Ende des Berliner Frühlings
Yasmeen Daher empfängt in ihren neuen Büroräumen, an den Tischen sitzen ihre Kollegen. Erst im vergangenen Herbst hat das Netzwerk unabhängiger arabischer Medien, für das sie arbeitet, die hellen Ladenräume im Berliner Stadtteil Mitte bezogen. „Wir waren euphorisch und voller Hoffnung“, sagt die 41-Jährige. Aber seit dem Krieg in Gaza, der auf den Angriff der Hamas am 7. Oktober folgte, sei die Stimmung gekippt. „Es ist viel Vertrauen verloren gegangen“, sagt sie.
Die Medienmanagerin
Yasmeen Daher ist in Nazareth aufgewachsen, der größten arabischen Stadt in Israel, und hat in Kanada Philosophie studiert. Vor acht Jahren kam sie mit einem Stipendium nach Berlin. Die deutsche Hauptstadt galt nach dem Ende des Arabischen Frühlings als Sehnsuchtsort für arabische Intellektuelle, die zum Teil aus ihrer Heimat fliehen mussten. Nicht Paris oder London, weil zu teuer, und auch nicht Istanbul, weil zu gefährlich – nein, Berlin zog damals viele junge Künstler, Wissenschaftler und Intellektuelle aus arabischen Ländern an, darunter auch viele Palästinenser.
Denn Berlin ist nicht nur die Heimat der größten palästinensischen Minderheit in Europa. Mit dem „Sommer der Migration“ kamen 2015 rund 40.000 weitere Menschen aus Syrien hinzu, die neuen Schwung mit sich brachten, Restaurants und Konditoreien eröffneten. Ein idealer Ort also, so schien es, um unabhängige und progressive Medien aus dem Nahen Osten und Nordafrika zu bündeln, wie es das unabhängige Netzwerk Febrayer macht. Yasmeen Daher ist dessen Co-Direktorin und Redaktionsleiterin.
Als sie vor acht Jahren nach Deutschland kam, merkte sie allerdings schnell, dass hier ein anderer Wind weht, als sie es von Kanada gewohnt war. Dort gab es eine große, universitäre Palästina-Solidaritätsszene. Als sie in Berlin das erste Mal an einer Pro-Palästina-Demonstration teilnahm und auf ein Plakat das Wort „Apartheid“ pinselte, sagte man ihr: „Das kannst du in Deutschland nicht machen“, erinnert sie sich – das gelte als „antisemitisch“, weil es Israel dämonisiere, wurde sie gewarnt. „Das war ein Schlüsselerlebnis“, sagt sie.
Politisiert wurde Yasmeen Daher schon früh. Weil ihre Mutter aus Nablus im Westjordanland stammt, fuhr sie schon als Kind regelmäßig mit ihrer Familie dorthin. Dort erlebte sie Kontrollpunkte, Schikanen, Ausgangssperren, das ganze Programm der Besatzung. Auch in Israel selbst erfuhr sie Diskriminierung: „Palästinensische Eltern werden von den Behörden anders behandelt. Man bekommt keine Wohnung aufgrund seines Namens.“ Über Nazareth mit seiner arabischen Mehrheit thront eine Neubausiedlung mit Parks und Swimming Pools, in der überwiegend jüdische Israelis leben.
Als die zweite Intifada im Jahr 2000 ausbrach, erschossen Polizisten bei Protesten in Orten wie Nazareth insgesamt 13 arabische Staatsbürger: Auch diese Erfahrung hat Yasmeen Daher geprägt. Der israelische Staat sorge dafür, die Überlegenheit einer Gruppe über die andere aufrechtzuerhalten, sagt Yasmeen Daher. In Israel seien Palästinenser wie sie Bürger zweiter Klasse, die Palästinenser aus der Westbank würden als billige Arbeitskräfte ausgebeutet, und die in Gaza weggesperrt: Es sei ein System des Teilens und Herrschens.
Seit in Gaza der Krieg tobt, hat sich in Deutschland für Palästinenser wie sie vieles verändert. „Mein Sohn geht hier in die Kita“, erzählt sie. „Als der Krieg in der Ukraine begann, haben sie dort Kleidung gesammelt. Jetzt gibt es überhaupt keine Reaktion, es herrscht Schweigen.“ Das kann sie schwer nachvollziehen. Die fehlende Anteilnahme vieler Deutscher hat sie enttäuscht. „Viele haben kein vollständiges Bild von dem, was in Gaza passiert“, glaubt sie.
Schuld sei aber auch die mediale Berichterstattung über Palästinenser hierzulande. „Deutsche Medien haben uns von Anfang an pauschal als Terroristen, Hamas-Sympathisanten und Antisemiten dargestellt“, findet sie. Kein Wunder, dass sich viele Deutsche mit „solchen Gestalten“ nicht öffentlich solidarisieren wollten, auch wenn sie den Krieg ablehnten.
Haben nicht auch antisemitische Parolen Menschen verschreckt und davon abgehalten, an Kundgebungen teilzunehmen? „Bei den Demonstrationen, an denen ich teilgenommen habe, gab es keine antisemitischen Slogans“, sagt sie bestimmt. Der Vorwurf des Antisemitismus werde benutzt, um Menschen davon abzuhalten, sich mit Palästinensern zu solidarisieren, findet sie vielmehr. Das beste Mittel, um Antisemitismus entgegenzuwirken, sei es, gemeinsam mit jüdischen Partnern für einen gerechten Frieden auf die Straße zu gehen, aber auch das werde unterbunden.
Und die vielen palästinensischen Fahnen, schrecken die nicht auch manche Menschen ab? „Ich bin kein nationalistischer Mensch“, entgegnet die Medienmanagerin. „Aber ich kann einer Gruppe, die gegen ihre Unterdrückung kämpft, nicht vorschreiben, welche Fahne sie schwenken sollen. Das käme mir paternalistisch vor“ – insbesondere wenn man selbst einen Staat habe, der einem Rechte und Sicherheit gewähre. „Wir werden als eine homogene Gruppe dargestellt. Aber wir sind sehr unterschiedlich und haben verschiedene Meinungen“, betont sie.
Der Grafiker und Kulturvermittler
Das kann Fadi Abdelnour nur bestätigen. Mit 24 kam er zum Designstudium nach Deutschland, heute ist er 45 und ein Tausendsassa: Im Herbst 2020 eröffnete er den Buchladen Khan Aljanub („Herberge des Südens“) in Berlin. Er liegt in einer Hinterhofremise an einer Hauptverkehrsstraße, der Eingang befindet sich zwischen einem syrischen und einem marokkanischen Restaurant und ist nicht leicht zu finden.
Doch das Geschäft hat ein Alleinstellungsmerkmal: Es ist der einzige Buchladen in Berlin, der arabische Literatur, Kunstbände und Comics verkauft, aber auch Sachbücher und philosophische Werke. Demnächst wird der Buchladen nach Neukölln umziehen, in einen Laden mit Schaufenster. Zehn Jahre lang leitete Abdelnour zuvor das arabische Filmfestival „Alfilm“. Die nächste Ausgabe startet im April, der Schwerpunkt wird auf Palästina liegen. Abdelnour hat das Plakat gestaltet, es erinnert an palästinensische Stickereien.
Doch bei den großen Kulturinstitutionen herrsche Verunsicherung und Angst, hat Abdelnour bemerkt. Es gab eine Welle von Absagen aufgrund von „Antisemitismus“-Vorwürfen, auch gegen jüdische Künstler. Palästinensische Stimmen würden kaum noch auf ein Podium geladen. Wenn es Veranstaltungen und Podiumsgespräche gibt, dann meist in unabhängigen Hinterhofkinos, in linken Treffpunkten oder akademischen Hinterzimmern. „Wer weltoffen denken möchte, für den wird der Raum immer kleiner“, sagt Fadi Abdelnour.
Man müsse vorsichtig sein, um nicht anzuecken. „Es war ein Labyrinth. Jetzt ist es ein Minenfeld.“ Ihm bereitet dieses Klima Sorgen. „Man dachte, demokratische Gesellschaften sind stabil“, sagt er. „Es ist erschreckend, wie schnell man bereit ist, die eigenen Werte wegzuschmeißen.“ Toleranz, Menschenrechte, Meinungsfreiheit – solche Dinge halt, die in Sonntagsreden so gerne beschworen würden.
Abdelnour ist im israelisch besetzten Westjordanland aufgewachsen und hat dort an der Bir-Zait-Universität bei Ramallah studiert, bevor er nach Deutschland kam. Damals konnten auch Studenten aus Gaza noch im Westjordanland studieren. Aus dieser Zeit hat er noch Freunde, deren Familien in Gaza leben. „Aber es wird immer schwieriger, mit ihnen zu telefonieren“, sagt er. „Es gibt nichts mehr, was man sagen kann. Was soll man denn sagen? Ich hoffe, deine Familie ist noch nicht verhungert?“
Abdelnour ist deprimiert und fragt sich: Was hat er mit all seiner Arbeit erreicht? Mit all seinen Bemühungen um den deutsch-arabischen Kulturaustausch? Er will sich jetzt stärker auf seine Arbeit als freier Grafiker konzentrieren. „Ich habe mir hier ein Netzwerk aufgebaut“, sagt er. „Aber werden die Leute in Zukunft noch mit mir zusammenarbeiten wollen? Wie sicher ist mein deutscher Pass?“, fragt er sich.
Die Feministin
Fidaa al-Zaanin kam vor acht Jahren das erste Mal nach Berlin. Damals arbeitete sie noch für NGOs im Gazastreifen und besuchte den Bundestag. Die 34-jährige ist im Gazastreifen aufgewachsen und hat dort Informatik studiert. Ihr Vater ist Ingenieur, die Mutter Englischlehrerin. Inzwischen leben die Eltern in Schweden, die Kinder über verschiedene Länder verstreut, in Berlin oder in Kanada.
Ihre jüngeren Geschwister arbeiten in Berlin in medizinischen Berufen. „Ich war schon immer eine Rebellin“, sagt Fidaa al-Zaanin. Beim Treffen in einem Café sprudelt es nur so aus ihr heraus. Palästinenser wollten meist, dass ihre Kinder entweder Ingenieure oder Ärzte werden, lächelt sie. Sie aber ging zum Studium nach Island und belegte dort Kurse in Gender Studies. Island sei sehr fortschrittlich, findet sie: Sie habe sich dort willkommen gefühlt.
Fidaa al-Zaanin bezeichnet sich als Feministin und ist politisch aktiv. 2012 war sie beim Weltsozialforum in Brasilien, 2013 in Tunis. In Berlin arbeitet sie in einem Sozialunternehmen und hat viel mit deutschen Behörden zu tun. Beim Frauentag am 8. März demonstrierte sie mit feministischen und queeren Gruppen aus aller Welt im Stadtzentrum und hielt dort eine Rede. Anderswo demonstrierten am gleichen Tag Frauen gegen die Leugnung der sexualisierten Gewalt der Hamas nach dem 7. Oktober. Dass dort Frauen mit Israelfahnen demonstrierten, kann al-Zaanin nicht verstehen, denn Israel trete die Rechte palästinensischer Frauen mit Füßen, sagt sie. „Unser Leid bedeutet ihnen nichts“, sagt sie über die anderen Demonstrantinnen.
Als Feministin müsse man jede Form von sexueller Gewalt verurteilen, von wem auch immer sie ausgeübt werde, betont sie. „Aber wer entscheidet, welches Verbrechen mehr Empörung verdient?“, fragt sie mit Blick auf den Krieg in Gaza, dem bereits mehr als 8.000 Frauen und mehr als 13.000 Kinder zum Opfer gefallen sein sollen. „Die Bomben fallen dort auch auf meine queeren Freunde“, sagt sie. Die Universität, an der sie studiert hat, ist zerstört, ihr Heimatort Beit Hanoun liegt in Trümmern. Ihr Schwager, ihre Nichte und ihr Neffe wurden vom Krieg überrascht, als sie im Gazastreifen zu Besuch waren.
„Wir haben die ganze Zeit versucht, telefonisch mit ihnen in Kontakt zu bleiben“, sagt sie. „Es ist schwer zu erklären, was wir als Familie durchgemacht haben.“ Tagelang konnte sie nicht schlafen, sie habe unentwegt aufs Telefon geschaut und alle Nachrichtensender verfolgt. Am Ende konnten die Angehörigen ausreisen und über Kairo ausfliegen. Sie zeigt auf ihrem Handy ein Video, das ihre Angehörigen bei der Ankunft am Flughafen in Kopenhagen zeigt. Ihr Vater weint.
„Ich habe Freunde und Angehörige verloren“, sagt sie. „Man hat keine Zeit, das zu verarbeiten.“ Man denke, man sei immun, aber so sei es nicht. „Die einen sehen uns als Opfer, die anderen glorifizieren uns. Aber wir sind einfach nur Menschen, die müde sind und nicht aufgeben wollen.“
Der Fotokünstler
Das Atelier von Steve Sabella liegt im Berliner Boheme-Kiez Prenzlauer Berg. Er hat es in seiner Altbauwohnung eingerichtet, von der aus er auf die belebte Kastanienallee schauen kann. Ein Kater sitzt auf einem Sessel im Erker und springt auf, als Besuch eintritt. An den Wänden hängen großformatige Werke von ihm. Sabella ist ein Fotokünstler, dessen Bilder in London, Paris und Dubai hängen. Gerade hat er einen Lehrauftrag an der Barenboim-Said-Akademie in Berlin übernommen, berichtet er stolz: Dort wird er lehren, wie man „mit Licht malt“, wie er sagt.
Der 45-Jährige lebt seit 2010 in Berlin, aber er fühlt sich nicht an den Ort gebunden. Es gefällt ihm nur einfach hier. Seine Frau stammt aus der Schweiz, seine Tochter ist gerade zum Studium nach Paris gezogen. Ursprünglich kam Sabella mit einem Stipendium der Akademie der Künste nach Berlin, zuvor war er in New York und London. „Ich habe in Berlin die besten zehn Jahre meines Lebens verbracht“, sagt er über die Zeit vor Corona. Die Pandemie habe er genutzt, um wie verrückt Tag und Nacht an neuen Projekten zu arbeiten. Aber ist er in der Stadt angekommen? Weltweit wurden seine Werke in über 120 Ausstellungen gezeigt, davon allein 25 in Italien – aber nur 7 in Berlin. Dennoch möchte er sich nicht beklagen, das ist ihm fremd. Er blättert durch die Kataloge, die auf seinem Tisch liegen, und eine Monografie, die 2014 erschienen ist.
Derzeit sind einige seiner Werke im Berliner Villenviertel Dahlem ausgestellt. Das Emirat Katar hat dort ein Kulturhaus eingerichtet, es nennt sich „Der Divan“ und lädt regelmäßig zu Veranstaltungen ein. Die Inneneinrichtung ist schlicht und edel, alles ist in Weiß und Gold. Unter massiven Kronleuchtern und auf Rokokosesseln redete Sabella dort kürzlich bei einer Veranstaltung mit der Kuratorin und Religionsphilosophin Almut Shulamit Bruckstein über seine Arbeit und, unvermeidbar, über die Situation im Gazastreifen. „Ich finde keine Worte für das, was dort passiert“, sagte Sabella. „Es wird Generationen brauchen, um das zu verarbeiten.“
In den oberen Räumen sind Bilder aus seiner Reihe „Everland“ ausgestellt: Darin verschmelzen nachkolorierte Aufnahmen aus dem historischen Palästina mit Szenen aus anderen Regionen des Nahen Ostens zu märchenhaften Traumlandschaften eines imaginären Orients. Im Untergeschoss sind Stadtansichten von Jerusalem und moderne Silhouetten der Stadt zu sehen. Sabella stammt aus einer alteingesessenen Familie aus Jerusalem, sein Urgroßvater war Vorsteher in der Altstadt.
Während er sich als Künstler etablierte, arbeitete er von 1999 bis 2007 als Fotograf für die UN. Dadurch konnte er mehrere Dutzende Male auch nach Gaza reisen. „Ich bin einer der wenigen Palästinenser, der alle Teile Palästinas gesehen hat“, sagt er: Das sei ein seltenes Privileg. In der Kunst sieht er ein Mittel der Selbstbefreiung vom Alltag unter der israelischen Besatzung. Die Besatzung sei „wie eine nie endende Geiselhaft. Niemand möchte so leben“, sagt er. Nicht nur das Land sei besetzt – auch die Fantasie der Menschen. „Viele können sich ein Leben in Freiheit nicht vorstellen“, meint er.
Sabella trägt lange Locken, meist schwarze Kleidung und dazu stets rote Socken, seine Fingernägel hat er schwarz lackiert. Seine Bilder sind teils rätselhaft und fantastisch, teils metaphorisch und teils politisch. Für die Installation „Settlement“ ließ er sechs Israelis und sich selbst in Unterhosen ablichten. „Das ist mein radikalstes Werk“, sagt Sabella, es hängt nun im Arabischen Museum für moderne Kunst in Katar. Für die Reihe „The Great March of Return“ vermengte er Bilder der Demonstranten am Grenzzaun in Gaza mit Aufnahmen aus dem Weltall zu kosmischen Panoramen im Stil der Renaissancekunst, sie wirken wie Fresken aus der Sixtinischen Kapelle mit einem Schuss Agitprop.
Für eine andere Reihe fotografierte er in einem alten Haus in Jerusalem ornamentale Fliesenmuster und das Küchengeschirr an der Wand. Die Aufnahmen druckte er auf mit Fotoemulsion präparierte Farbreste, die er von Hauswänden in der Altstadt abkratzte. Die Fragmente wirken vergänglich und fragil. Die Kulturwissenschaftlerin Ella Shohat und andere haben das Motiv für Buchcover verwendet. Es zeige, „wie ein Bild ganze Welten erzählen kann“, sagt Sabella, während er auf seinem Computer durch seine Webseite klickt, um die Bilder zu zeigen.
Berlin sieht sich selbst als internationale, multikulturelle Stadt. Aber dieses Bild hat für viele Risse bekommen. „Wir geben dieser Stadt sehr viel – an Sprachen, Kunst und Kultur“, sagt Yasmeen Daher. Aber nun fühlten sich viele entfremdet. „Offenbar gefällt es einigen nicht, so eine vielfältige Hauptstadt zu haben“, glaubt Fadi Abdelnour. „Deutschland ist seltsam“, sagt Fidaa al-Zaanin. „Sie wollen Einwanderer als Arbeitskräfte. Aber sie sind nicht sehr freundlich zu den Leuten.“ Nur Steve Sabella lässt sich davon nicht beirren: „Das ist das System“, sagt er nur.
„Palästinenser hatten es nie leicht hierzulande, es gab immer Vorbehalte“, sagt Fadi Abdelnour. Aber jetzt sei es normal geworden, rassistisch über Araber zu sprechen. Viele Palästinenser, die erst in den letzten Jahren nach Deutschland gezogen seien, sprächen kein Deutsch. „Manchmal beneide ich sie darum, dass sie nicht verstehen, was die Gesellschaft, in der sie leben, über sie denkt“, sagt er grimmig. „Das Klima in Deutschland ist beängstigend“, sagt Fidaa al-Zaanin. Palästinensische Stimmen würden kriminalisiert, kaum eine Demonstration ende ohne Verhaftungen. „Ich fühle mich, als ob ich mich in einer feindlichen Umgebung bewege.“
Schon in den vergangenen Jahren untersagte die Stadt Berlin alle Demonstrationen zum Gedenken an die Nakba, an Flucht und Vertreibung der Palästinenser aus dem heutigen Israel, und die Polizei ging rigoros gegen unangemeldete Versammlungen vor. Nach dem 7. Oktober hat sich die Lage verschärft. Die Polizeigewalt, mit der schon im Oktober viele Demonstrationen aufgelöst wurden, hat viele erschreckt. „Was ich da gesehen habe, war krass – sogar im Vergleich zu Ramallah“, sagt Fadi Abdelnour. „Fast wie im Film“ sei es gewesen, wie sich die Polizei den Weg durch die Menge gebahnt hätte, oder wie mehrere Beamte eine Person mit aller Kraft verprügelt hätten, ganz öffentlich
Zuletzt gab es am Hauptbahnhof in Berlin erst kürzlich wieder ähnliche Szenen. Aus Protest begann Fadi Abdelnour im Herbst, ein palästinensisches Halstuch zu tragen und er färbte sich zeitweise die Haare in den Nationalfarben: Schwarz, Weiß, Rot und Grün. Beim Sport trug er ein Palästina-Trikot, im Fitnessstudio beschwerte sich jemand deswegen.
Das brutale Vorgehen der Polizei, die Pläne des Berliner Kultursenators, die Kulturförderung an Auflagen zu knüpfen oder die Überlegungen, bei Einbürgerungen künftig ein Bekenntnis zum Staat Israel zu verlangen – all das hat Spuren hinterlassen. „Die Leute fürchten um ihren Lebensunterhalt, ihre Förderung, ihren Aufenthaltsstatus“, sagt Yasmeen Daher.
Manche Mitarbeiter ihrer Redaktion seien so verunsichert, dass sie ihre Beiträge jetzt lieber unter Pseudonym veröffentlichten. Andere hätten Angst, auf der Straße angegriffen zu werden. Im Oktober wurde in Berlin eine Frau, die ein Palästinensertuch trug, vor die U-Bahn gestoßen, sie konnte sich gerade noch retten. „Wir sind ein Störfaktor“, glaubt Fadi Abdelnour. „Meine bloße Existenz ist eine Provokation“, sagt Fidaa al-Zaanin. „Ich habe das Gefühl, als ob es dem deutschen Establishment am liebsten wäre, wenn es uns nicht gäbe.“
Viele aus der Community denken deshalb über das Auswandern nach. „Die Leute fangen an, ernsthaft Pläne zu machen“, sagt Fadi Abdelnour. „Manche sprechen sogar von Flucht.“ Yasmeen Daher kennt Leute, die bereits die Stadt verlassen haben. „Ein Bekannter von mir ist nach Beirut zurückgekehrt“, erzählt sie. „Viele, die ich kenne, wollen wieder weg – nicht nur Palästinenser, sondern auch andere“, sagt Fidaa al-Zaanin. „Der Rassismus stößt sie ab.“
Nur Steve Sabella geht einen anderen Weg: Demnächst möchte er um die Ecke seiner Wohnung einen Laden anmieten und zum Atelier umwidmen. In den Ladenräumen könne er mit den Menschen in seinem Kiez leichter ins Gespräch kommen, hofft er.
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