Hoffen auf Gerechtigkeit
Abir Farhud spricht routiniert. Sie erzählt nicht zum ersten Mal, dass der Leiter der Abteilung 215 des Militärgeheimdienstes in Damaskus alle Frauen nacheinander in sein Büro bestellt. Wie auch sie sich hat ausziehen müssen und er ihre Brüste betatscht hat. Das war im Dezember 2012. Die 30jährige Absolventin der Kunsthochschule Damaskus hatte friedlich demonstriert, Medikamente durch Checkpoints geschmuggelt und Lautsprecher in Mülleimern versteckt, um öffentliche Plätze mit Revolutionsliedern zu beschallen. "Eine tolle Zeit", erinnert sie sich.
Bis zu ihrer Festnahme. Während die anderen Frauen in ihrer Zelle vor allem mit Schlägen und Elektroschocks gequält wurden, kämpfte Abir mit psychologischer Folter. "Sie haben mich vor den Soldaten nackt in den Korridor gestellt und gedroht, sie würden meine Jungfräulichkeit testen, weil ich eine Hure der Freien Syrischen Armee sei", sagt die Aktivistin. Die Demütigungen und Beleidigungen seien so verletzend gewesen, dass sie sich manchmal Schläge mit dem Stock statt mit Worten gewünscht hätte, fügt sie hinzu.
Was Abir während der 33 Tage und 11 Verhöre in Abteilung 215 erlebt hat, erzählt sie dieser Tage dem Generalbundesanwalt. Denn sie ist eine von neun syrischen Zeugen, die in Deutschland Strafanzeige gegen führende Mitglieder des Militärgeheimdienstes erstattet haben.
Ein Fall für die deutsche Justiz?
Opfer und mutmaßliche Täter sind Syrer, die Verbrechen haben in Syrien stattgefunden – und doch könnte der Fall vor einem deutschen Gericht landen. Denn die Bundesrepublik erkennt das sogenannte Weltrechtsprinzip an, wonach manche Straftaten so schrecklich sind, dass sie die ganze Welt angehen. Dazu zählen Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Werden diese weder in dem betroffenen Land noch international juristisch verfolgt, können nationale Gerichte einspringen. Genau das passiert im Falle Syriens. Weil Russland mit seinem Veto im Weltsicherheitsrat den Weg zum Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag versperrt, klagen erfahrene Juristen jetzt vor Gerichten in Europa.
Für den syrischen Anwalt Anwar al-Bunni ist das ein Durchbruch. In Syrien gelte seit 50 Jahren eine Politik der Straflosigkeit, sagt er, die Anklagen machten damit endlich Schluss. Al-Bunni hofft, Haftbefehle gegen die Täter erwirken zu können – damit sich berüchtigte Geheimdienstchefs wie Ali Mamluk, der Leiter des Nationalen Sicherheitsbüros, für immer verstecken müssten.
Der syrische Jurist arbeitet eng mit dem Europäischen Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) zusammen, das die Anzeige Anfang März bei der Bundesanwaltschaft eingereicht hat. Diese verhört jetzt die ersten Zeugen – ein positives Signal nach nur zwei Monaten, meint ECCHR-Anwalt Patrick Kroker. Karlsruhe führt seit 2011 einStrukturermittlungsverfahren zur Lage in Syrien, jetzt müssten gezielte Ermittlungen gegen die Angeklagten und internationale Haftbefehle folgen, fordert Kroker.
In Spanien sind bereits neun Vertreter des Militärgeheimdienstes wegen Staatsterrorismus angeklagt. Das Verfahren basiert auf den Fotos des Militärfotografen "Caesar", der im Auftrag des syrischen Regimes 6.786 getötete Gefangene fotografierte und diese Bilder aus dem Land schmuggelte. Abgemagerte, geschundene Körper. Nie zuvor habe er etwas so schreckliches gesehen, sagt der britische Anwalt Toby Cadman, der "Caesar" befragt hat. "Industrialisierte Folter an Kindern, Frauen, Alten – das sind keine Terroristen, sondern normale Leute."
Institutionalisierte Gewalt
Es sind Menschen wie der 43jährige Lieferwagenfahrer Abdul, der 2013 in einem Haftzentrum in Damaskus starb. Seinein Spanien lebende Schwester erkannte ihn auf den Fotos und tritt als Anklägerin auf. Da sie spanische Staatsbürgerin ist und in Spanien die Verwandten von Verschwundenen selbst als Opfer gelten, kann ein spanisches Gericht aktiv werden. "Wir argumentieren nicht, dass ein Mann willkürlich verhaftet, verschleppt, gefoltert und hingerichtet wurde, sondern wir reden von einer staatlichen Politik, die von oberster Stelle der syrischen Regierung beschlossen wurde", erklärt Cadman, der den Fall betreut.
Diese Systematik ist der Hauptunterschied zwischen den Verbrechen des Assad-Regimes und den Gräueltaten anderer Kriegsparteien in Syrien. Auch Rebellen foltern Gefangene, auch der IS tötet willkürlich und auch bei US-Luftangriffen sterben Zivilisten. Aber die Gewalt Assads ist institutionalisiert, ein ganzer Staatsapparat ist mit der Vernichtung von Zivilbevölkerung beschäftigt.
James Rodehaver, Koordinator der UN-Untersuchungskommission für Syrien, spricht von einer "institutionellen Struktur mit eindeutigen Praktiken von schwerem Missbrauch, Verweigerung von humanitärer Hilfe und unmenschlichen Haftbedingungen, die sämtlich den Tatbestand der Massenvernichtung erfüllen". Damit zählten die Verbrechen des Regimes zu den schwersten im Recht der Menschheit, so Rodehaver.
Ausreichendes Beweismaterial
Beweise gibt es genug, auch schriftliche. Die Kommission für Internationale Gerechtigkeit und Verantwortung (CIJA) hat etwa eine Million syrischer Dokumente gesichert, die Befehlsketten und Verantwortlichkeiten beweisen.Und auch die "Caesar"-Fotos führen direkt zu Regime-Vertretern. Denn an den Leichen der Gefangenen sind Nummern angebracht. "Unglaublich" findet das der ehemalige Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda Stephen Rapp. "Wir hatten keine Beweismittel in Form von Dokumenten wie in Syrien", so Rapp.
Selbst in Nürnberg habe es das nicht gegeben. "Die Nazis hatten den Leichen keine Nummern aufgemalt, so dass man hätte feststellen können, wer sie sind und wo man ihnen das angetan hatte. Um dann herauszufinden wer für diesen Ort zuständig war", erklärt der Staatsanwalt. "Dieses Regime denkt, es kommt damit davon."
Genau das dürfe nicht passieren, meint Rapp. Denn sonst läge das über Jahrzehnte errichtete System internationaler Völkerrechts- und Schutzbestimmungen in Trümmern. "Es gibt Regeln, etwa dass man keine Krankenhäuser angreift", sagt der Jurist. "In Syrien zielen sie auf medizinische Einrichtungen." Wenn solche Verbrechen straflos blieben, würden Machthaber anderswo ermutigt, das gleiche zu tun. "Ungerechtigkeit an einem Ort gefährdet die Gerechtigkeit überall", warnt Rapp.
Das Trauma der Folter
Gerechtigkeit sei ein Ziel der syrischen Revolution, sagt Khaled Rawas, ein weiterer Zeuge des ECCHR. Der Student der Ingenieurwissenschaften organisierte Proteste und wurde zweimal verhaftet. Auch er landete in Abteilung 215, ein Jahr vor Abir – seiner damaligen Mitstreiterin und heutigen Frau.
Khaled wurde schwer misshandelt, aber schlimmer war für den 28jährigen, als er den Qualen zweier Häftlinge einmal zuschauen musste. "Sie haben mit einer Eisenkette auf sie eingeschlagen, an der ein Haken befestigt war, so dass Fleischfetzen aus ihren Körpern herausgerissen wurden", erinnert er sich. Die Schreie und Bilder werde er nicht mehr los.
Viele ihrer früheren Freunde seien tot, verhaftet oder verschwunden, erzählt Abir. Wer konnte, hat sich in Sicherheit gebracht und Syrien verlassen. Im Land selbst gebe es kaum noch Möglichkeiten für ziviles Engagement, sagt sie.
Denn die Aktivisten würden zwischen dem staatlichen Terror Assads und dem nicht-staatlichen Terror der Dschihadisten aufgerieben. Für Khaled ist die Anklage in Deutschland Teil eines Heilungsprozesses, der Hoffnung auf Gerechtigkeit gibt. Für Abir ist sie die Fortsetzung der Revolution mit juristischen Mitteln. "Es gibt uns noch, die friedliche Zivilbewegung", betont sie. Und diese fordere weiterhin Freiheit und einen Rechtsstaat für Syrien.
Kristin Helberg
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