Arabesk-okzidentale Vermählung am Hudson
Seine Premiere feierte das interkulturelle Werk bereits 2003 in Bremen, doch der nun auf enja vorliegende Livemitschnitt stammt aus dem Jahr 2007 und besitzt gerade wegen des Konzertortes besondere Bedeutung: Die Town Hall von New York City war Schauplatz der Aufführung, deren zugrunde liegende Idee aus den Nachwehen von 9/11 geboren wurde.
Programmatisches Ziel der "Arabian Nights": Die Begegnung von arabischer und westlicher Musik trotz der so unterschiedlichen Parameter – Vierteltöne und Skalen dort, das westliche Tonartensystem hier – schlüssig in eine Suite zu fassen. Verständigung soll nicht nur zu einem hörbaren, sondern auch ästhetisch bereichernden Erlebnis werden.
Die Initiatoren sind prädestiniert für dieses Vorhaben. Der Saxofonist und Komponist Daniel Schnyder bringt als amerikanischer Schweizer, der in Damaskus aufwuchs, entsprechende kosmopolitische Erfahrungen mit und gilt unter den modernen Jazzern als einer der weltoff
enen Kreativköpfe. Er hat mit einem Quintett den Wilhelm Tell-Mythos globalisiert, das Shakespeare-Schauspiel "The Tempest" in eine Oper gewandelt und schreibt für Jazzensembles genauso wie für klassische Orchester.
Schnyder erarbeitete das Konzept gemeinsam mit dem Absolute Ensemble: Das zwölfköpfige Kammerorchester wandert mit seinem Dirigenten Kristjan Järvi am Hudson seit 18 Jahren auf dem Grat zwischen Jazz, Klassik und Weltmusik.
Starke Metapher für die Freiheit
Auf arabischer Seite agieren zwei Koryphäen: Der Beiruter Oud-Spieler Marcel Khalifé ist ein ebensolcher Grenzgänger wie Schnyder, kann in der Tat als ein libanesischer Gegencharakter zum US-Schweizer gelten.
Denn der UNESCO Artist for Peace ist einer der "komplettesten" Künstler der arabischen Welt derzeit: Er hat das Oud-Spiel aus dem strengen Korsett befreit, setzte die Laute auf vergangenen Einspielungen in einen breiten und ständig wechselnden Kontext zwischen symphonischer Tradition und Bebop. Darüber hinaus komponiert Khalifé für Tanz und Film, erneuert durch Vertonungen des Poeten Mahmoud Darwish das arabische Lied.
Khalifés Landsmann Bassam Saba schließlich gilt als führender Virtuose auf der Ney-Flöte, deren Tradition er fernab der derzeitigen Sufi-Mode bis in Teamworks mit Yo Yo Ma und Herbie Hancock hineingetragen hat.
Enja gestaltet das CD-Cover von "Arabian Nights" mit einem leuchtend blauen Nachthimmel über der Wüste – und führt damit zunächst einmal in eine, auch ein wenig Klischee beladene Irre, die aber beim Hören durch die Akteure schnell korrigiert wird.
Eröffnet wird mit einem schwungvollen, fast hymnischen Stück: "Ya Bahriyyeh" geht auf eine Komposition von Khalifés erstem, in den Siebzigern gegründeten Ensemble Al Mayadine zurück. Es arbeitet mit Versen des US-Palästinensers Fady Joudah, der starke Bilder von Fischern, die an einem Strang ziehen, zu Metaphern der Freiheit formt.
"La Prière De L'Absent" baut sich über einem trabenden Ostinato auf, entwickelt eine ähnlich kreisende Sogkraft wie Ravels Bolero, vor allem dank der fast duftenden Ney-Linien von Bassam Saba.
Sternstunde des Ensembles
Im zentralen Stück der Suite, "Amr I Bismiki", ist die Sternstunde des Absolute Ensembles gekommen. Nach einem Gesangssolo von Khalifé, dessen weiche, fast zärtliche Stimme verblüfft und das Publikum zum Mitsingen animiert, liefert vor allem die Bläserabteilung erstaunlich kompakte Einwürfe und bildet präzise dialogisierende Gruppen.Verwandt im Charakter sind die drei folgenden, relativ kurzen Schnyder-Kompositionen.
In "Da Kord" findet ein Perspektiventausch statt: Schnyder führt mit seinem Sopransax eine feurige Jagd durch arabeske Linien an, Khalifé folgt ihm mit rasantem Saitenflug, begleitet von einer vorwärtstreibenden, funkigen Rhythmusabteilung.
Von ähnlich hitzigem Gemüt sind "Oyun" Teil I und II, die den dramatischen Kern der gesamten Suite komplettieren, bevor das lyrisch fein gesponnene "Bayat" den Finalpunkt setzt.
Hier umschlingen sich Ney und Violine, und von beiden Instrumenten ausgehend verschmelzen im Arrangement das Idiom der Wiener Klassik und der arabischen Orchestertradition. Besonders gelungen, wie speziell in diesem abschließenden Stück von Cello über Fagott bis hin zur Trompete eine großartige Transparenz in der reichen und durchdachten Textur geschaffen wird.
Ein Verschmelzen der Stile
"Arabian Nights" schafft zwar nicht die Quadratur des Kreises, da durch den Verzicht auf Vierteltöne die musikalischen Unvereinbarkeiten von vornherein abgemildert wurden.
In einer Vielzahl an Stimmungen jedoch, vom intimen, solistischen Passagen bis hin zu Bigband-Effekten wird der Brückenbau von arabischem zu okzidentalem Vokabular und zurück überzeugend gemeistert. Es ist nicht der Eindruck von bloßer Addition der Kulturen, der hier entsteht, wie es auf so vielen früheren "East meets West"-Projekten der Fall war.
Stefan Franzen
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Redaktion: Lewis Gropp & Arian Fariborz/Qantara.de