Ein friedlicher Feldherr
Am Tag der großen Sonnenfeier ist es stürmisch, nass und kalt auf "Dahers Weinberg". Dicke Regentropfen prasseln auf die Kollektoren, die das Dach der Hütte schmücken, in der Daoud Nassar die Gäste empfängt.
Aus Deutschland sind sie gekommen, um die neue Solaranlage einzuweihen. Die Sonnenkraft soll der Familie Nassar auf ihrem Hügel südwestlich von Bethlehem endlich Strom bringen. Und dann dieser Regen! Die Gäste schauen etwas mürrisch ins Wolkengrau, doch Daoud Nassar strahlt übers ganze Gesicht.
"Das ist ein Segen", sagt er, "jetzt können wir unsere Zisternen auffüllen. Wir haben ja auch kein Leitungswasser hier."
Daoud Nassar, das merkt man gleich, ist ein positiver Mensch. Einer, der auch aus den widrigsten Umständen das Beste macht. Und einer, der dazu reichlich Gelegenheit hat hier oben auf diesem Hügel im Westjordanland, als Christ zwischen Muslimen und Juden.
Von allen Seiten ist das Grundstück, das sein Großvater Daher Nassar 1916 gekauft hatte, mittlerweile von israelischen Siedlungen umgeben. Doch mittendrin hält er auf 950 Metern Höhe die Stellung - und hat ein Begegnungszentrum aufgebaut, das "Zelt der Völker".
Israelis und Palästinenser können sich hier treffen, Menschen aus aller Welt kommen dazu, auch immer wieder jüdische Gruppen aus Amerika. Sie pflanzen Bäume, spielen Theater, reden über Frieden, bauen Brücken. Das Motto hat Daoud Nassar am Eingang auf einen Felsen geschrieben, mehrsprachig: "Wir weigern uns, Feinde zu sein."
Steine in den Weg gelegt
Weil das in dieser Region und auch in dieser Nachbarschaft längst nicht jeder so sieht, werden Daoud Nassar viele Steine in den Weg gelegt - und einer davon, ein riesiger Felsbrocken, lag eines Tages mitten auf dem Zufahrtsweg zu seinem Grundstück. Seitdem kann man den alten Weinberg nur noch zu Fuß erreichen.
Mit solchen und anderen Schikanen soll er offenbar vertrieben werden. "Das wäre ein idealer Platz für eine neue Siedlung hier", sagt er, und genau dies dürfte auch dahinter gesteckt haben, als sein Land von den Israelis 1991 plötzlich zum Staatsland erklärt wurde. Seitdem kämpft er vor Gericht gegen die drohende Enteignung.
"Ich habe Dokumente aus der osmanischen Zeit, von den Briten, den Jordaniern und auch den Israelis, die zeigen, dass dieses Grundstück uns gehört", sagt er. Ruhe und Sicherheit aber gibt ihm das nicht. Das mit den Dokumenten hat er neulich auch einmal einem Siedler erklärt, der ihn mit amerikanischem Akzent zum Verschwinden aufgefordert hatte, erzählt er. "Wir haben Dokumente von Gott", habe der Siedler ihm geantwortet.
Ein zäher Kampf ums Land wird hier geführt,und Daoud Nassar bekommt für dieses Land kein Wasser und keinen Strom, obwohl ringsherum Leitungen zu den Siedlungen liegen. Er darf auch nichts bauen, nicht einmal Zelte, und wenn er es macht, kommt gleich ein Abrissbescheid.
Sein Begegnungszentrum ist also ständig vom Abriss bedroht. Damit ihm das mit der neuen Solaranlage auf dem Dach nicht passiert, ist zur Eröffnung eine deutsche Delegation erschienen.
Rupert Neudeck, dessen "Grünhelme" die 60.000 Euro teure Anlage hier installiert haben, preist nun "die Sonne für Palästina". Mehr als zwei Jahre hat er gebraucht, um die Batterien und Solarpaneele durch die verschlungenen Pfade der israelischen Bürokratie und durch die Sperranlage ins Westjordanland zu schleusen.
"Man kann das ja nicht aus der Luft abwerfen", sagt er. Mitgebracht hat Neudeck auch noch Ruprecht Polenz, den CDU-Abgeordneten und Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, der nun "politische Unterstützung" verspricht, damit dieses Projekt "Bestand haben kann".
Daoud Nassar steht nun auf seinem Hügel gewissermaßen unter deutschem Schutz, und von großen Plänen ist an diesem Tag auch noch die Rede - von Werkstätten für palästinensische Jugendliche hier auf dem Gelände, von einem Netz von Solaranlagen im ganzen Westjordanland.
Jeder Schritt, das weiß er aus Erfahrung, wird über Hindernisse führen. Doch er hat auch erlebt, dass nach Rückschlägen immer wieder Lichtblicke kommen. Und dass es selbst im großen Konflikt zwischen israelischen Siedlern und palästinensischen Bewohnern diese Momente gibt, die zeigen, wie leicht es doch eigentlich wäre, zusammenzuleben.
"Ein Baustein für den Frieden"
Da ist zum Beispiel die Geschichte mit dem Kahlschlag im Olivenhain. Mit Bulldozern hatte eine Gruppe von Siedlern auf seinem Gelände 250 Olivenbäume zerstört, ein übler Vorfall. Drei Wochen später erreichte ihn das Fax einer jüdischen Organisation, die ihm neue Bäume spendete. "Sie sind gekommen und haben sie selbst eingepflanzt", erzählt er.
Oder der Anruf, nachdem nachts plötzlich das Militär sein Grundstück durchsucht hat. "Am nächsten Tag hat sich ein Siedler am Telefon bei mir für das Vorgehen der Armee entschuldigt." Und dann gibt es da auch noch die jüdische Nachbarin, die sich eines Tages eher zufällig bei ihm eingefunden und gesehen hatte, unter welchen Bedingungen sie hier leben müssen.
Zu Rosh Haschana, dem jüdischen Neujahrsfest, kam sie mit ihrem Mann vorbei, um Daoud Nassar und seiner Familie alles Gute zu wünschen. "Das ist noch kein Frieden, aber ein Baustein für Frieden", sagt er. "Wenn die Menschen sich kennenlernen, werden die Augen offen."
Lichtblicke sind das in einem ansonsten ziemlich finsteren Alltag. Aber für diese Lichtblicke will er weiter arbeiten. Wenn die Wolken weg sind und die Sonne wieder auf sein Dach scheint, wird er nun auch Strom haben für die Hütten und die Zelte der Begegnungsstätte. "Es gibt auch gute Nachrichten aus Palästina", sagt Daoud Nassar.
Peter Münch
© Süddeutsche Zeitung 2010
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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