Israelisch-senegalesische Synthese

Mit "Xalam“ bringt Ben Aylon erstmals die traditionelle Musik und die Instrumente Senegals und Malis in einer neuen, zeitgenössischen Interpretation auf die internationale Bühne. Von Richard Marcus

Von Richard Marcus

Die meisten Alben werden in wenigen Wochen eingespielt. Nicht eingerechnet die Zeit für das Schreiben der Texte und das Komponieren der Musik. Anders verhält es sich mit Xalam: Für Aufnahme und Mastering seines internationalen Debütalbums benötigte Ben Aylon mehrere Jahre.

Und noch etwas ist besonders: Normalerweise werden Alben unter Einsatz hochmoderner Technik in der sterilen Umgebung eines Studios aufgenommen. Auch hier ging Aylon einen anderen Weg: Er nahm an verschiedenen Orten weltweit mit einer Vielzahl von improvisierten Gerätschaften auf. So musste beispielsweise eine Stehlampe in einem Hotelzimmer als Mikrofonständer bei der Aufnahme des Gesangs herhalten.

Diese Form der Improvisation kennzeichnet nicht nur das Album, sondern auch Aylons musikalischen Werdegang insgesamt. Ben Aylon ist in erster Linie Perkussionist. Der gebürtige Israeli arbeitet und experimentiert seit 2008 mit Trommlern im Senegal, um deren Technik zu erlernen. Sein Schwerpunkt liegt in der Erkundung der traditionellen senegalesischen Trommel – der Sabar. Doch er beherrscht auch andere traditionelle afrikanische Instrumente, wie die Ngoni, ein Zupfinstrument, das ebenfalls als Trommel dienen kann.

Diese Studien bildeten die Grundlage für seinen eigenen Stil, den er als "One Man Tribe“ bezeichnet. Damit will er nicht auf eine Zugehörigkeit zu einem Volk anspielen. Vielmehr steht dieser Stil dafür, dass er das solistische Trommelspiel wie eine mehrköpfige Gruppe klingen lässt. Die Popularität seiner Aufführungen im senegalesischen Fernsehen und die Anerkennung der Musikszene im Senegal sowie in anderen Ländern Afrikas sind der Beweis für den Erfolg seiner musikalischen Arbeit.

Cover von Ben Aylons "Xalam" (herausgegeben von Riverboat Records)
Ben Aylons Album 'Xalam' ist wie ein Zeichen der Hoffnung in einer krisengeschüttelten Welt, führt es doch die Vielzahl der Kulturen der beteiligten Künstler zusammen. Man kommt nicht oft in den Genuss, etwas derartiges zu hören, das Israel mit Ost- und Westafrika so mühelos verbindet. Wäre es doch immer so einfach.

Die Größen der afrikanischen Musik

In Ben Aylons persönlicher und musikalischer Entwicklung liegt auch die Antwort auf die Frage, wie jemand aus Israel dazu kam, mit den Größen der afrikanischen Musik Aufnahmen zu machen und Freundschaften zu schließen. Darunter sind der berühmte Youssou N’Dour, der legendäre senegalesische Perkussionist Doudou N’Diaye Rose – der als zeitgenössischer Meister der Sabar gilt – und dessen Sohn Aly.

Das titelgebende Eröffnungsstück des Albums,Xalam könnte sinnbildlich für das Zusammentreffen zweier Kulturen stehen, die auf den ersten Blick wenig oder nichts miteinander gemein haben: Israel und Senegal. Die Xalam oder Tidnit ist eine Langhalslaute und eines der ältesten Saiteninstrumente Westafrikas. Ihre Ursprünge reichen bis in die alten malischen Königreiche zurück. Das als "Khalam“ ausgesprochene Wort ist lautgleich mit dem hebräischen Wort für "Traum“.

Das mag ein Zufall oder eine sprachliche Laune sein, wie es sie immer wieder gibt. Aber diese sprachliche Übereinstimmung könnte auch darauf verweisen, dass auf dem Album etwas Besonderes geschieht. Wer den ersten Track hört, wird in diesem Gefühl bestärkt. Dieses Instrumentalstück wurde von Aylon und Doudou N’Diaye Rose gemeinsam geschrieben. N’Diaye Rose spielt zusammen mit seinen beiden Söhnen die Trommeln, während Aylon die Xalam und die Djeli Ngoni spielt.

Jeder kommt zu Wort

Die Trommeln verschmelzen nahtlos mit den Zupfinstrumenten zu einem Klangteppich, der die Hörer gleichermaßen mitreißt und inspiriert. Im Unterschied zu gängiger Popmusik, bei der sich oft alles zu einer fast schon bedrohlich wirkenden Klangmauer auftürmt, hören wir jedes einzelne Instrument so, wie wir Darsteller in einem Theaterstück hören können, die ihren Text sprechen: Jeder kommt zu Wort und darf seiner Stimme vollen Ausdruck verleihen.

Die sechs Instrumentalstücke des Albums bringen das außerordentliche Können von Ben Aylon und der gesamten Familie N’Diaye Rose eindrucksvoll zur Geltung. Echte Highlights des Albums sind allerdings auch die Stücke mit den verschiedenen Gastsängerinnen. Zwei der Sängerinnen sind Ikonen der malischen Musik: Die verstorbene Khaira Arby und die ebenso großartige Amy Sacko.

Sowohl für Arbys Song Alafia als auch für Sackos Jonibenina komponierte Aylon die Musik zu den von den beiden Sängerinnen geschriebenen Texten. Beide Titel bezeugen zudem den Improvisationsgeist des Albums. Die Aufnahme mit Arby fand in einem Hotelzimmer im deutschen Worms statt, wo die bereits erwähnten Stehlampen als Mikrofonständer dienten. Sacko sang am Fuß des Felsens von Gibraltar mit Blick auf die Berge Marokkos.

Die Musik zum Titel Alafia hat Aylon der Sängerin Arby gleichsam auf den Leib komponiert. Die Musik ist durchaus vielschichtig und anspruchsvoll, dient aber vor allem als Kulisse für den ausdrucksstarken Gesang von Khaira Arby. Aylon versucht erst gar nicht, die das Raue zu glätten, das ja Arbys Markenzeichen ist. So bleibt uns eine bewegende und angemessene Hommage an diese großartige Sängerin. Wer bisher noch keine Gelegenheit hatte, die Stimme von Arby zu erleben, wird mit diesem Song auf Entdeckungsreise gehen.

 

 

Jonibenina macht den Hörer mit Amy Sackos markanter und fesselnder Stimme bekannt. Auch hier gibt Aylon der Sängerin einen Rahmen, in dem sie ihr Können entfaltet. Die Musik wirkt auf uns wie in einem Traum und unterstreicht den sehnsüchtigen Grundton des Gesangs. Als Hörer fühlen wir uns in eine andere Zeit und an einen anderen Ort versetzt. Fast meinen wir, den Ort der Aufnahmen zu erahnen – mit Blick über das Mittelmeer nach Nordafrika. Wer sich auf den Song einlässt, kann die Meeresluft riechen und den feinen Hitzeschleier erahnen, der von der fernen Küste aufsteigt.

Es gibt noch einen dritten Song mit einer Gastsängerin: Hulem Belibe, aufgenommen mit der äthiopisch/israelischen Sängerin AvevA.. Aylon begleitet AvevA hauptsächlich auf der Ngoni. Er hat eine Musik geschaffen, die die ostafrikanischen Einflüsse, die die Sängerin einbringt, mit den westafrikanischen Instrumenten aus Mali und Senegal verbindet, die ihm so vertraut sind.

Dieser Song ist nicht nur traumhaft schön, sondern auch ein Zeichen der Hoffnung in einer krisengeschüttelten Welt, führt er doch die Vielzahl der Kulturen der beteiligten Künstler zusammen. Man kommt nicht oft in den Genuss, etwas derartiges zu hören, das Israel mit Ost- und Westafrika so mühelos verbindet. Wäre es doch immer so einfach.

Richard Marcus

© Qantara.de 2022

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers