Erfreut ist, wer sie sieht

Mit seinen Ausgrabungen in Samarra begründete der Archäologe Ernst Herzfeld die "Islamische Archäologie". Zum 101. Jubiläum seiner Forschungen ist jetzt im Berliner Museum für Islamische Kunst eine Sonderausstellung zu sehen. Jannis Hagmann hat sie besucht.

Von Jannis Hagmann

Bei den gigantischen Dimensionen der Stadt Samarra kam dem Archäologen Ernst Herzfeld der Vergleich mit Berlin in den Sinn. Über den Kalifenpalast schrieb er 1914, "dass dem Areal des Palastes etwa das von der Leipziger Strasse im Süden, dem Brandenburger Tor im Westen, der Spree im Norden und Osten umgrenzte Zentrum Berlins entspricht." 125 Hektar maß der Sitz der Kalifen, der Mittelpunkt Samarras, dieser prächtigen Residenzstadt der abbasidischen Kalifen.

Überwältigt muss gewesen sein, wer im 9. Jahrhundert aus der Wüste kommend die kurzzeitige Hauptstadt des Abbasidenreichs erblickte, das – so der Titel einer Sonderausstellung im Berliner Museum für Islamische Kunst – "Zentrum der Welt".

Höfe, Bäder, Thronsäle, Gartenanlagen, sogar Polospielfelder und Pferderennbahnen leisteten sich die in Samarra residierenden Kalifen. Die Große Moschee mit ihrem berühmten schneckenförmigen Minarett soll 100.000 Menschen Platz geboten haben.

Ruinen der Großen Moschee in Samarra, Fotografie von Ernst Herzfeld; © Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin
Markantes Wahrzeichen islamischer Architektur: Das berühmte spiralförmige Minarett der seinerzeit größten Moschee der Welt wurde im Jahr 852 von Kalif Al-Mutawakkil erbaut. Im Jahr 1278 wurden Teile der Moschee von den Mongolen zerstört, das Minarett blieb jedoch verschont.

​​Der offizielle Name Samarras lautete "surra man ra'a" ("Erfreut ist, wer sie sieht"). Eigentlich hatten die Abbasiden, die zweite Dynastie, die über das islamische Großreich herrschte, ihren Machtapparat von Damaskus nach Bagdad verlegt. Doch Konflikte mit dem Militär zwangen den Kalifen Al-Mu'atasim 836, mitsamt dem Hofstaat und seinen persönlichen Sklaventrupps erneut umzusiedeln.

Das zwei Tagesreisen, 125 Kilometer nördlich von Bagdad gelegene Samarra bauten der Kalif und seine Nachfolger zu einer der aufwendigsten Stadtanlagen der Welt aus. Für knapp sechs Jahrzehnte war die Stadt am Tigris das Zentrum eines Weltreiches, dessen Herrschaftsanspruch sich von Marokko im Westen bis hin zum Indus-Delta im Osten erstreckte.

Meilenstein der Archäologiegeschichte

Die Grabungen in der Ruinenstadt Samarra, die Herzfeld von 1911 bis 1913 leitete, waren die ersten ihrer Art. Nie zuvor hatten sich Archäologen systematisch und ausschließlich mit der islamischen Zeit beschäftigt.

"Islamische Archäologie" als akademisches Fach gab es noch nicht. Für die Wissenschaftsgeschichte kommt den Forschungen in Samarra daher große Bedeutung zu. Dem 101. Jubiläum dieser Grabungen ist die kleine Sonderausstellung "Samarra – Zentrum der Welt" im Museum für Islamische Kunst gewidmet, das seine Dauerausstellung um wertvolle Fundstücke aus Samarra sowie einige historische Fotos vom Grabungsalltag erweitert hat.

Für den Archäologen Herzfeld waren die Bedingungen zunächst günstig. Die Funde aus dem unter osmanischer Herrschaft stehenden Irak mussten nicht nach Konstantinopel gebracht werden.

Wilhelm II. hatte mit seinem Verbündeten, dem osmanischen Sultan Abdülhamid II., ein geheimes Abkommen geschlossen. Den Deutschen sprach es die Hälfte aller Funde aus den Ausgrabungen zu. Zahlreiche wertvolle Gegenstände konnten direkt nach Deutschland transportiert und in Museen ausgestellt werden.

Abstrakter Samarra-Stil

Ernst Emil Herzfeld; © Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin
Der deutsche Archäologe Ernst Herzfeld (1879-1948) befasste sich mit philologischen, historischen, archäologischen und architektonischen Studien zum vorderasiatischen Raum. Internationales Renommee erlangte er vor allem durch seine Ausgrabungen in Samarra (1911-1913) und in Persepolis (1931-1934).

​​Besonders prägnant sind neben den eindrucksvollen Stuckverzierungen, den leuchtenden Keramiken und den Werken der abbasidischen Glasmeister auch einige Wandmalereien: Die aus Samarras gewaltigem Kalifenpalast stammenden Malereien zeigen Figuren, darunter christliche Priester, und sind seltene Beispiele dafür, dass das islamische Bilderverbot in der Vergangenheit nicht immer rigoros eingehalten wurde.

Berühmt ist Samarra jedoch vor allem für den außergewöhnlichen Stuck. Eine Stuckwand wurde mit Originalfragmenten wieder aufgebaut und vermittelt einen Eindruck, wie die Inneneinrichtung der Paläste und Privathäuser in der Abbasidenhauptstadt aussah.

Der abstrakte Samarra-Stil mit seinen aneinandergereihten Mustern löste die bislang stilbestimmenden Ranken und Trauben der Spätantike ab, breitete sich weit über die Stadtgrenzen hinaus aus und wurde im 9. und 10. Jahrhundert zu einer regelrechten Mode im Reich. Einen großen Vorteil hatte der neue Dekorstil, bei dem schräg in Stuck oder Holz geschnitten und nicht mehr tief mit Schattenbildung gearbeitet wurde: Er war günstiger zu produzieren.

Kurze Blütezeit

Vor dem finanziellen Ruin bewahrte das die Kalifen mit ihrer Vorliebe für überdimensionierte Bauvorhaben jedoch nicht. Schon 892 zwang eine Finanzkrise den Kalifen Al-Mu'atadid, seinen Machtapparat zurück nach Bagdad zu verlegen. Nur wenige Jahrzehnte nach der Stadtgründung wurde Samarra wieder aufgegeben.

Vermutlich wäre die Stadt in der Bedeutungslosigkeit versunken, hätten nicht die Schreine zweier Imame den Ort als schiitische Pilgerstätte am Leben erhalten. Die Bilder der goldenen Kuppel des Askari-Schreins gingen um die Welt, als das "Grab der zwei Imame" bei einem Sprengstoffanschlag zerstört wurde.

Den trostlosen Zustand, aber auch das Alltagsleben des heutigen Samarras präsentieren die Kuratoren dem Besucher in einer Medienstation. Kurzfilme zeigen Straßenszenen. Ein Bewohner erinnert sich vor laufender Kamera an die alten Zeiten und ihren regen Pilgertourismus, bevor Krieg und Terror die Wirtschaft ruinierten.

In einer Endnotiz fügt der Kameramann hinzu: "Ich konnte in Samarra nur unter schwierigen Bedingungen filmen. Aufgrund von Sicherheitsmaßnahmen gleicht die Stadt einem Armeecamp."

Jannis Hagmann

Die Ausstellung "Samarra - das Zentrum der Welt" im Museum für Islamische Kunst in Berlin läuft noch bis zum 26. Mai 2013.

© Qantara.de 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de