Eine selbstbewusste kleine Gemeinde
Auf journal.gharbeia.net lässt Amr Gharbeia die Entwicklung der ägyptischen Blogosphere in den letzten zwölf Monaten Revue passieren. "Noch vor einem Jahr haben wir Nachrichten kommentiert, nun stehen wir selber im Mittelpunkt der Nachrichten", schreibt der junge Ägypter.
Seit der Verhaftung einiger Blogger bei einer Solidaritätskundgebung für zwei ägyptische Richter Anfang Mai, die die ägyptische Regierung beschuldigt haben, die letzten Parlamentswahlen gefälscht zu haben, schauen arabische und internationale Medien mit großer Aufmerksamkeit auf die politischen Web-Tagebücher.
Politisches humorvoll schreiben
Der inzwischen wohl bekannteste ägyptische Blogger ist Alaa Saif. Zusammen mit seiner Frau Manal Hassan betreibt er manalaa.net. Auf Englisch und im ägyptischen Dialekt kann man Alaas Befinden im Gefängnis nachlesen, den detaillierten Ablauf verschiedener Demonstrationen der ägyptischen Bürgerrechtsbewegung der vergangenen Monate aus der Sicht der Teilnehmer, Manals persönliche Recherchen zu den muslimisch-koptischen Unruhen oder man kann Alaas Katze kennen lernen.
Alaa ist 24 Jahre alt und verbrachte vor seiner Verhaftung die meisten Stunden des Tages am Computer. Die Seite manalaa.net gibt es seit März 2004. Das Geheimnis der Popularität von Manal und Alaas Blog ist sein humorvoller Stil und der Mut, ihr persönliches Leben, auch als Liebespaar, an die Öffentlichkeit zu bringen.
Zunächst stand für Alaa die Idee im Vordergrund, mit der Web-Technik zu experimentieren und eine Plattform für Gleichgesinnte zu schaffen: "Genau so wie meine Frau Manal arbeite ich bei einer ägyptischen Organisation, die die Gratis-Web-Technik in der Entwicklungshilfe einsetzt. Dann entdeckten wir andere ägyptische Blogger, wir haben uns vernetzt, und das hat mich motiviert regelmäßig zu schreiben."
Blogger fördern ägyptische Bürgerrechtsbewegung
Nach Angaben des Egyptian Blog Ring werden in Ägypten zurzeit über 900 Web-Tagbücher geführt, 53 Prozent davon auf Arabisch. Das Land am Nil nimmt zusammen mit dem Libanon eine Spitzenposition in der arabischen Welt ein. Obwohl die Mehrzahl der Blogs keine politischen Inhalte führt, ist der Boom der ägyptischen Bloggerszene ohne die Bürgerrechtsbewegung in den letzten beiden Jahren unvorstellbar.
Verschiedene Gruppierungen der ägyptischen Zivilgesellschaft unterschiedlichster politischer Couleur engagierten sich gegen eine Verlängerung der Präsidentschaft von Husni Mubarak und für faire Parlamentswahlen.
Selbstbewusst meint Alaa hingegen, dass die große Popularität der ägyptischen Bürgerrechtsbewegung ohne die Blogger undenkbar gewesen wäre. Sie bieten den Oppositionsparteien und den verschiedenen in der Bürgerbewegung aktiven Gruppen eine Kommunikationsplattform.
Im Netz werden Termine für Wahlveranstaltungen oder sonstige Aktivitäten verbreitet und Freiwillige zur Beobachtung der Wahlabläufe rekrutiert. Sogar arabische Sattelitenkanäle hätten die Blogs als Informationsquelle genutzt.
Politisches Engagement im Netz
Das jüngste Beispiel ist die Leidensgeschichte des Aktivisten bei der Bürgerrechtsbewegung Kifaya, Muhammed Scharqawi. Auf einigen ägyptischen Blogs sind die Erlebnisse Scharqawis bei seiner zweiten Verhaftung am 25. Mai zu lesen. Detailliert beschreibt der Menschenrechtsaktivist die Demütigungen und Folter, die ihm die ägyptischen Sicherheitsbeamten zugefügt haben sollen. Zahlreiche arabische Medien übernahmen diese Beschreibung und veröffentlichten sie auf ihren Seiten.
Shayfeen.com (übersetzt: wir sehen euch) ist ein weiteres Beispiel für politisches Engagement im Netz. Die Seite ruft alle Ägypter, die Zeuge von Menschenrechtsverletzungen geworden sind dazu auf, dies an shayfeen.com weiterzuleiten. Die Meldungen oder Fotos werden dann auf der Seite veröffentlicht.
Die Seite ruft auch die Ägypter dazu auf, sich mit den Richtern zu solidarisieren, die die ägyptische Regierung beschuldigen, die letzten Parlamentswahlen gefälscht zu haben. Niemand soll denken, dass seine Stimme kein Gewicht habe und sein Engagement nichts bringe.
Blogs entgleiten der staatlichen Zensur
Die beachtliche Entwicklung der Blogosphere in Ägypten kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie größtenteils von Intellektuellen und Studenten genutzt wird. Jamal Id vom Arabic Network for Human Rights Information in Kairo ist davon überzeugt, dass die Zahl der Blogger noch steigen könnte, wenn die Instrumentarien zur Blogerstellung arabisiert würden.
Ein weiteres großes Problem ist die hohe Analphabetenrate. Ungefähr 40 Prozent der Ägypter und Ägypterinnen können weder lesen noch schreiben. Für sie bleibt das Netz unzugänglich. Außerdem bleibt die Mehrheit der Ägypter der Sattelitenschüssel als wichtigste Informationsquelle treu.
Sowohl bei Ägypten als auch anderen arabischen Ländern drängt sich der Vergleich mit Iran auf, wo die Blogs trotz Einschränkung der Meinungsfreiheit und Repressalien des Staates längst der Kontrolle der Machthaber entglitten sind. Einig sind sich die jungen ägyptischen Blogger darin, dass die iranische Gesellschaft lebendiger, die Jugend engagierter und das politische System unter den Mullahs demokratischer sei als in ihrem Land.
Mona Naggar
© Qantara.de 2006
Qantara.de
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www
Blog von Alaa und Manal
Website von "The Arabic Network for Human Rights Information"
Bericht von Human Rights Watch über Internetzensur in der islamischen Welt
Website des "Egyptian Blog Ring"