Abenteuerliche Manöver
Der Einsatz der deutschen Bundesmarine vor der libanesischen Küste im Rahmen der UNO-Mission (UNIFIL) hat in seinen ersten Wochen bereits mehr Wellen geschlagen, als der seit 2002 laufende und viel brisantere Afghanistan-Einsatz deutscher Soldaten in seinen ersten vier Jahren. Zumindest in der deutschen Öffentlichkeit.
Dabei steht die Heftigkeit der Debatte um die Mission der Bundesmarine im östlichen Mittelmeer in keinem Verhältnis zu ihrer militärischen Relevanz. Die ist nämlich gleich Null - zumindest in Bezug auf den offiziellen Auftrag, einen Waffennachschub für die Hisbollah über die libanesische Küste zu unterbinden.
Denn Waffenlieferungen auf diesem Weg hat es in der Vergangenheit nie gegeben. Der militärische Nachschub kam (und kommt weiterhin) im Wesentlichen über Libanons östliche Landesgrenze mit Syrien. Ein kleinerer Teil der Waffen gelangte - zumindest in der Zeit bis zu Beginn des Krieges Mitte Juli - per Flugzeug aus Teheran oder Damaskus nach Beirut.
Die israelischen Seestreitkräfte haben während ihrer siebenwöchigen hermetischen Abriegelung der libanesischen Küste zwischen Mitte Juli und Anfang September keine einzige Gewehrkugel aufgespürt.
Die von Deutschland kommandierte UNIFIL-Seeflotte kontrollierte bis zum 3. November zwar bereits über 380 Schiffe durch Anfunken. Doch nicht in einem einzigen Fall entstand auch nur der Verdacht auf Waffenschmuggel, kein einziges Schiff wurde betreten.
Neue Entwicklungen
Müsste tatsächlich mit Nachschublieferungen für die Hisbollah auf dem Seeweg gerechnet werden, dann wären die erst Ende Oktober bekannt gewordenen Einschränkungen für die Bewegungs- und Handlungsfreiheit der Bundesmarine innerhalb der ersten sechs Meilen vor der Küste allerdings von erheblicher Relevanz.
Denn innerhalb dieser Sechs-Meilenzone ließe sich natürlich ein Waffenschmuggel von der nördlich gelegenen syrischen an die libanesische Küste organisieren.
Daran ändert grundsätzlich auch die anlässlich des Besuchs von Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung im Libanon erfolgte Mitteilung der libanesischen Regierung wenig, dass die Kontrolle der Sechs-Meilen-Zone kurz vor Jungs Eintreffen überraschend komplett an den Internationalen Marineverband unter deutscher Führung übergeben worden sei.
Denn diese Genehmigung beschränkt sich lediglich auf Zone 4, den Küstenabschnitt zwischen der libanesisch-israelischen Grenze und dem Litani-Fluss (rund 20 Prozent der gesamten libanesischen Küste). Außerdem gelte weiterhin die Regel, dass Schiffe nur nach Absprache mit den libanesischen Behörden kontrolliert werden dürfen.
So bleibt immer noch die - selbstverständlich auch nicht unerhebliche - Frage zu klären, ob die Bundesregierung bei der Aushandlung der Einsatzrichtlinien schlampig gearbeitet und/oder das Parlament schlampig unterrichtet hat. Oder ob die Regierung einen "Wortbruch" begangen und den Bundestag gezielt "getäuscht" und "belogen" hat, wie Teile der Opposition behaupten.
Gefährdeter Waffenstillstand
Von weit gravierender internationaler Bedeutung sind jedoch die wiederholten Drohgebärden der israelischen Luftwaffe gegenüber deutschen Schiffen und Hubschraubern.
Die in Jerusalem offerierte und in Berlin zumindest von der Regierung akzeptierte Sprachregelung, es habe sich bei den Zwischenfällen um "Missverständnisse" gehandelt, ist an Unglaubwürdigkeit kaum zu überbieten.
Sind die mit modernstem Radar, Aufklärungselektronik und Kommunikationstechnik ausgerüsteten Flugzeuge der israelischen Luftwaffe tatsächlich nicht in der Lage, ein mit eben solcher Technik ausgestattetes und klar gekennzeichnetes deutsches Kriegsschiff auf viele Kilometer hin zu identifizieren? Dann droht den Soldaten der Bundesmarine allerdings so große Gefahr, dass sie umgehend abgezogen werden müssten.
Statt die Muskelspiele der israelischen Luftwaffe als "Missverständnisse" zu verharmlosen und zu entschuldigen, sollte die Bundesregierung sie als Teil einer Eskalationsstrategie klar verurteilen, die sehr wohl zum Ende des seit Mitte August herrschenden Waffenstillstandes mit der Hisbollah und zum Wiederaufflammen des Krieges führen könnte.
Diese Eskalationsstrategie besteht vor allem in der permanenten Verletzung des Luftraumes über dem libanesischen Territorium. Nach Angaben der UNIFIL drangen israelische Kampf- und Aufklärungsflugzeuge im Oktober an manchen Tagen neun bis 15 Mal in den libanesischen Luftraum ein. Dies ist ein eindeutiger Verstoß gegen die Resolution 1701 des Sicherheitsrates.
Wider die UNO-Resolution 1701
Die israelische Regierung versucht, das völkerrechtswidrige Vorgehen ihrer Luftwaffe mit dem Hinweis zu rechtfertigen, die UNIFIL erfülle ihren Auftrag zur Entwaffnung der Hisbollah-Milizen nicht oder nur unzureichend.
Doch dieser Rechtfertigungsversuch ist in völkerrechtlicher, politischer sowie in militärisch-operationaler Hinsicht inakzeptabel und sollte auch von den Regierungen Deutschlands und der anderen an der UNIFIL beteiligten Länder endlich unmissverständlich zurückgewiesen werden.
Denn zum einen enthält die UNO-Resolution 1701 keinen Auftrag für die UNIFIL zur Entwaffnung der Hisbollah. Selbst wenn die UNIFIL diesen Auftrag hätte, und ihn nicht oder nur unzureichend erfüllen würde, erwüchse daraus kein Recht Israels zum eigenen militärischen Eingreifen.
Provokation der Hisbollah
Darüber hinaus sind Tiefflugmanöver und Scheinangriffe gegen mutmaßliche Hisbollah-Hochburgen, die israelische Kampfjets am letzten Oktobertag über Beirut und zwei weitere Städte im Süden Libanons durchführten, kein geeignetes Mittel, um Waffenlieferungen zu unterbinden, die nach Beobachtung der UNIFIL über die grüne Grenze Libanons zu Syrien stattfinden.
Stattdessen waren diese Tiefflugmanöver und Scheinangriffe offensichtlich darauf angelegt, die Hisbollah zum Abschuss von Raketen zu provozieren. Dies könnte der israelischen Luftwaffe dann als Vorwand dienen, wieder Bodenziele im Libanon zu beschießen.
Damit wäre die am 14. August in Kraft getretene Waffenruhe endgültig zusammengebrochen und der wichtigste Auftrag der UNIFIL gescheitert.
Andreas Zumach
© Qantara.de 2006
Andreas Zumach ist diplomatischer Korrespondent der taz bei der UNO in Genf
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