"Wiederholt nicht unsere Fehler!"
13 Jahre nach der Reformasi -Bewegung in Indonesien wird die Inselrepublik als stabilste Demokratie in der Region gelobt. Inwiefern kann Ägypten vom indonesischen Modell lernen? Eine Analyse von Saskia Louise Schäfer
Im Februar 2011 bot der indonesische Präsident Susilo Bambang Yudhoyono Hosni Mubarak einen Austausch über Indonesiens Erfahrungen mit der Demokratisierung an. Die BBC veranstaltete eine Diskussionsrunde, bei der indonesische Journalisten ihren ägyptischen Kollegen per Satellitentelefon Ratschläge gaben.
Natürlich gibt es keinen griffbereiten Bauplan für den politischen Wandel, Ägypten wird seinen eigenen Weg suchen. Doch trotz wichtiger Unterschiede kann man die heutige Situation in Ägypten eher mit der in Indonesien vor 13 Jahren als beispielsweise mit der im Iran nach der Islamischen Revolution vergleichen.
Auch wenn angesichts der bewegenden Bilder zumeist von einer 'Revolution' in Ägypten die Rede ist, so beobachten wir vielmehr eine Transformation, bei der die alten politischen Kräfte, vor allem das Militär, eine wichtige Rolle spielen.
Indonesiens Übergang zur Demokratie wird als Erfolg gefeiert. Wahlen werden dort als frei und fair eingestuft und haben dem jetzigen Präsidenten die Zeit gegeben, in einer zweiten Amtszeit für Stabilität zu sorgen. Die Pressefreiheit sucht nicht nur in der Region ihresgleichen.
Die Befürchtung, die Diktatur Suhartos würde von politischem Chaos oder Islamismus abgelöst, hat sich nicht bewahrheitet. Die lange unterdrückten konservativ-islamistischen Parteien nutzen zwar die neue Freiheit und fordern eine stärkere Rolle des Islam, doch erhalten sie bei Wahlen nur einen Bruchteil der Stimmen und werben vor allem mit Anti-Korruptionsmaßnahmen. Derweil boomt die Wirtschaft.
Ein Modell für die arabische Welt?
Hillary Clintons und Barack Obamas Besuche zeigen, wie gut die Beziehungen zu den USA sind. Clinton lobte die Terrorismusbekämpfung und Obama pries Indonesiens 'Einheit in Vielfalt' als Beispiel für die Welt. Hat Indonesien damit eine demokratische Erfolgsgeschichte vorgelegt, ein Beispiel für die arabische Welt?
Menschenrechtsverteidiger würden dies bestreiten. Es stapeln sich Akten zu nicht weiter verfolgten Menschenrechtsverletzungen, zu struktureller Armut, zu Folter in der Provinz Papua und zu harschen, aus der Scharia abgeleiteten Gesetzen.
Während Anfang Februar in Jakarta die 'Interfaith Harmony Week' festlich eröffnet wurde, erschlug im Westen Javas ein Lynchmob mehrere Mitglieder der Ahmadiyah-Minderheit. Kurz darauf kursierten Videos, die die Überforderung und Untätigkeit der anwesenden Polizisten sichtbar machte.
Zwei Tage später brannten in Zentraljava zwei Kirchen, nachdem die Menge sich über die zu milde Strafe für einen Christen empörte, der den Islam beleidigt habe. Nach diesen Ereignissen spricht man enttäuscht davon, dass Suharto angeblich "das Land wenigstens im Griff gehabt habe".
Schlüsselrolle des Militärs
Was also kann Ägypten aus diesem so widersprüchlich schillernden Beispiel lernen? In beiden Fällen spielt nach dem Wegbruch des Diktators das Militär eine Schlüsselrolle. Dieses muss nicht nur - wie versprochen - eine stabile Übergabe der Macht an das Volk sicherstellen, sondern sich gleichzeitig selbst reformieren.
Das ägyptische Militär hat versprochen, die Macht an das Volk zu übergeben. Dies ist eine sehr schwierige Aufgabe, die Zeit brauchen wird - von der zu hoffen ist, dass die Bevölkerung sie hat und die Armee sie nutzt. In Indonesien wurden militärische Eingriffe in die Innenpolitik drastisch reduziert. Die gesamte Struktur der Armee wurde dezentralisiert und Soldaten erhielten kein Wahlrecht.
Ein weiterer Faktor ist die soziale Sicherheit. Eine der Hauptsorgen der Demonstranten sind ihre schlechten Lebensbedingungen, der Mangel an medizinischer Versorgung und berufliche Perspektivlosigkeit. Ein neues politisches System kann mit wirtschaftlichem Aufschwung gestärkt oder geschwächt werden. Bessere ökonomische und soziale Umstände wirken in den meisten Fällen stabilisierend auf ein junges politisches System.
In Indonesien herrscht nach wie vor eine lähmende Korruption vor und damit eine Demokratie aushöhlende Käuflichkeit des Rechtssystems. Eine Vielzahl ungeahndeter Verbrechen verunsichert die große Mehrheit.
Mit jeder weiteren absurden Freisprechung schrumpft das Vertrauen in das Rechtssystem und die Regierung. So wäre es in Ägypten ein gutes Signal, von Mubarak an sein Umfeld verteilte Gelder zurückzuführen und Vergehen aufzuarbeiten. Die Indonesier sind verbittert darüber, wie Suhartos Familie von den damaligen Bereicherungen bis heute profitiert.
Doch indonesische Gerichtsurteile unterwerfen sich nicht nur dem Geldbeutel: Lautstarke islamistische Organisationen verprügeln Zeugen vor dem Gerichtssaal, drohen die Gebäude anzuzünden und beeinflussen so die Rechtsprechung. Ägypten muss einen Weg finden, auch islamistische Gruppen in die demokratischen Prozesse einzubinden, ohne sich erpressen zu lassen.
Neue Gesichter auf Wahlplakaten
Und schließlich geht es bei dem Wunsch nach politischer Teilhabe nicht nur um Strukturen, sondern auch um Akteure: Es werden dringend Politiker benötigt, die frei "vom Mief des alten Regimes" sind und sich das Vertrauen der Bevölkerung erarbeiten.
Ein Problem des indonesischen Übergangs zur Demokratie bestand im Mangel an einem solchen Personal. Hierin liegt auch eine Gefahr für Ägypten, denn islamistische Parteien sind noch frei von Korruptionsvorwürfen und können frische Politiker auf die Wahlplakate bringen. So geschah es auch in Indonesien.
In Indonesien gingen die Demonstranten nach dem Sturz Suhartos wieder nach hause und überließen die Neuordnung des politischen Systems den Politikern des alten Systems.
Diese wurden den Geruch der alten Vetternwirtschaft nicht los und mussten nach den Wahlen Koalitionen mit kleinen islamistischen Parteien eingehen, die in weißen Westen versprachen, gegen Korruption vorzugehen.
In Ägypten steht nun die Aufgabe an, die Proteste in den Straßen in ein neues System politischer Teilhabe zu überführen. Bambang Harymurti, Chefredakteur des unter Suharto verbotenen indonesischen Wochenmagazins 'Tempo', fordert seine ägyptischen Kollegen dazu auf, am besten sofort vom Journalismus in die Politik zu wechseln: "Wiederholt nicht unsere Fehler!"
Saskia Louise Schäfer
© Qantara.de 2011
Redaktion: Nimet Seker, Arian Fariborz/Qantara.de
Saskia Louise Schäfer ist Südostasien- und Politikwissenschaftlerin und Doktorandin an der Freien Universität Berlin
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