Geschärfter Blick auf Kriegs- und Krisenregionen
Sie drehen seit einigen Jahren regelmäßig Dokumentationen in Kriegsgebieten. Warum haben Sie sich dazu entschlossen, einem solch gefährlichen Beruf nachzugehen?
Nagieb Khaja: Mein erster Bericht stammt aus dem Jahr 2005 und war aus Afghanistan. Damals filmte ich für einen dänischen Fernsehsender. Der Grund, warum ich damit anfing, war vor allem die Tatsache, dass ich mit der westlichen Berichterstattung – vor allem bezüglich Afghanistan und Irak – in vielerlei Hinsicht nicht zufrieden war. Deshalb wollte ich versuchen, andere Perspektiven aufzuzeigen.
In einem Artikel haben Sie einmal geschrieben, dass Ihre Arbeit für Ihre Familie nicht einfach sei. Vor allem Ihre Ehefrau mache sich immer Sorgen, wenn Sie das Land verlassen. Wie gehen Sie damit um?
Khaja: Das Leben als Kriegsberichterstatter ist wirklich schwierig und kompliziert, wenn man verheiratet ist und Kinder hat. Ich habe zwei Kinder, die mittlerweile neun und zehn Jahre alt sind. Mittlerweile begreifen sie, worin meine Arbeit besteht. Und natürlich ist es sehr schwierig für meine Frau, die stets damit vertraut ist, welche gefährlichen Orte ich aufsuche und welchen Gefahren ich dort ausgesetzt bin. Bevor wir geheiratet haben, wusste sie über meine Arbeit Bescheid. Für mich war es sehr wichtig, dass sie diese Arbeit versteht und akzeptiert. Seitdem unterstützt sie mich dabei auch sehr. Ich weiß, dass sie es lieber hätte, wenn ich einfach als "gewöhnlicher Journalist" arbeiten und hier in Dänemark bleiben würde. Aber sie hat nie den Versuch unternommen, mich bei meiner Arbeit zu bremsen.
Gründe gibt es ja genug, sich um Sie Sorgen zu machen. Schließlich befinden Sie sich oftmals in afghanischen Regionen, die von den Taliban kontrolliert werden. Dort wurden Sie auch schon einmal entführt. Außerdem befanden sich in den syrischen Städten Idlib und Aleppo, wo ganz in Ihrer Nähe russische Bomben einschlugen. Von türkischen Grenzpolizisten wurden Sie vor einiger Zeit zusammengeschlagen. Was motiviert Sie dazu, mit Ihrer Arbeit dennoch weiterzumachen?
Khaja: Wenn es bestimmte Regionen gibt, die einfach zu wenig Beachtung erfahren und über die kaum berichtet wird, fühle ich immer das starke Bedürfnis, in diese Regionen zu reisen. Oftmals heißt es, es sei unmöglich oder einfach zu gefährlich, um von dort aus zu berichten. Natürlich gibt es Gefahren, aber diese kann man auch berechnen. Ich denke, dass es durchaus möglich ist, eine solche Arbeit zu leisten – mit dem richtigen Maß an Erfahrung, einem guten Netzwerk, den richtigen Menschen und einer gehörigen Portion Mut. Außerdem motiviert mich, von der Wichtigkeit meiner Arbeit überzeugt zu sein.
Der Grund, warum ich vor Kurzem in den Nordwesten Syriens reiste, war die Tatsache, dass sich in den letzten sechs Monaten dort kaum Journalisten aufhielten. In dieser Region gibt es nämlich nur zivile Berichterstatter und Aktivisten. Und aus diesem Grund braucht es unabhängige Journalisten, die dorthin reisen. Immer wenn Syrer Fotos machen und diese verbreiten wollen, herrscht seitens vieler Menschen ein großes Misstrauen vor. Viele denken dann, dass es sich bei dem Bildmaterial um Propaganda gegen Russland oder die syrische Regierung handelt. Deshalb müssen Leute wie wir diese Bilder verifizieren. Als ich mich in Syrien aufhielt, hieß es seitens der Russen immer noch, dass sie lediglich den IS angreifen würden. Dies war allerdings nicht der Fall. Es wurden auch Zivilisten und andere Ziele, die mit dem IS nichts zu tun hatten, bombardiert.
Vor allem unabhängige Journalisten, die aus Kriegs- und Krisenregionen berichten, haben oftmals die Erfahrung gemacht, dass in den sicheren Herkunftsredaktionen im Westen lediglich ein Interesse an bestimmten, meist aufsehenerregenden "Stories" besteht. Den zuständigen Redakteuren fehlt zumeist die nötige Sensibilität, sich in die Situation der Journalisten vor Ort und den Gefahren, denen sie in diesen Ländern ausgesetzt sind, hinein zu versetzen. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?
Khaja: In gewisser Hinsicht habe ich Ähnliches erlebt. Meistens trage ich die gesamte Verantwortung selbst. Die Redakteure wollen in der Regel nicht die Verantwortung für deine Sicherheit übernehmen, wenn man in diese Gegenden reist. Es ist daher nicht verwunderlich, dass meine gesamte Arbeit aus Syrien von keinem Redakteur beauftragt wurde. Ich habe alles in die eigene Hand genommen, auch die Risiken. Dies ist generell bei 70 Prozent meiner Arbeit der Fall. Ich will mich auch nicht abhängig von jemandem machen, indem ich mich etwa vorher bezahlen lasse. Sobald man im Vorhinein bezahlt wird, ist man an den Auftrag gebunden. Dann besteht die Gefahr, dass die eigene Arbeit zu sehr beeinflusst wird. Ich wollte vielmehr unabhängig sein und frei entscheiden können.
Welche Erfahrung haben Sie als Dokumentarfilmer zuletzt in Afghanistan gemacht?
Khaja: Bei meinem letzten Projekt in Afghanistan hatte ich vor allem die Situation in der Stadt Kundus im Blick. Die Stadt war ja im vergangenen September kurzzeitig von den Taliban eingenommen worden. Als ich dort ankam, waren die Gefechte allerdings schon wieder beendet. Also entschloss ich mich dazu, mich für eine Zeit lang bei den Taliban aufzuhalten, kurz nachdem diese aus der Konfliktregion um Kundus zurückgekehrt waren. Ich durfte filmen, was ich wollte. Ich erfuhr keinerlei Einschränkungen. Da ich bereits eine Dokumentation über sie gemacht hatte, genoss ich ein gewisses Vertrauen bei ihnen. Wir drehten allerdings auch Szenen mit der Afghanischen Nationalarmee (ANA) sowie mit Zivilisten aus der Umgebung. Für einen Moment dachte ich, dass ich mit der ANA Probleme bekommen könnte. Einer der Soldaten erkannte mich schnell und meinte: "Achtung! Das ist der Typ von Al-Jazeera." Er wollte damit suggerieren, dass ich angeblich mit Terroristen kooperierte. Doch zum Glück schritt einer der Kommandanten ein und ich bekam keine Probleme.
Meiner Ansicht nach fokussiert die gesamte Afghanistan-Berichterstattung zu sehr auf die politische Situation in Kabul und anderen großen Städten. Sowohl westliche als auch viele afghanische Journalisten stellen das Leben in den Städten als die Realität Afghanistans dar. Doch die Mehrheit der Afghanen lebt auf dem Land. Vor allem in den östlichen und südlichen Gebieten Afghanistans haben diese Menschen - im Gegensatz zu den Stadtbewohnern - die Militärpräsenz in den letzten Jahren erheblich gespürt. Luftangriffe und andere militärische Operationen finden in diesen ländlichen Gebieten statt und nicht in den Städten.
Das Interview führte Emran Feroz.
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