Muslime sprechen sich gegen Terrorismus aus
25.000 Muslime marschierten in Köln friedlich gegen Gewalt und Terror. Unter den Demonstranten waren viele junge Menschen, die sich gegen Vorurteile wehrten: Islam habe nichts mit Hass zu tun.
Die größte Demonstration von Muslimen in Deutschland beginnt auf einem unscheinbaren Hinterhof im Kölner Stadtteil Ehrenfeld: Am Sonntagmorgen (21.11.) haben sich dort bei klirrender Kälte Hunderte Menschen versammelt.
Triste Gewerbeanlagen rund herum und ein großes eisernes Schiebetor machen den Ort nicht gerade einladend.
Dennoch herrscht plötzlich Stimmung wie auf einem türkischen Basar. Es wird viel, laut und lebhaft diskutiert, vor allem auf Türkisch. Heißer Tee macht die Runde, Fladenbrot wird verteilt.
Unweit des Geländes befindet sich das Zentrum der Türkisch-Islamischen Union (Ditib). Mit 867 angeschlossenen Moschee- und Kulturvereinen ist sie der größte Interessenverband der Muslime in Deutschland.
Nur wenig Frauen
Die Ditib, die mit mehr als 150.000 Mitgliedern inzwischen zwei Drittel der türkischstämmigen Muslime in der Bundesrepublik vertritt, hatte zu der Kundgebung aufgerufen. Insgesamt waren es am Ende des Tages 25.000 Muslime nach Polizeiangaben, die auf der Demonstration ein deutliches Zeichen gegen Gewalt und Terror setzen wollten.
Gekommen sind überwiegend Männer, junge und alte; Frauen dagegen sind kaum zu sehen. Die, die gekommen sind, sind meist jung: die meisten sind Schülerinnen oder Studentinnen. "Ich hätte mir gewünscht, dass heute viel mehr Frauen dabei gewesen wären", wird Lale Akgün, Mitglied des Deutschen Bundestages und Islambeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, bei einem warmen Café am Ende des Tages gegenüber DW-WORLD gestehen.
Wo sind also die Frauen geblieben? "Viele Frauen müssen zu Hause auf ihre kleinen Kinder aufpassen, deshalb können sie nicht dabei sein", versucht ein junger türkischer Bankangestellter die Situation zu erklären. Er und seine Freunde sind aus dem fernen Aschaffenburg gemeinsam mit Eltern in zwei Bussen angereist.
Terror ist nicht mit Religion begründbar
Wie sie haben auch Hunderte andere eine lange Reise auf sich genommen. Organisiert wurden die Touren meist von den jeweiligen Orts-Verbänden von Ditib. Die Antwort auf die Frage, weshalb sie gekommen sind, ist oft die gleiche: "Wir sind hier, weil wir nicht wollen, dass unsere Religion mit dem Vorurteil der Gewalt gleichgesetzt wird", sagen die jungen Leute aus Aschaffenburg. "Das Signal, dass der Islam mit Hass und Terror nichts zu tun hat, ist schon lange überfällig," sagt eine Studentin der Wirtschaftswissenschaften.
Die jungen Leute fühlen sich fest verwurzelt in Deutschland. "Wir sind deutsche Staatsbürger", sagt ein junger türkischstämmiger Mann fast so, als sei er erstaunt, dass man über eine solche Selbstverständlichkeit noch ein Wort verlieren müsse.
Die jungen Leute spüren jedoch, wie ihnen im Alltag zunehmend Misstrauen entgegengebracht wird. Sie beklagen sich über Ignoranz und mangelndes Verständnis für ihre Situation, wehren sich gegen Verallgemeinerungen.
"Von wenigen Einzelschicksalen in den Medien wird auf die gesamte muslimische Gemeinschaft geschlossen", sagt eine junge Frau empört. Von der verschärft konservativen Wertediskussion vieler Politiker sehen sie sich jetzt zunehmend ins Abseits gestellt. "Dabei fordern gerade dieselben Politiker von uns, dass wir uns stärker integrieren. Wie soll das geschehen, wenn vom deutschen Staat die falschen Signale ausgehen?", sagt die Frau weiter.
Besonders empört sind sie von Äußerungen, die von CSU-Chef Edmund Stoiber am Samstag (20.11.) auf dem Münchener Parteitag der CSU gemacht wurden. Stoiber hatte dort "eine Rückbesinnung auf christliche Werte" gefordert. Außerdem müssten die Einwanderer zu mehr Integration gezwungen werden.
"Wir propagieren keine anti-amerikanische Haltung"
Als der Demonstrationszug in Bewegung kommt, werden türkische Spruchbänder entrollt, Gruppen formieren sich: "Türkiye, Türkiye" ruft die Menge. In einem Meer türkischer Flaggen setzt sich der erste Zug der Demonstranten unter strengen Anweisungen der Ordner von der Ditib-Zentrale in Ehrenfeld aus Richtung Dom in Bewegung.
Nicht vom Veranstalter autorisierte Spruchbänder werden sofort eingezogen. Politische Parolen, die sich gegen den Irakkrieg und gegen die Bush-Regierung wenden, dürfen nicht skandiert werden.
"Derartige Äußerungen haben nichts mit dem Ziel unserer Veranstaltung zu tun. Wir sind heute hier, um gemeinsam für ein friedliches Zusammenleben zu demonstrieren und um jede Form von Gewalt und Extremismus zu verurteilen, nicht aber, um politisch Stellung oder gar eine anti-amerikanische Haltung zu beziehen", erklärt Bekir Alboga, Islamwissenschaftler und Leiter des interreligiösen Dialogs der Ditib.
Ebenso wie sich der Staat nicht in religiöse Debatten einmischen soll, sollten sich religiöse Organisationen den staatlichen Debatten fernhalten, lautet sein Argument.
Nicht alle muslimischen Organisationen wurden einbezogen
Getragen wurde die Demonstration nicht von allen islamischen Dachverbänden in Deutschland. Im Vorfeld der Großdemonstration hatte insbesondere der "Zentralrat der Muslime" (ZDM) - der sich mit etwa 120.000 Mitgliedern vor allem als Interessenvertretung gegenüber den deutschen Behörden versteht - mehrfach kritisiert, nicht in die Planung der Ditib miteinbezogen worden zu sein.
"Wir bedauern, dass durch Initiativen einzelner den muslimischen Organisationen die Möglichkeit verwehrt wird, mit einer einheitlichen Stimme zu sprechen. Grundsätzlich unterstützen wir aber das Anliegen der Großdemonstration in Köln," sagte Nadeem Elyas am Tag vor der Demonstration in einem Gespräch mit DW-WORLD.
Ausdrücklich nicht eingeladen war die vom Bundesverfassungsschutz als radikal eingestufte islamische Gruppierung "Milli Görüs" (IGMG), die mit rund 26.500 Mitgliedern knapp 300 Moscheen Deutschland betreibt. Gut zwei Drittel der 3,5 Mio. Muslimen in Deutschland
(davon stammen 2,8 Millionen aus der Türkei) ist nicht über einen Verband organisiert.
"Wir müssen eine multikulturelle Demokratie gestalten"
Auf der Abschlusskundgebung auf dem Kölner Rudolfplatz steht am Ende eine fröstelnde Menge, die per Megaphon noch einmal für Sprechchöre erwärmt wird. Dann haben die Politiker das Wort.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Marie-Luise Beck lässt keinen Zweifel daran, dass in einer Demokratie das Grundrecht auf Meinungsfreiheit auch bedeutet, Grenzen gegenüber all jenen zu ziehen, die keine Toleranz wollen: "Demokratie heißt, Terroristen Grenzen zu setzen und gemeinsam zu sagen: Ihr gehört nicht dazu. Wir wollen Euch nicht".
Als Bayerns Innenminister Günther Beckstein zum Megafon greift wird er zunächst ausgepfiffen: "Diejenigen, die sagen, Islam heißt Frieden, nehmen wir mit offenen Armen auf", so Beckstein.
Er plädiert an die Ausländer, intensiv Deutsch zu lernen. "Eine gemeinsame Sprache heißt, mehr Möglichkeiten für eure Kinder zu schaffen, nicht aber, eure Kultur aufzugeben". Auch die Parteichefin der Grünen, Claudia Roth, betont, dass die kulturelle Vielfalt gerade in Zeiten der Globalisierung ein unschätzbares Gut sei.
Muslime dürften nicht unter Generalverdacht gestellt werden
Ob mit oder ohne Kopftuch - wichtig sei die "Freiheit der Frauen, selbst bestimmt leben zu können". Muslime dürften nicht unter Generalverdacht gestellt werden warnt Roth. "Wir müssen eine multikulturelle Demokratie gestalten." Dafür erntet sie von der Menge begeisterte Zustimmung.
Die Gruppe aus Aschaffenburg war am Ende trotz kalter Hände und Füße voller neuem Optimismus. "Claudia Roth gibt einem das Gefühl, dass sie es ernst meint", sagt einer. "Der heutige Tag war sehr wichtig und ist ein sehr erfolgreicher Versuch gewesen, den gelebten Islam auf die Beine zu stellen", sagt später die Islambeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion, Lale Akgün.
Meike Naber
© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004