Obamas Rede an einen furchtlosen Nahen Osten
Bei einem Lunch in der US-amerikanischen Botschaft in Kairo, kurz nach der Kairoer Rede Präsident Barack Obamas im Jahr 2009, beschrieb ein bekannter ägyptischer Menschenrechtler seine Reaktion auf Obamas Rede mit den Worten: "Sie war besser, als wir befürchtet hatten, aber auch schlechter, als wir gehofft hatten."
Damit bezog sich dieser Aktivist auf etwas, das viele ägyptische Demokratie-Verfechter als zögerliche Haltung Obamas gegenüber der Demokratie ansahen, hatte dieser doch in seiner 50 Minuten dauernden Rede das Wort "Demokratie" nicht ein einziges Mal in den Mund genommen. 2009 richtete Obama seine Rede an einen Nahen Osten, in dem die Angst vor Repressionen noch tief saß und Demokratie-Aktivisten zum Westen blickten, in der Hoffnung, dass dieser Druck auf ihre Regime ausübt.
Schneller Vorlauf ins Jahr 2011: Obama widmet eine ganze Rede der Bekräftigung amerikanischer Unterstützung für die Selbstverwaltung im Nahen Osten und auch das Wort "Demokratie" fiel neunmal. Heute spricht er zu einer komplett gewandelten Region, in der Auflehnung an die Stelle von Furcht getreten ist und in der die Bürger sich als Gewinner des Wandels empfinden. Viels von dem, was der Präsident sagte, wird diesen gewandelten Gesellschaften vermutlich gefallen haben. Gleichzeitig aber wird einiges davon auch schwieriger mit ihrem neu erwachten Sinn für Gerechtigkeit zu vereinbaren sein.
Trügerische Stabilität
Auf der positiven Seite findet sich Obamas treffender Hinweis, dass die friedlichen Proteste in Ägypten und Tunesien in wenigen Wochen das erreichten, was die Bomben von Al-Qaida in Jahrzehnten nicht fertig gebracht hatten. Außerdem brach er eine jahrzehnte alte Tradition US-amerikanischer Politik im Nahen Osten, als er einräumte, dass Autokratien nicht länger Garanten für Stabiltät seien oder, wie er es ausdrückte: "Der Status quo ist nicht nachhaltig." Demokratie biete – bei allen Risiken – mehr Stabilität als Diktaturen mit ihren falschen Gewissheiten.
Er fuhr fort, indem er betonte, dass es zu seinen obersten Prioritäten gehöre, an der Seite der einfachen Menschen zu stehen, und dass diesem Ziel mit geeigneten politischen Maßnahmen Rechnung getragen würde. Obama sieht sich einer Region gegenüber, in der laut einer Gallup-Umfrage noch immer eine Mehrheit der Bürger fürchtet, die USA würden sich in ihre politische Zukunft einmischen, und so ist ihm sehr daran gelegen, zu versichern, dass die stärkste Nation der Welt "mit einem Gefühl von Demut vorgehen" werde. Er betonte, dass, so wie die Ägypter und Tunesier ihre Reise in Richtung Demokratie begonnnen hätten, es auch nun in ihren Händen läge, ihr Schicksal zu bestimmen.
Indem er dem in dieser Region starken Wunsch nach Unabhängigkeit Rechnung trug, schlug Obama den richtigen Ton an, wenn er den Völkern selbst die Verantwortung für die Bestimmung ihrer Führer zuwies. Schließlich verfügten sie über Eigenschaften, die er als die "größten unerschlossenen Ressourcen im Nahen Osten und Nordafrika" bezeichnete. Richtig liegt er auch, wenn er den Vorrang von Partnerschaft gegenüber Paternalismus betont und den von Handel gegenüber Hilfe, wenn es um das richtige Instrument zur Förderung der Entwicklung geht.
Seine ausdrückliche Zusage eines Schuldenerlasses in Höhe von einer Milliarde Dollar und einer weiteren Milliarde als Kreditbürgschaft unterstreicht dieses Bekenntnis. Angesichts der großen Wut vieler Ägypter über die Korruption ihres gestürzten Regimes erscheint – auch wenn es nur einer von vielen Sätzen seiner Rede war – wohl eine der wichtigsten Aussagen Obamas das Versprechen zu sein, beim Auffinden gestohlener Vermögenswerte behilflich zu sein.
Eine neue amerikanische Politik
Zu einer Zeit, in der in den Gesellschaften des Nahen Ostens die demokratischen Hoffnungen ihrer Bürger immer offener zu Tage treten, wird es noch schwieriger, die ungerechte Behandlung von religiösen oder konfessionellen Minderheiten in der Region zu ignorieren. Deshalb wies der Präsident zurecht auf die Bedeutung hin, die dem Schutz religiöser Minderheiten in Ägypten und Bahrain zukommt; leider vergaß er, diesen Schutz auch für die Minderheiten in Israel und Saudi-Arabien anzumahnen.
Abschließend sei bemerkt, dass, auch wenn viel berichtet wurde über den Hinweis Obamas auf die Grenzen von 1967 und einen Gebietstausch als Ausgangspunkt für Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern, nur wenige den generellen Rahmen seiner Überlegungen zu dem Konflikt in Frage stellten. Verständlicherweise ging Obama auf die Sicherheitsbedürfnisse der Israelis ein, indem er Bezug nahm auf den Hass und die Gewalt, von denen ihre "Kinder" bedroht seien. Palästinensische Sicherheitsbedürfnisse hingegen kamen in seiner Rede nicht vor, ebenso wenig wie deren Angst vor israelischer Gewalt, so als ob sich zivile Opfer von Gewalt nur auf israelischer Seite fänden.
Eine selbstbewusstere Öffentlichkeit im Nahen Osten bedeutet, dass den lokalen Politikern, genauso wie denen der internationalen Gemeinschaft, eine größere Verantwortung zufällt. Und auch Obama weiß, dass es darauf ankommt, "Millionen von Menschen – und nicht nur einige wenige Führer" davon zu überzeugen, dass Frieden – und eine neue amerikanische Politik – möglich ist.
Dalia Mogahed
© Common Ground News Service 2011
Dalia Mogahed leitet das Abu Dhabi Gallup Center und das Gallup Center for Muslim Studies. Mit John L. Esposito verfasste sie das Buch "Who Speaks for Islam? What a Billion Muslims Really Think" (erscheint im August dieses Jahres auf Deutsch unter dem Titel "Was Muslime wirklich denken: Der Alltag, die Extremisten, die Wahrheit dazwischen"). 2009 wurde sie von US-Präsident Barack Obama zur Beraterin für das Office of Faith-Based and Neighborhood Partnerships im Weißen Haus ernannt.
Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol
Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de