Die schlafenden Frauen
Für viele westlich geprägte Köpfe gehen Feminismus und die muslimische Welt nicht wirklich Hand in Hand. Da ist einerseits die vor Ort unbenommen schwierige Lage der Frauen, die oftmals im Namen der Religion vieler Grundrechte als Bürgerinnen beraubt sind. Da ist die andererseits die eingeengte westliche Vorstellung dessen, was und wie Feminismus auszusehen habe, damit er seinen Namen auch wirklich verdient.
Tatsächlich gibt es zahlreiche Feministinnen in der muslimischen Welt – doch sie legen Wert darauf, den Kampf für ihresgleichen in einer Weise auszutragen, der den Gepflogenheiten ihrer eigenen Kultur, und nicht einzig nur westlichen Ideen entspricht.
Verbannt in die Unsichtbarkeit
Auch die in Karatschi beheimatete Autorin Bina Shah ist eine Feministin – die nun, in ihrem Roman "Die schlafenden Frauen" eine nach außen hin stille Revolte anzettelt, und das aus dem Schutz eben der Unsichtbarkeit heraus, in die Frauen nicht zuletzt auch in Karatschi allmählich verbannt worden sind.
Dort konnten Frauen vor rund dreißig Jahren noch in ärmellosen Kleidern und kniekurzen Röcken flanieren gehen; die bunten Schönheiten im farbenprächtigen Salwar Kamiz, die folgten, sind inzwischen mehr und mehr von fehlfarbenen Gestalten im Tschador abgelöst worden.
Dass dabei nicht die Religion selbst, sondern der Pakt zwischen patriarchalem Besitzstandsdenken und religiösem Obskurantismus das Hauptproblem darstellt, hat Bina Shah – die sich auch als Bloggerin und Journalistin regelmäßig für die Rechte von Frauen einsetzt – jüngst erst wieder in einem Essay betont.
Ihr Roman "Die Geschichte der schweigenden Frauen" hat insofern nicht den Islam oder die Religion an sich zur Stoßrichtung. Shah entwirft darin vielmehr das eher düstere, da zugleich post-apokalyptische Szenario einer Welt, in der die Frauen erneut einzig auf ihre Fertilität reduziert sein werden.
Sub-West-Asien
Der Roman selbst spielt Anfang des 22. Jahrhunderts, irgendwo in Asien. Rund 50 Jahre zuvor kam es infolge verheerender Klimakatastrophen zu einem nuklearen Krieg auf dem heutigen Gebiet von Pakistan. Ganze Generationen werden ausgelöscht; die Überlebenden fliehen in die noch unverseuchten, sicheren Regionen; alte Grenzziehungen werden aufgelöst, neue Territorien gegründet. Eines von ihnen ist die Region Sub-West-Asien – mit der neu entstandenen Hauptstadt "Green City", dem Schauplatz des Romans.
Der Name dieser Stadt – die wie eine futuristisch-bedrohliche Mélange aus Megacities wie Karatschi und Dubai anmutet – ist dabei Programm. Denn der einst sandigem Boden abgerungene Ort soll prosperieren – und das um jeden Preis. Zahlen müssen ihn die Frauen: In "Green City" haben sie, notfalls gepuscht durch Medikamente, als menschliche Gebärmaschinen zu dienen; Verhütungsmittel und Abtreibungen sind strikt verboten.
Auch das Zusammenleben der Geschlechter ist durch und durch vom Gebot der Fortpflanzung reglementiert. Männer – auch sie leiden bei Shah unter der gewollten Entfremdung zwischen den Geschlechtern – leben in verordneter Polygamie. Mädchen und Frauen werden rund um die Uhr streng überwacht. Zwangsheiraten sind an der Tagesordnung.
Ein Bunker als schützender Ort
Und doch gibt es einen Ort, an dem für Frauen ganz andere Regeln herrschen: Es ist die sogenannte "Panah" – ein unterirdischer Bunker am Rand von "Green City", der auf ironisch-abgründige Weise das Phänomen des sogenannten "Parda" mutiert: jener kulturellen Sitte, der zufolge Frauen in einem von der Öffentlichkeit abgetrennten Bereich zu leben haben, und die in Pakistan zwar kein Gesetz, aber tief im Denken und Handeln der Menschen verankert ist.
Ausgerechnet dort also, in halb unfreiwillig, halb freiwillig selbstgewählten Abgeschiedenheit, finden in Shahs Roman jene Frauen Zuflucht, die sich dem repressiven Zugriff der Obrigkeit entzogen haben. Niemand darf von ihrer Existenz wissen.
Die Frauen der "Panah" gelten als Illegale – obwohl sie nachts ihren Körper zum Trost all jenen Männern zur Verfügung stellen, die in der Stadt das Sagen haben. 30 Jahre ging diese Allianz gut. Doch nun, so der Ausgangspunkt des Romans, ist eine der Frauen ungewollt schwanger geworden – was sie erst bemerkt, als sie auf offener Straße zusammenbricht. In einer verzweifelten Aktion versucht der mächtigste Klient der "Panah" die Frau zu retten – und setzt damit eine fatale Kette von Ereignissen in Gang.
Neuauflage eines Klassikers
Das Ende des Romans – der geschickt erzählt ist aus den Ich-Perspektiven mehrerer Erzählstimmen – sei nicht verraten. Und ja, immer mal wieder verliert sich die Handlung auf zu vielen Seitenwegen, in manchmal etwas ermüdenden mäandernden Schleifen. Und ja, der Aufstand ihrer Hauptfigur endet leider erneut in den Armen eines Mannes.
Selbstbewusst aber wagt Bina Shah mit ihrer "Geschichte der schweigenden Frauen" eine Neuauflage jenes Romans, der als Urtext aller weiblichen Dystopien gilt: Margaret Atwoods Klassiker "Der Report der Magd" – und schreibt ihrer eigenen Version nicht zuletzt auch die Abgründe unserer Epoche ein: Denn wo das seinerzeit von Atwood entworfene Regime ein rein phallischer Theokrat war, beleuchtet Shah wiederum mit Blick auf das größere Ganze, wie zugleich auch technologische Allmacht und Sicherheitswahn bedrohlich Hand in Hand gehen.
Wirken im Verborgenen
Zugleich aber sind die ideologischen Fesseln, die man in "Green City" den Frauen auferlegt, subtiler – da sie sich als ihr Schutz gerieren. Die Parallelen zur Lebenswelt der Autorin in Pakistan – wo Frauen zwar inzwischen einen deutlich wachsenden Anteil sowohl in der Politik wie auch in der Wirtschaft verzeichnen, noch immer aber beispielsweise massiv unter häuslicher Gewalt leiden – liegen insofern auf der Hand.
Bina Shah ist allerdings klug genug, sie an keiner Stelle im Roman explizit zu machen. Die "schlafenden Frauen" arbeiten insofern in jeder Hinsicht im Verborgenen – es ist in Ländern wie Pakistan der beste Ort, um auf konspirative Weise nachhaltige Veränderungen anzugehen.
Claudia Kramatschek
© Qantara.de 2019
Bina Shah: "Die Geschichte der schweigenden Frauen", aus dem Englischen von Annette Carpentier, Golkonda-Verlag, München 2019, 360 Seiten, ISBN: 978-3-9465-0394-1
Bina Shah lebt als Autorin und Journalistin in Karatschi, Pakistan. Sie hat fünf Romane und zwei Bände von Kurzgeschichten veröffentlicht. Regelmäßig schreibt sie für die International New York Times, the Dawn, the Huffington Post, Al Jazeera. Auch im Independent und Guardian erscheinen ihre Texte. Durch Ihre Kolumnen und ihren Blog The Feministani gilt sie in Pakistan als eine prominente feministische Stimme. Sie ist zu Gast in Medien wie BBC oder PRI und NPR.