunist. Und so macht er seinen ehemaligen Wohltäter Soros heute zum Sündenbock für das Versagen der ungarischen Regierung.
Soros ist Projektionsfläche für Orbáns populistische Rhetorik gegen EU-Reformen und für eine illiberale Politik. Er rezipiert Soros-feindliche Verschwörungstheoretiker in Ost- und Mitteleuropa, von denen viele antisemitisch denken und vehement ihre Theorien über „jüdische Verschwörungen zur Erringung der Weltherrschaft" verbreiten.
Orbán schreckt nicht vor der Verwendung antisemitischer Schmähbilder zurück. So spricht er darüber, dass Soros über "Reichtum, Macht, Einfluss und ein Netz von NGOs" verfügt, und nennt ihn einen "Milliardär-Spekulanten". Als seine Regierung eine Anti-Einwanderungskampagne startete und dazu Plakate mit dem Slogan "Lass nicht zu, dass Soros zuletzt lacht" klebte, wurde Soros Konterfei mit antisemitischen Parolen, wie "dreckiger Jude", verunstaltet.
Gegen Soros eingenommene Politiker in Ost- und Mitteleuropa fallen in den Chor ein. So bezeichnete ein polnischer Abgeordneter ihn gar als "den gefährlichsten Mann der Welt".
Orbán belässt es jedoch nicht bei der Zuschreibung antisemitischer Stereotype, sondern bezichtigt Soros und die EU auch, Europa "muslimisieren" zu wollen. So behauptete er in einer Rede Ende Juli, das "Soros-Imperium" setze "Geld, Menschen und Institutionen [ein], um Migranten nach Europa zu bringen".
In Orbáns Rhetorik bedrohen Soros und die EU als dessen angeblicher "Mitverschwörer" den christlichen Charakter Europas. "Europa ist dabei, sein Territorium einem neuen gemischten, islamisierten Europa zu überlassen. [...] Damit dies geschehen kann und damit das Territorium für die Übergabe bereit ist, wird die Entchristianisierung Europas fortgesetzt betrieben; wir sind Zeuge dieser Bemühungen", so Orbán.
Im Fahrwasser rechtsextremer Bewegungen
Orbáns islamophobe Anschuldigungen gegen Soros werden von streng rechten Gruppen in Europa und in den USA übernommen, die den ungarischen Philanthropen wegen seiner angeblichen Unterstützung der "Islamisierung" angreifen.
Führende islamophobe Köpfe polemisieren gegen Soros. Manche porträtieren ihn als Nazi-Sympathisanten, der Islamisten nahesteht, die die "letzten Koalitionspartner von Adolf Hitler im zweiten Weltkrieg sind, die noch nicht besiegt wurden" – wie eine rechtsextreme Website es formulierte:
"Könnte es sein, dass der gespenstische George Soros wieder Gott spielt? Ist es tatsächlich möglich, dass der große Puppenspieler die Fäden beim Niedergang Europas zieht?", heißt es in einem Beitrag eines islamophoben Blogs. Und weiter: "George Soros plant – oder vielmehr diktiert –, wie sich Europa durch den Import von muslimischen Horden in seinen Untergang fügt".
Die Anti-Soros-Kampagne erreichte sogar den US-Kongress. Sechs Senatoren unterzeichneten einen Brief, in dem sie Staatssekretär Rex Tillerson dazu auffordern, die Finanzierung aus USAID-Mitteln der Soros Open Society Foundation und deren Aktivitäten in Mazedonien und Albanien zu untersuchen. Anscheinend beruhte das Schreiben auf einem Pamphlet, das dem Kongress von einer mazedonischen Gruppe namens "Stop Operation Soros" zugespielt wurde.
Die Wurzeln des Antisemitismus und Rassismus
Dass Soros in dieses rassistische Agglomerat aus Antisemitismus und Islamophobie hineingezogen wurde, überrascht indes nicht.
Seit Jahrhunderten sind die Figuren des Muslims und des Juden als die Personifizierung des Anderen im westlichen rassistischen Gedankengut miteinander verbunden. Der amerikanische Literaturwissenschaftler Edward Said bezeichnete den Orientalismus als einen "seltsamen, heimlichen Aspekt des westlichen Antisemitismus".
Historisch betrachtet sehen sich Juden und Muslime ähnlichen Schuldzuweisungen, rassistischen Tropen und Nachstellungen ausgesetzt. Westeuropäer benutzten beide als Projektionsfläche, zu der sie sich als rassisch rein, weiß und christlich abgrenzten. Im Mittelalter wurden Juden der Brunnenvergiftung und der Anstachelung zur Ermordung von Christen und Muslimen beschuldigt. Während der Reformation galten Juden als die Gefährten des Teufels im Pakt mit den muslimischen Türken.
Heute geht die „internationale jüdische Verschwörung“ in den Köpfen vieler Rechtsradikaler mit der "Islamisierungsverschwörung" Hand in Hand. Viele träumen von einem rein weißen und christlichen Europa.
Dieser Traum zieht seit Jahren eine blutige Spur nach sich: So ist das vom rechtsextremen Massenmörder Anders Behring Breivik verfasste Manifest mit dem Titel "2083 - A European Declaration of Independence" voller islamophober und antisemitischer Phantasien.
Antisemitismus und Islamophobie stehen miteinander in Verbindung. Man sollte sich bewusst machen, dass beide Formen des Rassismus heute ebenso wie in der Vergangenheit zusammengehen. Wer den intrinsischen Zusammenhang zwischen Islamophobie und Antisemitismus nicht erkennt, stärkt rassistische Ideologen und rechtspopulistische Politiker – seien es die Breiviks oder die Orbáns unserer Zeit.
Farid Hafez
© Qantara.de 2017
Farid Hafez ist ein Politikwissenschaftler und Senior Research Fellow Bridge Initiative an der Georgetown University.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers