Gott stellt sich bei Allah vor
Die "Christlich-Islamische Gesellschaft" gibt es inzwischen seit über 30 Jahren in Deutschland. Wie kam es zur Gründung?
Dr. Thomas Lemmen: Die "Christlich-Islamische Gesellschaft" wurde im Jahr 1982 in Iserlohn gegründet. Die Menschen, die als Arbeitsmigranten nach Deutschland kamen, machten das Thema Religion damals sichtbar. Das führte zu einer gesellschaftlichen Debatte. Damals haben viele Deutsche den Islam als Ausländerreligion wahrgenommen. Viele Fragen im Zusammenhang mit Muslimen waren Ausländerfragen. Daraus entwickelte sich der Impuls, die Situationen von Muslimen in Deutschland zu verbessern und damit zu einer besseren Integration beizutragen.
In Köln und München waren erstmals christliche Kirchen in den Dialog mit Muslimen getreten. Der damalige Generalsekretär des "Islamischen Weltkongresses" ermutigte die Muslime dazu, sich mit Christen auszutauschen. Die Gründung der "Christlich-Islamischen Gesellschaft" war der nächste Schritt. Das Ziel war eine gemeinsame Initiative von Muslimen und Christen, die sich gemeinsam für die Verständigung der Religionen in Deutschland einsetzen.
Karima El-Zein: Ich bin erst seit acht Jahren Mitglied in der "Christlich-Islamischen Gesellschaft". Ich bin allerdings im Jahr 1985 zum Islam konvertiert. Ich war immer gläubig, aber in der Zeit hatte ich viel Kontakt zu Asylbewerbern und Muslimen, die den Koran für mich übersetzt haben. Ich habe mich zwei Jahre lang mit der Geschichte und der Kultur des Islam beschäftigt. Ich war auf der Suche und habe den Islam gefunden.
Es ist viel Vermittlungsarbeit zwischen den Religionen nötig. Zum Beispiel denken viele christliche Frauen, die Musliminnen müssten immer ein Kopftuch tragen, aber das müssen sie gar nicht. Die "Christlich-Islamische Gesellschaft" schafft ein Forum, damit Menschen aus den unterschiedlichen Religionen ins Gespräch kommen können. Ich merke, wie erleichtert viele Frauen sind, wenn sie Antworten auf ihre Fragen und Erklärungen zum Islam bekommen.
Worte wie "Dschihad" und "Islamisten" tauchen häufig in den Medien auf und werden in Zusammenhang mit dem Islam gesetzt. Die Fragen von damals sind sicher nicht mehr die von heute. Welche Ziele sehen Sie aktuell?
Dr. Thomas Lemmen: Zum 25-jährigen Bestehen haben wir eine neue Grundsatzerklärung verabschiedet. Die alte Grundsatzerklärung war stark vom Geist der Fürsorge geprägt: Christen setzten sich dafür ein, dass die Muslime in der Gesellschaft anerkannt und gleichberechtigt werden. Heute würden wir das so nicht mehr formulieren. Wir sprechen von einem partnerschaftlichen Dialog auf Augenhöhe. Wir setzten uns gemeinsam für Ziele in unserer Gesellschaft ein.
Karima El-Zein: Der Islam soll als religiöse Gemeinschaft anerkannt werden. Religionsunterricht in Schulen soll zur Normalität werden. Außerdem bauen wir eine muslimische Notfallbegleitung auf, dass heißt, wenn Muslime zum Beispiel einen Unfall haben, kommt ein muslimischer Notfallbegleiter an den Unfallort, um die Personen zu betreuen. Außerdem planen wir in diesem Jahr eine interkulturelle Reise nach Paris und für das kommende Jahr eine Reise nach Marokko. Auf den Reisen möchten wir Menschen die Möglichkeit geben, sich selbst und die Religionen kennenzulernen. Darüber hinaus möchten wir weitere Seminare für die Betreuung von Muslimen in Pflegeheimen und Krankenhäusern anbieten.
Worin liegen für Sie die besonderen Herausforderungen dabei, zwischen den Religionen zu vermitteln?
Dr. Thomas Lemmen: Wenn Sie bei uns ins Haus kommen, sehen Sie zwei Symbole: auf der linken Seite eine Kalligrafie mit dem islamischen Gottesnamen und auf der rechten Seite ein Kreuz. Beides gehört dahin, beides gehört zur Gesellschaft. Gott hat die Verschiedenheit gewollt. Die Ausrichtung auf Gott ist die Grundlage, die uns verbindet.
Karima El-Zein: Als ich damals konvertiert bin, war das für meine Familie schwer zu verstehen. Meinen Freunden und der Gesellschaft war die Hinwendung zu Allah ein Rätsel. Wir helfen diesen Menschen miteinander ins Gespräch zu kommen. Der erste Zugang zur "Christlich-Islamischen Gesellschaft" ist leicht, weil Mitglieder beider Religionen dort sind. Zum Beispiel lernen wir uns beim Beten der jeweiligen Religion kennen. Jeder trägt etwas vor und jeder hört zu. Wir wollen keine Einheitsreligion werden, wir wollen auf der Grundlage der Gemeinsamkeiten lernen, mit den Unterschieden besser umzugehen. Denn eigentlich glauben wir alle an denselben Gott.
Interview: Martina Kix
© Goethe.de 2013
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de