Islamische "Roadmap zur Heirat"
Die Webseite "Muslimlife" fungiert als islamische Heiratsvermittlung – die Absicht eines reinen Flirts wird nicht toleriert. Daniela Willmann hat sich mit Cüneyt Tirgil, dem Betreiber von Muslimlife, über die Besonderheiten einer religiös ausgerichteten Partnersuche unterhalten.
Sie betreiben das islamische Kontaktportal "Muslimlife" seit 2007. Was unterscheidet Ihre Kontaktbörse von vergleichbaren Angeboten im Netz?
Cüneyt Tirgil: Muslimlife hat sich auf die Gruppe der Muslime spezialisiert. Diese Minderheit bzw. Nische im europäischen Kontext bedarf einer anderen Herangehensweise als andere Gruppen. So sind islamische Verhaltensregeln insbesondere bei der Partnersuche enorm wichtig. Das wichtigste Kriterium einer Mitgliedschaft bei Muslimlife ist die aufrichtige Partnersuche zwecks Heirat. Flirts, Freundschaften, Dates und andere Absichten sind ausgeschlossen.
Es besteht sicherlich das große Problem der Kontrolle der Absicht eines Mitglieds, aber wir versuchen durch unser Erscheinungsbild, unsere Grundsätze, die Kontrolle der Profiltexte und -bilder und akribische Überprüfung von Missbräuchen unseren hohen Standard zu halten. So helfen uns auch unsere Mitglieder aktiv bei Missbräuchen, sodass die Community die Prinzipien von Muslimlife wahrt. Natürlich handelt es sich hierbei – im Gegensatz zum traditionellen Weg – um ein neues Medium, an die sich die Muslime gewöhnen müssen, aber prinzipiell ist dieser Weg der Partnersuche unter Muslimen toleriert.
Wieso sollten Muslime ausgerechnet bei Muslimlife und nicht bei einer konventionellen Seite, die für alle Religionsgruppen offen ist, ihr Glück versuchen?
Tirgil: Sicherlich können Muslime sich auf anderen Seiten umgucken, nur muss man dort oft Kraft und Zeit investieren, um die "Spreu vom Weizen zu trennen". Wenn Muslime sich auf Muslimlife anmelden, tun sie das in der Hoffnung, sich auf das Detail konzentrieren zu können. Fragen wie: Bist Du MuslimIn? Bist Du praktizierend? Suchst Du einen Ehepartner? Diese und andere Fragen zur Religionsausübung erübrigen sich bei Muslimlife. Man kann sich auf Wesentlicheres konzentrieren.
Können Sie kurz erklären, wie die Kontaktanbahnung in der Praxis abläuft?
Tirgil: Über die Webseite bieten wir technische Hilfsmittel zur Selbstdarstellung, Suche und Kommunikation. Wir raten auch unseren Mitgliedern aus Selbstschutz, die Kommunikation zu Anfang innerhalb Muslimlifes zu führen, ohne auf externe Kommunikationsmittel, wie MSN-Messenger oder Telefon auszuweichen.
Der Hintergrund ist, dass man eine Kommunikation ohne weitere Belästigungen beenden kann. Sind aber private Kontaktdaten ausgetauscht, so können wir auch bei Belästigungen nichts unternehmen, da erstens der Beweis einer Störung nicht oder nur schlecht erbracht werden kann und zweitens der Dialog außerhalb unseres Wirkungsbereiches geführt wird.
Hat man sich aber näher kennengelernt und eine "Roadmap zur Heirat" erstellt, raten wir unseren Mitgliedern folgende Herangehensweise: Erstens sollte der erste Kontakt außerhalb von Muslimlife telefonisch stattfinden. Als nächstes sollte - mit Wissen der Familien - ein Treffen an einem öffentlichen Ort mit einer Begleitperson organisiert werden. Und drittens sollten sich schließlich die Familien einschalten und die Wege für eine Heirat ebnen.
Welche Schwierigkeiten haben Muslime bei der Partnersuche in Europa, im Unterschied zu den traditionellen islamischen Gesellschaften?
Tirgil: Traditionell islamischen Gesellschaften, wie sie zum Beispiel in der Türkei oder in Marokko existieren, bestehen aus bis zu 98 Prozent Muslimen, während Muslime in Europa häufig eine Minderheit darstellen. Hinzu kommt noch, dass es einigen Muslimen wichtig ist, muslimische Partner der gleichen Nationalität zu ehelichen. Das engt den Kreis noch weiter ein. Ferner gibt es Muslime, die eine liberalere Einstellung zum Islam haben.
Fügt man dann noch Wünsche wie Berufsfeld, Lieblingsfarbe oder Reiselust hinzu, entwickelt sich die perfekte Partnersuche für europäische Muslime zu einer Tortur. Es entsteht eine lange Liste voller Abstriche. Vor allem konvertierte Muslime werden nicht auf den ersten Blick erkannt und müssen sich meist mit den kulturell behafteten Gepflogenheiten einiger Muslime auseinandersetzten. Die traditionellen Gesellschaften garantieren allerdings keine perfekte Partnersuche, die Auswahl ist lediglich größer. Die Anforderungen an die Partnersuche in Europa sind höher und umfangreicher.
Sie verweisen auf ihrer Homepage auf einen "islamischen Verhaltenskodex". Was genau verstehen Sie darunter?
Tirgil: Der Islam ist eine einfache aber auch umfangreiche Religion, die den Muslim in seinem Alltag begleitet. So sind auch viele soziale Praktiken und Gepflogenheiten vom Propheten vorgelebt. Darunter fällt auch die Heirat. Die Aufgabe von Muslimlife ist es, diese Praktiken und diesen Verhaltenskodex im Internet abzubilden.
Der Islam verbietet zum Beispiel außereheliche sexuelle Beziehungen. Deshalb versteht sich Muslimlife als Portal für Partnerschaften mit dem Ziel der Heirat. Für einen Flirt oder eine ungebundene Beziehung sind sicher andere Portale besser geeignet. Dementsprechend werden Bilder, Benutzernamen und Profiltexte gemäß unserer Auffassung vom islamischen Verhaltenskodex überprüft und gegebenenfalls zensiert.
Was für ein Verhalten die Muslime dann während der Kontaktaufnahme an den Tag legen, können und dürfen wir nicht beeinflussen. Wir können jedoch die Rahmenbedingungen dafür bestimmen.
Ist es möglich, dass Nicht-Muslime einen Partner oder eine Partnerin auf Ihrer Seite suchen?
Tirgil: Wir haben beispielsweise weibliche Mitglieder, die in ihrem Profil offen schreiben, dass sie keine Muslimas sind. Anscheinend betrachten sie Muslimlife als eine alternative Plattform. Für die Mehrheit unserer Mitglieder jedoch spielt die Religion eine bedeutende Rolle. Daher denken wir, dass Muslimlife viel eher Muslime anspricht als Nicht-Muslime.
Mit welchen Vorstellungen und Erwartungen kommen die Nutzerinnen und Nutzer auf Ihr Vermittlungsangebot? Können Sie diese anhand von Beispielen erläutern? Nach welchen Kriterien werden die Paare anschließend vermittelt?
Tirgil: Muslimlife ist eine moderne Kontaktbörse in Form von Heiratsanzeigen. Eine aktive Vermittlung unsererseits gibt es nicht! Wir geben Tipps und Hilfestellungen bei der Benutzung des Systems. Als zusätzlichen Service versenden wir wöchentlich per E-Mail Partnervorschläge. Hierbei werden zum Beispiel Hobbies, Alter oder Herkunftsland mechanisch mit dem idealen Partnerbild verglichen und als Vorschläge weitergeleitet. Was das Mitglied mit diesen Vorschlägen macht, ist ihm selbst überlassen.
Partnersuche im Internet ist inzwischen eine echte Alternative, aber nicht Jedermanns Sache! Unsere Mitglieder möchten heiraten und sehen in Muslimlife eine Chance, dieses Ziel zu erreichen. Die religiöse Ausübung spielt bei vielen Mitgliedern eine Rolle, aber wichtig ist vor allem auch die religiöse Identität. Der Islam soll auch in der Ehe und im Familienleben ein Bestandteil sein.
Zum Beispiel suchte eine Muslima, die durch Blutkontakt HIV positiv war, nach einem muslimischen Mann, der seine Religion ausübt und wie sie auch HIV positiv ist. Auch für solche schwierigen Fälle ist Muslimlife eine Anlaufstelle.
Ihr Ziel ist es, muslimische Paare für eine spätere Hochzeit zu vermitteln. Haben Sie mit diesem Ziel großen Erfolg?
Tirgil: Etwa jede Woche erreicht uns ein Dankesschreiben, wo wir von neuen Ehen erfahren. Auch aus unserem Bekanntenkreis haben sich Menschen gefunden und geheiratet. Wie wurden sogar zu Hochzeiten eingeladen. Das freut uns sehr! Die meisten wollen verständlicherweise anonym bleiben, da diese Art des Kennenlernens noch kritisch beäugt wird.
Unser Ziel war und ist es, mit Muslimlife eine besser Lebensqualität für Muslime in Europa zu schaffen. Die Ehe ist ein wichtiger Schritt im Leben eines Menschen und umso wichtiger ist es, diesen Lebensabschnitt mit einer Person zu beschreiten, die einem hilft, das Leben mit all seinen Hürden in Europa zu meistern.
Interview: Daniela Willmann
© Qantara.de 2010
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