Ein Tourismusmagnet im Nachkriegsirak
Einen Museumsdirektor stellt man sich hierzulande anders vor. Mit randloser Edelbrille vielleicht oder grauen Haaren, bestimmt in einem seriösen Anzug und auf jeden Fall eines: alt. Aber das wäre vielleicht in Deutschland der Fall. Schön, dass man nicht überall erst Großvater werden muss, um Ernst genommen zu werden und etwas in die Tat umzusetzen, das Schlagzeilen macht.
Qahtan Alabeed bekam die Chance in einem Alter, in dem bei uns zumeist noch studiert wird oder vielleicht bereits Praktikumszeugnisse gesammelt werden. Er ist gerade 30 Jahre alt geworden, trägt Jeans und Turnschuhe und bezieht demnächst ein Büro mit exquisiter Aussicht auf Palmen und Wasser.
Alabeeds Büro liegt im ersten Stock eines ursprünglich für Saddam Hussein errichteten Prunkbaus: Der "Lakeside Palace" gehört zu einer Gruppe von Regierungspalästen im südöstlichen Saraji-Distrikt von Basra. Dass nun das Nationalmuseum dort einzieht, hat Alabeed sich einfallen lassen. Und dass er dessen Direktor ist, ergab sich quasi automatisch.
Der junge Iraker studierte Archäologie und ist auf Keilschriften spezialisiert. "Meinen ersten Job bekam ich 2005 beim Directorate of Antiquities, 2007 dann den Status eines festen Mitglieds. Und schon ein Jahr später hatte ich den Job als Museumsdirektor. Es ist reiner Wahnsinn, wie viel Arbeit ich seitdem habe, ich bin ständig unterwegs", schildert Alabeed sein neues Leben als Museumsdirektor.
Seine Zeit opfert er allerdings gern, schließlich war es ja sein ursprünglicher Plan gewesen. Doch von der Idee bis zur Umsetzung verging viel Zeit – eine mühevolle Zeit, erst Recht im Nachkriegsirak.
Bürokratische Hürden
Bei den irakischen Behörden fand Alabeed anfangs keine Unterstützung. "Mehrmals hatte ich der Regierung geschrieben, aber mein Vorschlag, einen der Paläste zu einem Museum umzufunktionieren, wurde abgelehnt", erzählt er. Obwohl das Gebäude mit der luxuriösen Innenausstattung, zu der äußerst kostbare marokkanische Mosaiken und Fresken gehören, bisher nur leer stand.
"Saddam hatte allein in Basra fünf Paläste, wobei wir uns den größten ausgesucht haben. Der Diktator hatte dieses Gebäude jedoch nie betreten. Er wollte zwar alles besitzen, hat aber keine einzige Nacht seines Lebens dort verbracht."
Im Gegensatz zur Regierung interessierte man sich bei den vor Ort stationierten britischen Truppen schon eher für das Projekt. Eines Tages kam von dort ein Anruf. "Ich weiß nicht, wie die Briten Wind von der Sache bekommen hatten, doch der Commander sagte mir, dass sie das Projekt voran treiben wollten, zunächst ganz simpel, indem sie erst einmal das Gebäude aufräumen halfen", berichtet Alabeed.
"Ein paar Monate später zogen sie bereits aus Basra ab und in England müssen sie mit dem British Museum gesprochen haben, denn nun wurde mir von dort Unterstützung angeboten. Sie fragten mich, ob ich überhaupt das richtige Gebäude ausgewählt hätte - und ich sagte, sie könnten es sich ja ansehen kommen."
Gesagt, getan. Eine international zusammengesetzte Sachverständigengruppe, der auch Margarete van Ess, Irakexpertin vom Deutschen Archäologischen Institut angehörte, wurde auf die Beine gestellt und nach Basra entsandt. Das einhellige Urteil: Der Palast sei bestens geeignet.
Diese Expertise und die britische Einflussnahme brachten den Stein dann endgültig ins Rollen. Nach einem langwierigen bürokratischen Prozess erteilten die irakischen Behörden die Erlaubnis. 2009 besiegelte das British Museum schließlich die Kooperation mit Alabeed und trug fünf Millionen Dollar private Spendengelder zusammen.
Mit diesem Budget ausgestattet machte sich Alabeed an die Planungen. Da die Museumsmitarbeiter von der Regierung bezahlt werden und der Palast im Grunde intakt war, kann das Spendengeld fast vollständig in die kuratorischen Vorhaben fließen.
Im Dezember 2010 stellte Alabeed das fertige Konzept in London erstmals einer breiten Öffentlichkeit vor. Zwei große Ausstellungsräume, die sumerische Galerie und die Basra-Galerie werden auf jeweils rund 400 Quadratmetern Exponate aus den jeweiligen Epochen beherbergen, in zwei weiteren, je 111 Quadratmeter großen Räumen, werden die Ashur-Galerie sowie temporäre Ausstellungen untergebracht.
Ein symbolträchtiges Stück Normalität
Mit dem Museum kehrt ein symbolträchtiges Stück Normalität in das städtische Leben Basras zurück. Zuletzt nämlich konnte niemand etwas von den sagenhaften Kulturschätzen der Region besichtigen. Das Haus in einem Altbauviertel Basras, wo das Museum früher untergebracht war, fällt fast zusammen, von Einbruchsicherheit ganz zu schweigen.
Außerdem ist es viel zu klein. Was nach den Diebstählen und Plünderungen im Zuge des Krieges übrig blieb - ungefähr die Hälfte aller Ausstellungsstücke ging verloren - lagert seit Jahren in Bagdad.
"Basra war immer die Kulturmetropole des Irak, deswegen lieben die Einwohner das Projekt", freut sich der junge Museumsdirektor auf die bevorstehende Eröffnung. "Viele Einwohner Basras warten gespannt und fragen mich ständig, wann das Museum nun endlich geöffnet wird?"
Aber nicht nur die einheimische Bevölkerung soll von dem Museum profitieren. Was in deutschen Ohren noch etwas abenteuerlich klingen mag, kann Alabeed gar nicht abwarten - die neuerliche Profilierung Basras als Tourismusmagnet.
"Natürlich ist die Lage im Irak insgesamt nicht besonders gut, aber nach Basra kommen bereits wieder Touristen, weil es dort ruhig ist", erzält Alabeed. "Unsere Stadt liegt am Persischen Golf und ist das Tor zum Irak, die Leute sind freundlich und aufgeschlossen. Wir sind eine Handelsstadt, fremde Gesichter in den Straßen überraschen hier niemanden, weil sie schon immer dazu gehörten. Und: Wir sind die irakische Stadt mit den meisten Gebäuden auf der Weltkulturerbe-Liste der UNESCO. Auf diesem Grund wurde 636 n. Chr. die älteste islamische Stadt außerhalb der arabischen Welt gebaut!"
Sebastian Blottner
© Qantara.de 2011
Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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