Gegen toxische Männlichkeit

MMA-Sportler Khabib Nurmagomedov zeigt seine Muskeln
Sportler und Influencer Khabib Nurmagomedov posiert als Kämpfer und Muslim, aber taugt er auch als Vorbild? (Foto: Picture Alliance / AA | Stringer)

An der Uni Münster untersuchen islamische und christliche Theolog*innen Männlichkeitsbilder. Mit ihrer Forschung bringen sie religiöse und soziale Erkenntnisse und Lösungsansätze zusammen, auch um das Feld nicht allein Influencern zu überlassen.

Von Ulrike Hummel

Es ist kurz vor 18 Uhr an einem Dienstagabend im April im Schloss der Universität Münster. Einer der Hörsäle im Erdgeschoss füllt sich mit Gästen, während draußen im Park noch ein Fotoshooting mit Mouhanad Khorchide stattfindet. 

Der Professor leitet das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT), das 2011 als erste bekenntnisorientierte islamisch-theologische Uni-Einrichtung in Münster gegründet wurde. Anlässlich der Eröffnung einer neuartigen Forschungsstelle wird er gleich einen Vortrag halten. 

Es geht um Fragen von Männlichkeit – um die Auseinandersetzung mit Männlichkeitsidealen aus Sicht von Muslim*innen, aber auch aus katholischer und evangelischer Perspektive. Die Bedeutung der künftigen Forschungsarbeit für Heranwachsende mit und ohne Zuwanderungsgeschichte werde man dabei besonders im Blick haben, sagt Khorchide. „Was ist Mann sein im migrantischen, im muslimischen Kontext? Das ist ein Forschungsdesiderat, kaum jemand beschäftigt sich damit.“ 

Angesiedelt ist die neue „Arbeitsstelle für kritische, interdisziplinäre und interreligiöse Männlichkeitsforschung“ – kurz AKIIM – am ZIT, wo man sich seit 2025 mit hoher Motivation diesen Fragen widmet. Ziel ist es, die Rolle von Männern in unterschiedlichen gesellschaftlichen Zusammenhängen zu untersuchen. Auch progressive Männlichkeit am Beispiel von Väterarbeit soll Thema sein.  

Mit Blick auf die zunehmende Gefahr des Islamismus und anderer Formen von religiösem Fundamentalismus will man in Münster auch einen Beitrag zur Radikalisierungs- und Fundamentalismusforschung leisten, sagt Khorchide, der das Projekt zusammen mit David Koch, einem katholischen Theologen, initiiert hat. 

 „Wenn man sich zum Beispiel die Radikalisierungsszene im Internet anschaut, ist es zum großen Teil ein Männerphänomen. Dahinter stecken auch bestimmte Männlichkeitsbilder, die destruktiv sind“, führt Khorchide aus.  

Ziel sei es, die kritische Männlichkeitsforschung auch ins Münsteraner Programm für die Weiterbildung von Imamen und Sozialarbeiter*innen aufzunehmen. Denn durch diese könne man – so die Hoffnung – auch Moscheegemeinden erreichen.  

Interdisziplinär und interreligiös

Männlichkeitsforschung hat vor allem in den USA seit den achtziger Jahren eine Tradition, ist aber auch in Deutschland nicht neu. Das Neuartige des Münsteraner Forschungsvorhabens ist der interdisziplinäre und interreligiöse Ansatz. 

„Wir verstecken uns nicht in einem Elfenbeinturm, wir forschen nicht nur anhand von heiligen Texten, sondern schauen auch darauf, was die soziale Arbeit uns sagen kann, wie uns die Psychologie, die Kriminologie mit ihren Erkenntnissen weiterhelfen kann“, betont der katholische Theologe Koch. Auf diesem Wege wolle man zu einer besseren Theologie, zu einer besseren Rede von Gott kommen, die allen weiterhilft. 

Dass die Forschungsstelle ihre Basis in der islamischen Theologie ansiedelt und interreligiös ausgerichtet ist, sei wichtig, „da Religion sowohl Teil des Problems als auch Teil der Lösung sein kann“, sagt Khorchide. Wenn beispielsweise fundamentalistische Piusbrüder gegen das Selbstbestimmungsrecht von Frauen demonstrieren, ist das problematisch. Aber Religion kann auch Teil der Lösung sein, etwa wenn patriarchale Männlichkeitsvorstellungen in Teilen der islamischen Welt durch Koranexegese widerlegt werden. 

Fikri Anıl Altıntaş, Buchautor und Journalist mit Fokus auf Männlichkeitsfragen, wird künftig als Kooperationspartner mit an Bord sein. Eines seiner Themen: mediale Darstellungen von muslimischen Männern in Deutschland. „Es gibt nicht per se die islamischen Männlichkeitsbilder, weil der Islam natürlich immer in soziale Rahmenbedingungen eingebettet ist“, sagt Altıntaş.  

Man wisse aber, dass die Art der Religiosität unter muslimischen Jugendlichen einen Einfluss darauf haben kann, wie sich Geschlechterrollen manifestieren. Wüchsen junge Muslime in einem familiären und sozialen Umfeld auf, in dem patriarchale Männlichkeitsvorstellungen dominieren und vorgelebt werden, bestehe eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sie diese später übernehmen. 

Seminarraum Universität Münster
Ergebnisse der Männlichkeitsforschung sollen auch in die Lehre einfließen: Khorchide beim Unterrichten in Münster (Foto: Ulrike Hummel)

Toxische Männlichkeitsvorbilder mit vielen Followern

Wer Männlichkeitsforschung aus islamisch-theologischer Sicht betreiben will, kommt auch an umstrittenen Influencern nicht vorbei. Andrew Tate etwa, ein US-Amerikaner, der 2022 zum Islam konvertierte und auf Onlineplattformen eine toxische Auffassung von Männlichkeit predigt, ist für viele junge Männer ein Vorbild. 

Auch zu den russisch-muslimischen Influencern Islam Makhachev und Khabib Nurmagomedov schauen viele Männer auf. Die aus Dagestan stammenden Kampfsportler haben durch ihre Sportlerkarrieren beachtliche Follower-Zahlen auf ihren Social-Media-Kanälen gewonnen.  

Die beiden sind stolze Muslime und wollen der Welt zeigen, wie ein echter Muslim zu sein hat. Gern lassen sie sich ablichten, selbst zusammen mit Donald Trump, vor allem aber mit ihren muskulösen Körpern, den Kampfeswillen ins Gesicht geschrieben, gelegentlich auch mit Kalaschnikow unterm Arm. 

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Nicht selten haben Männlichkeits-Influencer auch frauenfeindliche Ansichten. „Wir sehen ja, dass es sich lohnt”, sagt David Koch, „auch in der Politik scheint man damit erfolgreich zu sein, sodass sich viele Männer fragen, warum sie sich eigentlich für Gleichberechtigung einsetzen sollen.“ 

„Mit Männlichkeit wird Politik gemacht”, sagt Fikri Anıl Altıntaş, „und Männlichkeit wird oftmals auch dafür benutzt, sexistische Stereotype zu manifestieren, die dann häufig als Einfallstor für geschlechtsspezifische Gewalt gelten.“  Makhachev und Nurmagomedov, die beiden Influencer aus Dagestan, stehen für ein fragwürdiges Männlichkeitsbild. Mit ihren Kurz-Videos suggerieren sie Unbesiegbarkeit, Macht und Reichtum – und das kommt offenbar bei vielen an.  

Aber warum?  

„Ich glaube, das liegt daran, dass viele junge Männer orientierungslos sind. Sie bekommen missverständliche Botschaften, wie sie zu sein haben, und suchen verzweifelt nach Vorbildern, die sie aber nicht finden“, sagt Koch. „Und wenn sie welche finden, sind das sehr problematische Vorbilder wie im Kampfsport oder Influencer, die offen misogynen Ansichten vertreten.“  

Erklärbar sei der Erfolg patriarchaler und toxischer Männlichkeitsvorstellungen auch durch politische und gesellschaftliche Rahmenbedingungen. „Wir haben es mit multiplen gesellschaftlichen Krisenmodi zu tun, wo der Rückgriff auf traditionelle Männlichkeit vermeintlich Sicherheit bietet“, sagt Altıntaş. 

In Münster ist man entschlossen, diesen gefährlichen Entwicklungen entgegenzuwirken. Die Forschungsarbeit soll auch in die Lehrmaterialien für den islamischen Religionsunterricht einfließen und somit junge Muslime in deutschen Schulen erreichen.  

Zum anderen wird eine enge Zusammenarbeit mit dem Bundesforum Männer und dem Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW angestrebt. Die Forschungsergebnisse sollen dann durch Multiplikatoren in die Praxis übertragen werden, um gesellschaftliche Veränderungsprozesse mitzugestalten. 

 

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