Koscher und halal
"Die Menschen nutzen jede Chance, um Ablenkung zu finden", sagt Nadim Khoury, Gründer und Inhaber der ersten Brauerei in den Palästinensergebieten. "Ob mit oder ohne Alkohol, ein Fläschchen Bier gibt den Leuten Entspannung und lässt sie eine Weile die Politik vergessen."
Die Geschäfte laufen, die Kasse klingelt. Dennoch war die Brauerei, die Nadim Khoury gemeinsam mit weiteren Familienmitgliedern vor inzwischen rund 25 Jahren gründete, von Beginn an auch ein politisches Projekt: So war der Start von Khourys Bierproduktion im Westjordanland 1994 noch stark beflügelt von Geist und Euphorie der ein Jahr zuvor besiegelten Osloer Abkommen, die seinerzeit eigentlich den Weg zur Gründung eines Palästinenserstaates an der Seite Israels ebnen sollten. Auf der Homepage der Brauerei wird bis heute ausdrücklich auf dieses historische Datum verwiesen.
Mit Arafats Segen
Eigener Staat, eigene Brauerei - dieser Gedanke gefiel damals offenbar auch dem langjährigen Palästinenser-Präsident Jassir Arafat. Die 2004 verstorbene Palästinenser-Ikone habe den Plan für eine eigene palästinensische Brauerei persönlich unterstützt, erzählt Nadim Khoury gerne Besuchern seines Familienbetriebs, der inzwischen neben Bier auch Wein und Olivenöl produziert und einen angeschlossenen Hotelbetrieb unterhält.
Einen eigenen Staat haben die Palästinenser bis heute nicht, doch die Brauerei ist geblieben und produziert inzwischen sechs Biersorten für das In- und Ausland: "Golden", "Light", "Dark", "Amber", "White" und "Alkoholfrei". "Alle sechs Sorten werden streng nach deutschem Reinheitsgebot gebraut", betont Chef-Brauer Khoury, und berichtet nicht minder stolz, wo sein palästinensisches Bier überall getrunken wird: 60 Prozent werden in den palästinensischen Autonomiegebieten verkauft, 30 Prozent in Israel, der Rest im Ausland.
Zu den Exportländern gehören neben den USA, wo Khoury während seines Studiums das Brauen erlernt hatte, so unterschiedlich ausgeprägte "Biernationen" wie Spanien, Großbritannien, Chile, Japan und Deutschland.
Stolz ist der 59-Jährige darauf, dass seine Familie von Beginn auch Gerstensaft für israelische Bierliebhaber produziert hat - einschließlich der durch einen Rabbi vorgenommenen offiziellen Zertifizierung als "koscheres Produkt", die ihm als Marktöffner für Israel diente.
Auch möchte Khoury einen kleinen Beitrag zur friedlichen Koexistenz von Israelis und Palästinensern sowie Christen, Juden und Muslimen leisten: Alle sechs Sorten sind als "koscher" ausgezeichnet, die alkoholfreie Variante firmiert zudem unter dem Label "halal", so dass sie theoretisch auch von strenggläubigen Muslimen getrunken werden darf.
Nicht unwichtig in einer Region, in der weit über 90 Prozent der Einwohner Muslime sind - auch wenn die Familie Khoury und ihre Brauerei in einer christlichen Enklave residieren. Die 1.500-Seelen-Ortschaft nahe Ramallah heißt genauso wie das Bier, das sie dort produzieren: Taybeh - was übersetzt soviel bedeutet wie "gut" oder "lecker".
"Bier verbindet nicht nur Menschen miteinander"
Wenn Khoury seine Biere anpreist, schwärmt er vom "Geschmack von Palästina", verweist aber auch gerne auf das alljährlich von seiner Brauerei ausgerichtete "Oktoberfest" nach bayerisch-deutschem Vorbild in Taybeh. "Die Besucher kommen nicht nur aus Palästina und Israel, wir haben auch Bierliebhaber aus Europa und den USA als Gäste", freut er sich. "Bier verbindet nicht nur Menschen miteinander", ist Khoury überzeugt. "Bier kann sogar zum Frieden beitragen!"
Konflikte blieben dennoch nicht aus - der Brauereibetrieb ist bis heute stark von politischen und gesellschaftlichen Stimmungslagen abhängig. So unterbindet die Hamas-Bewegung die Einfuhr von Taybeh-Bieren in den von ihr kontrollierten Gazastreifen - selbst die alkoholfreie Variante kann Nadim Khoury im Herrschaftsgebiet der Islamisten nicht vertreiben.
Auch das Geschäft in Israel unterliegt immer wieder Schwankungen. Vor der zweiten Intifada, dem Palästinenser-Aufstand von 2000 bis 2005, hatte der Umsatz des palästinensischen Bieres dort mit bis zu 70 Prozent zeitweise mehr als doppelt so hoch gelegen wie heute. Damals wurden Palästinenser in Israel weit stärker als heute als kommende Friedenspartner wahrgenommen. Heute hingegen erscheint die Lage verfahren und eine Lösung des Konflikts um das "Heilige Land" in weiter Ferne. Das bekommen auch die Khourys zu spüren.
Die größte Sorge bereiten den palästinensischen Bier-Brauern nämlich die immer wiederkehrenden Zugangsbeschränkungen. Während Hopfen, Malz und Hefe aus Europa importiert werden, stammt das Wasser für das palästinensische Bier aus einer nahegelegenen Quelle unter israelischer Kontrolle. Die israelischen Behörden können jederzeit den Hahn zudrehen - und hätten dies in der Vergangenheit auch mehrfach getan, kritisiert Khoury.
"Ohne Wasser können wir hier natürlich nicht arbeiten", seufzt er und klagt über weitere Einschränkungen durch Trennmauer und israelische Checkpoints in den Palästinensergebieten. "Wir können unser Bier bis heute ausschließlich über Israel ins Ausland exportieren", sagt er, "aber die Kontrollen dauern oft Tage." Dennoch ist er stolz, trotz widriger Umstände inzwischen eine Jahresproduktion von 600.000 Litern Bier im Heiligen Land vorweisen zu können.
Jamal Saad
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