Ein lang erhoffter Durchbruch
Der Weg war lang, der Ausgang der Verhandlungen über das iranische Atomprogramm bis zuletzt offen. Zwar zeichnete sich bereits in den Tagen vor Ablauf der Frist ab, die sich die Islamische Republik und die fünf UN-Vetomächte und Deutschland zur Einigung auf ein Grundsatzabkommen gesetzt hatten, dass es irgendein Ergebnis geben würde. Doch als die Gespräche im schweizerischen Lausanne in der Nacht zu Mittwoch wieder einmal in die Verlängerung gingen, war die Skepsis vielerorts groß, dass es für mehr als eine vage Erklärung reichen würde.
Weitreichende Zugeständnisse des Iran
Der Aktionsplan, der zwei Tage nach Fristende am Donnerstagabend der Welt präsentiert wurde, war dann aber tatsächlich der lang erhoffte Durchbruch. Nicht nur ist der Plan deutlich konkreter, als zuletzt befürchtet wurde, sondern er geht auch deutlich weiter, als viele Beobachter zuletzt erwartet hatten. Die Vereinbarung, die nun bis Ende Juni zu einem umfassenden Abkommen ausgearbeitet werden soll, enthält weitreichende Zugeständnisse des Irans in den wichtigsten Streitpunkten von der Urananreicherung bis zur Laufzeit des Abkommens.
Die Vereinbarung sieht im Einzelnen vor, dass Teheran die Zahl der Zentrifugen zur Urananreicherung für 15 Jahre von derzeit 19.000 auf 6.000 Maschinen der ersten Generation reduziert, wovon nur 5.000 Maschinen in der Anlage von Natanz zur Urananreicherung benutzt werden sollen. Die zweite verbunkerte Anlage in Fordow soll auf 1.000 Zentrifugen reduziert und ausschließlich zu Forschungszwecken genutzt werden. Alle anderen Zentrifugen sollen unter Aufsicht der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) eingelagert werden.
Der Iran soll zudem Uran künftig nur noch auf 3,67 Prozent anreichern dürfen, verbleibende Bestände höher angereicherten Urans sollen weitgehend beseitigt werden. Der halbfertige Schwerwasserreaktor von Arak soll so modifiziert werden, dass er kein waffenfähiges Plutonium produzieren kann. Verbrauchte Brennelemente aus dem Reaktor sollen außer Landes geschifft werden. Zudem sagt Teheran zu, keine Wiederaufbereitungsanlage zu errichten, sowie auch sonst für 15 Jahre keine neuen Anreicherungsanlagen oder Schwerwasserreaktoren zu bauen.
Verpflichtung zum Verbot von Atomwaffen
Darüber hinaus verpflichtet sich die Islamische Republik seine Atomanlagen, seine Uranminen sowie assoziierte Produktionsanlagen für bis zu 25 Jahre umfassenden Kontrollen durch die IAEA-Inspekteure zugänglich zu machen. Der Iran will zudem das Zusatzprotokoll ratifizieren, das der IAEA erweiterte Kontrollrechte gibt. Außerdem verspricht die iranische Führung, neue Anlagen frühzeitig zu melden. Auch nach Ende des Abkommens bleibt der Iran Mitglied des Nichtverbreitungsvertrags, der IAEA-Kontrollen zulässt und die Entwicklung von Atomwaffen verbietet.
Im Gegenzug für diese Zugeständnisse sollen das Ölembargo der EU und der USA aufgehoben sowie die anderen im Atomstreit verhängten Finanz- und Wirtschaftssanktionen schrittweise gelockert werden, sobald der Iran seine Verpflichtungen umsetzt. Auch die über die Jahre verhängten UN-Sanktionen sollen komplett aufgehoben werden – allerdings sollen die darin enthaltenen Handelseinschränkungen für Atom- und Raketentechnologie sowie für konventionelle Waffen in einer neuen UN-Resolution fortgeführt werden.
Insbesondere die Einschnitte bei der Urananreicherung und dem Schwerwasserreaktor gehen weit über das hinaus, was zu Beginn der Verhandlungen im Herbst 2013 möglich schien. Auch die Dauer der Einschnitte ist mit 15 Jahren länger, als noch bis vor Kurzem erwartet wurde. Laut den USA steigt dadurch die Zeit, die zur Erzeugung des für eine Atombombe nötigen Urans erforderlich ist, auf ein Jahr – wobei Experten seit Langem darauf verweisen, dass daraus dann erst noch ein funktionierender Sprengkopf entwickelt und dieser getestet werden müsste.
Richtungsweisender Schritt für weltweite Sicherheit
Die Vereinbarung ist also ein wichtiger Schritt, dem Iran die Möglichkeit zur kurzfristigen Entwicklung von Atomwaffen zu nehmen. Die Reaktionen der Verhandlungspartner fielen denn auch positiv aus – allen voran die des iranischen Außenministers Mohammed Jawad Zarif und seines Amtskollegen John Kerry, die die letzten Tage unermüdlich um eine Einigung gerungen hatten. US-Präsident Barack Obama würdigte in einer nüchternen, aber nachdrücklichen Ansprache die Einigung als Schritt, der "die USA, ihre Verbündeten und die Welt sicherer machen" werde.
Aus Teheran wurden Freudenfeiern auf den Straßen gemeldet, als die Nachricht der Einigung verbreitet wurde. Die Iraner leiden seit Jahren massiv unter dem Ölembargo und den Finanz- und Handelssanktionen, die die Staatseinnahmen haben einbrechen lassen, die Inflation in die Höhe getrieben, die Währung entwertet und zu Versorgungsengpässen geführt haben. Ein Großteil der Bevölkerung erhofft sich von der schrittweisen Aufhebung der Sanktionen eine allmähliche Verbesserung ihrer Lebenssituation.
Vehementer Widerstand aus Israel
Ganz anders wurde die Vereinbarung in Israel bewertet. Geheimdienstminister Yuval Steinitz kritisierte, die Einigung sei "abgekoppelt von der traurigen Realität in der Region". Und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu kündigte noch vor Bekanntgabe der Details in Lausanne an, in den kommenden Monaten weiter gegen das Abkommen zu kämpfen. Er forderte, jedes Abkommen müsse "die atomaren Fähigkeiten des Irans deutlich zurückrollen und seinen Terrorismus und seine Aggression stoppen" – wobei wohlgemerkt Letzteres nie Teil der Verhandlungen war.
Netanjahu gleicht schon seit längerem dem römischen Staatsmann Cato der Ältere mit seinem legendären Ausspruch "Und im Übrigen denke ich, dass Karthago zerstört werden muss", wenn er wieder einmal warnt, der Iran sei kurz davor, die Bombe zu erlangen. Anfang März brüskierte er sogar seinen wichtigsten Verbündeten, als er im eklatanten Bruch mit dem diplomatischen Protokoll ohne vorherige Absprache mit dem Weißen Haus in einer Brandrede vor dem US-Kongress warnte, Obama sei dabei, sich vom Iran über den Tisch ziehen zu lassen.
Die US-Republikaner stehen Netanjahu in ihrer Ablehnung der Verhandlungen kaum nach. Eine Gruppe von Senatoren unternahm Anfang März sogar den beispiellosen Schritt, in einem offenen Brief die iranische Führung zu warnen, dass ein Abkommen der Zustimmung des Kongresses bedürfe und es ein künftiger Präsident "mit einem Federstrich" aufkündigen könne. Damit stellten sie nicht nur das Vorrecht des Präsidenten in der Außenpolitik in Frage, sondern weckten auch grundlegende Zweifel an der Verlässlichkeit rechtlicher Zusagen der USA.
Ohne Kompromiss keine Einigung
Nach der Einigung in Lausanne forderte der republikanische Mehrheitsführer John Boehner erneut, das Abkommen dem Kongress zur Zustimmung vorzulegen. Obama hatte sich zuvor dafür ausgesprochen, dass der Kongress es prüft, doch davor gewarnt, es zum politischen Streitobjekt zu machen. Sollte der Kongress das Abkommen zu Fall bringen, werde die Staatengemeinschaft den USA dafür die Schuld geben, warnte Obama. "Lasst uns niemals aus Furcht verhandeln, aber auch nie fürchten zu verhandeln", zitierte er seinen Vorgänger John F. Kennedy.
Die geradezu hysterischen Reaktionen in Israel und bei den Republikanern ließen vermuten, dass die USA dabei wären, sich bedingungslos den iranischen Forderungen zu beugen. Doch weder der Verhandlungsverlauf noch die Vereinbarung von Lausanne geben dem Recht. Die Kritiker scheinen zu vergessen, dass es in Verhandlungen ohne Kompromiss keine Einigung geben kann. Ein Kompromiss aber erfordert Zugeständnisse beider Seiten. Das Festhalten an Maximalforderungen lässt jeden Sinn für Diplomatie und die Realität vermissen.
Zudem bleiben die Kritiker eine Antwort schuldig, wie eine Alternative aussehen sollte. Obama hat völlig Recht, als er in seiner Ansprache warnte, wer glaube, der Iran würde durch zusätzliche Sanktionen zur Aufgabe seines Atomprogramms gebracht, irre. Luftangriffe, so sagte er ebenfalls zu Recht, würden das iranische Atomprogramm nur um einige Jahre zurückwerfen, dafür aber die Region in einen weiteren Krieg stürzen. Diplomatie ist eindeutig die einzige Lösung. Und in diesem Fall hat sie ein für beide Seiten gutes Ergebnis erzielt.
Ulrich von Schwerin
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