Föderalismus als Exit-Strategie?
Obwohl sich die britische Irak-Kommission in ihren Empfehlungen für eine diplomatische Großoffensive zur Lösung des Irakkonflikts ausspricht, fehlt es ihr an praktischen Vorschlägen zur Umsetzung dieser Strategie. Von Christian Luenen
Am 14. Juli 2007 präsentierte die Irak Kommission in Großbritannien, ein Pendant zur amerikanischen "Iraq Study Group", auf dem Sender Channel 4, die Ergebnisse ihres 118-Seiten umfassenden Gutachtens.
Das Ergebnis zu dem die Kommission, die vom britischen "Foreign Policy Centre" (FPC) in Zusammenarbeit mit Channel 4 ins Leben gerufen wurde, ist ernüchternd und unmissverständlich.
Angesichts der weiterhin katastrophalen Sicherheitssituation und der Überzeugung, dass die britischen Truppen nicht mehr in der Lage sind, eine stabilisierende Funktion im Irak auszuüben, spricht sich die Kommission für einen Abzug der britischen Streitkräfte aus dem Irak aus, sobald irakische Einheiten genügend Training erhalten haben, um die Aufgaben der Koalitionstruppen selbst übernehmen zu können.
Dieses Plädoyer unterscheidet sich grundlegend von der bisherigen Strategie, die einen Truppenabzug allein von einer allgemeinen Verbesserung der Sicherheitslage im Zweistromland abhängig machte.
Demokratie vs. Stabilität
Ferner stellte die Kommission in ihrem Gutachten fest, dass das hoch gesteckte Ziel, eine Demokratie nach dem Vorbild Washingtons im Irak zu installieren, gescheitert sei und man sich nun dringend um alternative Strategien bemühen müsse. Demnach sollte sich die britische Regierung nun auf folgende Aspekte konzentrieren:
Zudem appellierte die Kommission an die internationale Gemeinschaft, sich wieder verstärkt für eine umfassende Lösung des Nahost-Problems einzusetzen, beruhend auf einem dauerhaften Friedensabkommen zwischen Israelis und Palästinensern.
Föderalismus als Instrument zur Konfliktbewältigung
Wie erwartet, erhofft sich die Kommission insbesondere von der Föderalismus-Reform, die zwar in der irakischen Verfassung verankert aber noch keineswegs umgesetzt wurde, eine dauerhafte Lösung für die Beendigung des Bürgerkrieges und der konfessionellen Konflikte.
Die Idee, eine föderale Ordnung im Irak zu unterstützen, ist jedoch nicht neu. So haben sich bereits seit langem vor allem der Professor Emeritus am "Council of Foreign Relations" in den USA, Leslie Gelb, der US-Senator aus Delaware, Joseph R. Biden sowie Dr. Gareth Stansfield, Nahost-Spezialist am "Chatham House", für eine konfessionell-föderale Ordnung, sogar für die Dreiteilung des Iraks, stark gemacht.
In den letzen Jahren oftmals von Entscheidungsträgern ignoriert, wird diese Idee nun im Kontext der heutigen Suche nach einer Exitstragie wieder verstärkt in Erwägung gezogen.
Unabhängig davon, ob man nun eine föderale Lösung als sinnvoll erachtet oder nicht, besteht das größte Problem heute darin, wie man eine solche Lösung überhaupt in die Praxis umsetzen kann – denn Tatsache ist und bleibt, dass die meisten Iraker diese Lösung nicht befürworten.
Trotz der anhaltenden ethnisch-konfessionellen "Säuberungen" sind die einzelnen Regionen des Iraks nicht homogen, selbst innerhalb der einzelnen Konfessionsgemeinschaften herrschen gravierende politische Machtkämpfe vor.
Die Regionalisierung des Irak-Konflikts
Obwohl die Einbeziehung der Nachbarstaaten des Irak für eine Konfliktlösung unverzichtbar geworden ist, da es heute besonders darum geht ein neues Sicherheitsarrangement in Nahost zu schaffen und im Falle der Implosion des Landes die regionale Ausweitung des Konfliktes zu verhindern, ist der Einfluss der Nachbarn auf die verschiedenen Parteien innerhalb des Iraks doch stark begrenzt.
So hat es auch die britische Expertenrunde versäumt, klare Antworten auf die drei wohl wichtigsten Fragen zur Konfliktbewältigung im Irak zu liefern:
Wie beendet man die inner-konfessionellen Konflikte? Wie vermittelt man den Sunniten, den bisher größten Gegnern einer föderalen Ordnung, dass ihnen ein föderaler Irak mehr politische Macht garantieren kann als ein schiitisch dominierter, zentralisierter Irak? Und wie bringt man die zerstrittenen Konfessionen dazu, nach einer umfassenden politischen Lösung des Konfliktes zu suchen?
Ob es hinsichtlich des Irakkonflikts möglich erscheint, zu einem Friedensabkommen wie in Dayton zu gelangen, ist letztlich eine Frage, mit der sich die Geo-Strategen – insbesondere die angelsächsischen Besatzungsmächte – bereits seit langem befassen.
Vor allem deshalb, wie Anthony H. Cordesman vom "Center for Strategic and International Studies" in Washington feststellte, da die Irakpolitik der USA, besonders unter Paul Bremer, in der Nachkriegszeit maßgeblich für die Erosion des irakischen Staates mitverantwortlich ist.
Christian Luenen
© Qantara.de 2007
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