Warum die PKK gescheitert ist

Ein Mann wirft Waffen in ein Feuer. (Foto: Picture Alliance/Anadolu | Stringer)
Symbolische Verbrennung: PKK-Mitglieder im Nordirak vernichteten im Juli erste Waffenbestände (Foto: Picture Alliance/Anadolu | Stringer)

Die Arbeiterpartei Kurdistans hat im Laufe der Jahrzehnte viele Ziele verfolgt, doch verwirklichen konnte sie keins. Nun steht die kommunistisch-nationalistische Bewegung vor einer Zäsur, vielleicht sogar vor dem Aus.

Von Haleh Hosseini Ramandi

Die Bilder sind um die Welt gegangen: In einer symbolträchtigen Zeremonie verbrannten PKK-Kämpfer im kurdischen Teil Iraks im Juli ihre Waffen. Zuvor hatte der Vorsitzende der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, ein Ende des bewaffneten Kampfes gefordert und zur Entwaffnung seiner Organisation aufgerufen. 

Öcalans historischer Aufruf im Mai hat die Hoffnung auf ein Ende dieses jahrzehntelangen bewaffneten Konflikts genährt. Die angestrebte Auflösung der PKK markiert darüber hinaus eine Zäsur für das Netzwerk kurdischer Milizen im gesamten Nahen Osten. 

Ein endgültiges Aus der PKK bedeuten die jüngsten Entwicklungen zwar noch nicht, doch sie zeigen, dass Öcalan zu einer realistischen Einschätzung der politischen Lage gelangt ist. Offenbar versucht er, durch eine Abkehr von ideologischen Maximalforderungen den Fortbestand der Bewegung auf friedlichem Weg zu sichern.  

Die PKK war 1978 unter der Führung Öcalans gegründet worden – als kommunistisch-nationalistische Bewegung und als Reaktion auf die jahrzehntelange politische und kulturelle Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung in der Türkei. Bei der PKK verbanden sich marxistische Überzeugungen mit einem kurdischen Nationalismus, der die Gründung eines unabhängigen Staates zum Ziel hatte.  

Damals lag eine Destabilisierung der Türkei im Interesse der Sowjetunion, denn die Kontrolle der Türkei, einem NATO-Mitglied, über die Meerengen Bosporus und Dardanellen stellte ein strategisches Hindernis für die sowjetische Marine dar. 

Der bewaffnete Kampf der PKK begann wenige Jahre nach der Gründung, im Jahr 1984 während Turgut Özals Regierungszeit. Dabei war Özal, dessen eigene Mutter kurdischer Herkunft war, der erste türkische Regierungschef, der den extremen Panturkismus der Eliten in Ankara offen kritisierte.  

Özal befürwortete ein pluralistisches Gesellschaftsbild, sprach sich für die Abschaffung ethnischer und religiöser Diskriminierung aus und leitete Wirtschaftsreformen ein. Auch in der Praxis zeigte er sich bereit, autoritäre Strukturen zugunsten der Meinungsfreiheit, der Marktwirtschaft und eines starken Privatsektors aufzubrechen. 

Doch just zu diesem Zeitpunkt eröffnete Öcalan den Bürgerkrieg. Die Eskalation verhinderte nicht nur die Umsetzung geplanter Reformen, sondern zwang Özal – unter dem Druck des Militärs und kemalistischer Kräfte – zu Rückschritten. Die ersten bewaffneten PKK-Angriffe bezeichnete er als Werk „einer Bande von Banditen“. Dem Militär ließ er freie Hand bei der Repression.  

Damit begann ein jahrzehntelanger Krieg, dem rund 40.000 Menschen zum Opfer fielen, die Mehrheit kurdische Zivilistinnen und Zivilisten. Über 100.000 Menschen wurden verwundet, viele trugen bleibende Beeinträchtigungen davon. Mehr als 200 Dörfer wurden niedergebrannt und ihre Bewohner vertrieben. 

Die frühen Führungsfiguren der PKK glaubten, ein erfolgreicher Aufstand in der Türkei würde auch die kurdischen Bevölkerungsgruppen in Syrien, Iran und Irak mobilisieren und die Gründung eines vereinten, unabhängigen Kurdistans ermöglichen – doch dies blieb eine Illusion. 

Niedergang der Ideologie

Ein Rückblick zeigt Öcalan in den frühen 1970er Jahren als jungen Aktivisten in linken Kreisen, die ideologischen Überzeugungen mehr Gewicht beimaßen als ethnischer Zugehörigkeit. Damals verstand er sich noch als Teil der türkischen Nation und benannte seinen Sohn sogar mit dem traditionellen türkischen Namen Osman. Doch mit der Zeit führte ihn eine Mischung aus fehlinterpretiertem Marxismus-Leninismus und identitätsbasierten Fantasien auf einen anderen Weg. 

In dieser ideologischen Synthese stellte sich Öcalan eine fiktive kurdische Arbeiterklasse als Vorhut einer proletarischen Revolution in der Türkei vor. Dabei ignorierte er, dass die kurdischen Regionen überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und der Anteil des Proletariats im marxistischen Sinne dort kaum ein Prozent der Bevölkerung ausmachte. Bemerkenswert ist, dass keines der 45 Gründungsmitglieder der PKK tatsächlich Arbeiter war. 

Hinzu kam, dass Öcalan nie klar definierte, wo sich sein angestrebtes „Kurdistan“ befinden sollte. Mal sprach er von einem Großkurdistan, das alle Kurden in der Türkei, Syrien, Irak, Iran, Libanon, Armenien und der damaligen Sowjetrepublik Aserbaidschan ebenso umfassen sollte wie die über zwei Millionen kurdischen Arbeiter in Westeuropa. Ein anderes Mal beschränkte er seine Vision auf einige Provinzen im Südosten Anatoliens, obwohl ein erheblicher Teil der kurdischen Bevölkerung der Türkei längst außerhalb dieser Region lebte. 

Um diesen Widersprüchen zu entkommen, rückte Öcalan ab 1978 die klassenpolitische Natur der PKK in den Vordergrund. Die kurdische Arbeiterschaft sollte die Führung des gesamten türkischen Proletariats übernehmen und – in Anlehnung an die russische Oktoberrevolution – ein sozialistisches System in Anatolien errichten.  

Doch diese Logik war voller Widersprüche: Wenn der Fokus auf sozialen Klassen liegt, warum dann die ethnische Etikettierung? Und wenn eine proletarische Revolution das Ziel ist, warum sollten nicht die türkischen Arbeiter, die über 95 Prozent des Proletariats stellen, die Führung übernehmen? 

Außerdem war die kurdisch dominierte Südostregion stark durch religiöse Gruppen wie die Naqschbandiyya und die Aleviten geprägt – Gruppen, die mit dem atheistisch-marxistischen Weltbild der PKK wenig anfangen konnten. Von Beginn war zudem absehbar, dass der türkische Staat ein solches Abspaltungsprojekt nicht akzeptieren würde.  

Als nächstes schlug Öcalan eine föderale Lösung vor, in der eine autonome kurdische Republik neben der türkischen existieren sollte. Doch auch dieser Plan stieß auf wenig Resonanz.  

Dies führte um die Jahrtausendwende schließlich zu einer neuen Ausrichtung, die sich insbesondere im von Öcalan entwickelten Konzept des Demokratischen Konföderalismus manifestierte, einer Idee, die er ab 1999 zunehmend theoretisch ausarbeitete.  

Dieses Modell rückte vom klassischen marxistisch-leninistischen Staatsverständnis ab und verfolgte stattdessen eine basisdemokratische, multiethnische und feministische Gesellschaftsordnung, die Autonomie und Selbstverwaltung in den Mittelpunkt stellte. 

Doch auch diese Neuausrichtung konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die PKK weiter vor erheblichen Herausforderungen stand, sowohl innerhalb der kurdischen Gesellschaft als auch im Verhältnis zum türkischen Staat und zur internationalen Gemeinschaft. Ihr letztendliches Scheitern lässt sich auf die folgenden Punkte zurückführen.  

1. Der ideologische Zerfall linker Bewegungen 

Ein zentrales Missverständnis vieler linker Gruppen bestand in einer verzerrten Auslegung des Begriffs „Gerechtigkeit“, insbesondere im Zusammenhang mit Gewaltanwendung gegen Zivilisten. Viele Gruppen wandelten sich von volksnahen Bewegungen zu Organisationen, die ihre Ziele mit einer machiavellistischen Logik verfolgten. Der moralische Anspruch auf Gerechtigkeit wich einer rücksichtslosen Gewaltlogik. 

Ein Wendepunkt war in diesem Zusammenhang der Zusammenbruch der Sowjetunion im Dezember 1991. Die UdSSR war bis dahin der bedeutendste ideologische und materielle Unterstützer linker Kampfgruppen weltweit gewesen. Mit ihrem Ende verloren viele dieser Gruppen, darunter auch die PKK, ihre wichtigste ideologische Rückendeckung.  

Der Zerfall der Sowjetunion offenbarte zudem die fundamentalen Schwächen des kommunistischen Gesellschaftsmodells. Statt Gerechtigkeit und Gleichheit herrschten Diktatur, Unterdrückung und wirtschaftliche Ineffizienz.  

Im Fall der PKK kritisierten viele Kurden insbesondere deren gewaltsame Aktionen und Bombenanschläge in zivilen Gebieten als inakzeptabel. Hervorzuheben ist dabei, dass die gesellschaftliche Unterstützung für die PKK innerhalb der kurdischen Bevölkerung regional und zeitlich stark variierte.  

Während einige Bevölkerungsgruppen die PKK als legitime Vertretung kurdischer Interessen anerkannten, distanzierten sich andere kurdische Akteure im Laufe der Zeit von der PKK – darunter die ehemalige Demokratische Partei der Völker (HDP) sowie verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen. 

2. Kurden als geopolitischer Spielball

Die Geschichte des Nahen Ostens zeigt, dass kurdische Milizen immer wieder genutzt und fallengelassen wurden. Trotz einer langen Geschichte der Integration in multiethnische Gesellschaften wurden die Kurden in entscheidenden Momenten von regionalen und internationalen Akteuren taktisch eingesetzt, ohne dass echte Bündnisse oder nachhaltige Unterstützung aufgebaut wurden. 

In den 1960er und frühen 1970er Jahren unterstützte der iranische Schah kurdische Kämpfer im Nordirak, um Druck auf die baathistische Regierung in Bagdad auszuüben, die eng mit der Sowjetunion verbündet war. Dies zwang Irak letztlich, im Abkommen von Algier (1975) iranische Gebietsansprüche am Fluss Schatt al-Arab anzuerkennen. Kurz darauf stellte Iran seine Hilfe für die Kurden ein.  

Irak seinerseits nutzte später während des Iran-Irak-Krieges (1980 bis 1988) kurdische Milizen zur Destabilisierung Irans – nur um während der Anfal-Operationen zwischen 1986 und 1989 mit brutaler Gewalt gegen dieselbe kurdische Bevölkerung vorzugehen.  

Auch Israel unterstützte in Kooperation mit Iran die irakischen Kurden, um Saddam Husseins panarabischen Ambitionen entgegenzuwirken. Nach dem Abkommen von Algier wurde diese Unterstützung jedoch ebenfalls eingestellt. 

In den 1980er und 1990er Jahren entwickelte sich dann eine enge strategische Zusammenarbeit zwischen Israel und der Türkei. Israel unterstützte die türkische Regierung im Kampf gegen die PKK. Berichten zufolge war es sogar der Mossad, der Öcalan 1999 aufspürte und an die Türkei auslieferte. 

Mit dem Ausbruch des Syrienkriegs 2011 änderten sich die Allianzen erneut. Um das Assad-Regime zu schwächen, unterstützten Israel und die USA kurdische Milizen in Syrien wie die Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), die als Verbündete der PKK galten.  

Die SDF, zu deren Kern die kurdische YPG gehört, wurden insbesondere während des Kampfes gegen den sogenannten „Islamischen Staat” (IS) zu einem Partner westlicher Staaten. In diesem Kontext erfuhr die kurdische Bewegung erstmals breite internationale Anerkennung und Solidarität – sowohl für ihre militärische Rolle als auch für das Leid kurdischer Bevölkerungsgruppen, insbesondere der jesidischen Gemeinschaft.  

3. Neue Realitäten im Nahen Osten

Öcalans Ankündigung, die PKK zu entwaffnen, muss zudem im Kontext grundlegender geopolitischer Veränderungen verstanden werden. Die Weltordnung, in der die PKK einst gegründet wurde, existiert heute nicht mehr. Auch hat der Nahe Osten in der US-Außenpolitik an Bedeutung verloren.  

Nach dem Kontrollverlust des syrischen Assad-Regimes über weite Teile des Landes im Verlauf des Syrienkriegs und insbesondere mit dem Rückzug der USA aus Syrien 2019 fuhren die USA und Israel ihre Unterstützung für die SDF wieder spürbar zurück.   

Die Türkei, die die SDF zunächst weitgehend toleriert hatte, reagierte aufgrund deren Nähe zur PKK zunehmend mit militärischen Offensiven. Inzwischen vermeiden es die SDF sogar selbst, aktive Verbindungen zur PKK zu unterhalten, um weiteren Angriffen zu entgehen. 

Im Nordirak hatten die USA bereits 2017 die Grenzen ihrer Unterstützung für kurdische Kräfte deutlich gemacht, als sie das Unabhängigkeitsreferendum in der Autonomen Region Kurdistan strikt ablehnten. Die darauffolgende Blockade der Autonomieregion durch die Zentralregierung in Bagdad, Iran und die Türkei verdeutlichte, dass keine kurdische Bewegung ohne Zustimmung der Regionalmächte territoriale Erfolge erzielen kann. 

Inzwischen ist selbst die nordirakische Regionalregierung bemüht, sich von bewaffneten kurdischen Gruppen zu distanzieren, um ihr Überleben als halbautonome Einheit zu sichern. Auch schränkte sie, um das Verhältnis zu Teheran nicht zu gefährden, die Aktivitäten der PJAK ein, des iranischen Zweigs der PKK. Dieser operiert hauptsächlich aus Nordirak heraus, da er von Iran militärisch unterdrückt wird.  

Die regelmäßigen Luftangriffe der Türkei auf PKK-Stellungen im Nordirak haben dazu geführt, dass immer mehr kurdische Akteure zu der Erkenntnis gekommen sind, dass Rückzugsräume für bewaffnete Gruppen eine Gefahr für die gesamte Region darstellen. Somit hat sich das Machtgleichgewicht im Nahen Osten deutlich zuungunsten kurdischer Milizen verschoben. 

Die PKK als politische Bewegung?

Abdullah Öcalan dürfte inzwischen erkannt haben, dass weder regionale noch internationale Akteure ein dauerhaftes Interesse an der Unterstützung kurdischer Milizen haben und deren Förderung meist nur kurzfristigen Zielen dient. 

Vor allem die Aufgabe der syrischen Kurden durch die USA im Jahr 2019 hat ihm vor Augen geführt, dass es keine verlässlichen Allianzen gibt, sobald strategische Interessen – etwa die Beziehung zum NATO-Mitglied Türkei – gefährdet sind. 

Da zudem die ideologischen Grundlagen der PKK – Kommunismus und kurdischer Nationalismus – erheblich an Relevanz verloren haben und die kurdischen Kräfte in Syrien und im Irak zunehmend politische Integration statt Konfrontation anstreben, scheint Öcalan nun bereit zu sein, die PKK in eine politische Bewegung zu transformieren. 

Seine Erklärung vom Mai 2025 deutet auf ein entsprechendes Umdenken hin – weg vom bewaffneten Kampf, hin zu Dialog und Integration. Sollte dies tatsächlich umgesetzt werden, wäre es das Ende eines der längsten bewaffneten Konflikte im Nahen Osten. 

 

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