Warnung vor einer Verschärfung der Konflikte
Wie berichteten arabische Medien über die Ausschreitungen der Jugendlichen in den französischen Vorstädten? Im Vordergrund standen die ökonomischen und sozialen Probleme der Migranten, aber auch die muslimische Seite wurde scharf kritisiert, beobachtete Götz Nordbruch.
"Handelt es sich hier um ein Problem mit terroristischen Muslimen, oder um eines mit einem rassistischen Staat, der seine Armen auf eine Weise behandelt, die sich nicht wesentlich vom Apartheid-System in Südafrika unterscheidet?"
Faisal al-Qasem, Moderator einer Talkshow auf al-Jazeera, ist bekannt für seine provokanten Fragen. Die Auswahl der Gäste trägt ein Übriges zur großen Popularität seiner Sendung bei, in der in der vergangenen Woche der Einwanderungsbeauftragte der regierenden französischen Partei UMP, Abderrahmane Dahmane, und Haitham Manaa, Sprecher der Arabischen Liga für Menschenrechte, aufeinander trafen.
Thema der Sendung waren die Unruhen in den Banlieues Frankreichs, die in arabischen Medien aufmerksam verfolgt wurden. Die rassistischen Diskriminierungen und die ökonomischen und sozialen Probleme, denen sich die Bevölkerung dieser Vororte gegenüber sieht, standen in arabischen Reaktionen auf die Ausschreitungen im Vordergrund.
Die Unzufriedenheit mit den bestehenden Verhältnissen, in denen sich gerade Jugendlichen mit arabischem oder afrikanischem Familienhintergrund zahlreichen Benachteiligungen ausgesetzt sehen, war dabei Anlass genug, vor einer Verschärfung der Konflikte zu warnen.
"Die Revolte von 2005 erinnert uns an die Studentenrevolte, die Frankreich 1968 erlebte und die den Anfang vom Ende der Ära de Gaulles darstellte. Diesmal allerdings wird sie von Immigranten getragen, und sie könnte sich von chaotischer Gewalt in organisierte politische Gewalt verwandeln", warnte etwa die ägyptische Wochenzeitung Uktubar vor den Auswirkungen der Krise.
Tödliches Gespann
Neben einer Kritik von Rassismus und Diskriminierungen durch die französische Mehrheitsgesellschaft wurden von verschiedener Seite aber auch scharfe Vorwürfe gegenüber den muslimischen Organisationen erhoben. Die Selbstabgrenzung gegenüber der französischen Gesellschaft, die von Verbänden wie der Union des Organisations Islamiques de France (UOIF) befördert werde, trüge zu einer Verschärfung der Konflikte bei, urteilten zahlreiche Kommentatoren.
Die Fatwa (islamisches Rechtsgutachten), die von der UOIF veröffentlicht wurde, um die Unruhen einzudämmen, hätte in dieser Hinsicht ein völlig falsches Signal gegeben: "Statt den Gesetzen der französischen Republik zu folgen, sollen sich Muslime in Frankreich [nach Vorstellung dieser Organisationen] an Fatwas der Muslimbrüder orientieren. Zahlreiche Mittelmänner und Schlichter, die mehrheitlich islamistischen Gruppierungen angehören, sind auf lokaler Ebene aufgetaucht und präsentieren sich als Alternative zur staatlichen Autorität", schrieb Amir Taheri in der Tageszeitung al-Sharq al-Awsat.
"Es ist unklar, wer zuerst da war. Aber der militante Islamismus und die ebenso militante Islamophobie bilden ein tödliches Gespann, welches Frankreich in unsicheres Gewässer führt."
Vorbild für die Golfstaaten?
In der Berichterstattung über die Ereignisse in Frankreich ging es allerdings nicht allein um die dortigen Verhältnisse, sondern vielfach auch um deren Auswirkungen und Lehren für andere Regionen in Europa und der Welt.
Angesichts der Benachteiligungen der Jugendlichen, deren Eltern oder Großeltern nach Frankreich immigriert waren, sprach Hussein Shabakshi in einem Kommentar ausdrücklich von einer "französischen Lektion", von der auch die Golfstaaten lernen könnten.
In den Golfstaaten lebe "eine große Anzahl asiatischer Arbeiter, von denen viele unter sehr schweren Bedingungen arbeiten. Sollte sich diese Situation fortsetzen oder sich eventuell noch verschlimmern, könnte dies zu schwerwiegenden Konflikten führen", wie sie nun in Frankreich zu beobachten seien, schrieb er in al-Sharq al-Awsat.
Ähnlich urteilt auch Burhan Ghalioun, der in einem Beitrag für al-Jazeera Online die internationale Dimension dieser "Revolte der Marginalisierten" hervorhebt. Angesichts der Probleme, die mit der fortwährenden Einwanderung in die Industrieländer verbunden seien, könne es nicht allein um nationale Lösungen gehen.
"Die Verwirklichung von internationalem Frieden und von Sicherheit verlangt ernsthafte Verhandlungen auf globaler Ebene, an denen alle Völker beteiligt sind, um eine einverständige Lösung für alle Probleme der Welt zu finden", betont Ghalioun.
Notstandsregelung aus der Zeit des Algerienkriegs
In diesem Kontext ist die Geschichte des Kolonialismus für viele arabische Kommentatoren aktueller denn je. Die abfälligen Kommentare des französischen Innenministers Nicolas Sarkozy über die an den Unruhen beteiligten Jugendlichen und insbesondere die Reaktivierung einer Notstandsregelung aus der Frühphase des Algerienkrieges haben dazu ein Übriges beigetragen.
"Es ist wirklich erstaunlich, dass die französische Regierung in einer ersten Reaktion auf die Krise den Imam der Pariser Moschee empfing, um damit 'ihre Wertschätzung gegenüber der islamischen Community' zum Ausdruck zu bringen", kommentierte Nahla al-Shahhal in der Zeitung al-Hayat.
"Dabei machte sie sich keine Gedanken darüber, wie provokant dieser Schritt war und welch symbolische Bedeutung ihm zukam, da dies genau das Gegenteil von dem bewirken könnte, was intendiert war. Das Ganze ging soweit, dass man den Ausnahmezustand im Land verhängte, indem man ein Gesetz hervorholte, welches eigens für die Auseinandersetzung mit dem algerischen nationalen Befreiungskampf geschaffen worden war.
"Dieses Gesetz wurde für das Gemetzel in Algerien geschaffen, bekannt wurde es durch jenen schwarzen Tag im Oktober 1961, an dem eine friedliche Demonstration von Zigtausenden Arbeitern und algerischen Immigranten – Familien mit Frauen und Kindern - mit einem furchtbaren Blutbad unterdrückt wurde." Etwa 200 Algerier waren damals in Paris umgekommen.
Götz Nordbruch
© Qantara.de 2005
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Unruhen in Frankreich
Fatwa gegen Revolten
Während Frankreichs rechte Presse hinter den Ausschreitungen radikale Islamisten wittert und die Konflikte in den Banlieues weiter anheizt, treten dort muslimische Verbände immer deutlicher als Ordnungshüter in Erscheinung – im Interesse der französischen Politik. Über Ursachen und Hintergründe der Krawalle in Frankreich berichtet Bernhard Schmid
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"Trotz gemeinsamer Sprache gibt es keine Verständigung"
Seit über einer Woche liefern sich vor allem junge nordafrikanische Migranten Straßenschlachten mit der Polizei in den Trabantenstädten der französischen Metropolen. Für den in Frankreich lebenden libanesischen Schriftsteller Amin Maalouf ist dies ein deutliches Anzeichen für eine seit langem vernachlässigte Integrationspolitik in Frankreich.
Studie über Muslime in Frankreich
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"Franzosen wie die anderen?" Unter diesem Titel erscheint diesen Monat eine Studie des "Zentrums für das Studium des französischen Lebens" (Cevipof), die mit einigen gängigen Klischees über Muslime mit Migrationshintergrund aufräumt. Bernhard Schmid informiert aus Paris.