Zögernd öffnet Europa das Tor

Demografiewandel und Globalisierung veranlassen Europas Politiker dazu, neue Regeln für eine gezielte Einwanderung von Arbeitskräften in die EU aufzustellen. Aus Brüssel informiert Daniela Schröder.

Demografiewandel und Globalisierung veranlassen die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union dazu, das Thema legale Migration auf die EU-Agenda zu setzen und neue Regeln für eine gezielte Einwanderung von Arbeitskräften aufzustellen. Aus Brüssel informiert Daniela Schröder.

Passkontrolle am Flughafen Berlin-Tegel; Foto: AP
Um den künftigen Mangel an Arbeitskräften in der Europäischen Union zu kompensieren, bemühen sich Europas Politiker um eine gezielte Einwanderspolitik.

​​Der Mangel an Arbeitskräften in den 27 EU-Staaten ist absehbar, denn Europa steht vor einem beispiellosen Wandel der Bevölkerungsstruktur. Bis zum Jahr 2030 werden Europa 20 Millionen Einwohner im erwerbsfähigen Alter fehlen, schätzt die EU-Kommission, 2050 könnten es sogar 65 Millionen sein.

Um Wirtschaftswachstum und Wohlstand im globalen Wettbewerb zu sichern, drängt die EU-Kommission verstärkt darauf, hoch qualifizierten Arbeitern aus Nicht-EU-Staaten die Einwanderung zu erleichtern. Im Fokus stehen dabei die afrikanischen Staaten. Um Fachkräfte aus Afrika anzuwerben, plant EU-Justizkommissar Franco Frattini eine europäische Version der US-amerikanischen Arbeitserlaubnis, der "green card".

Flexible Steuerung der Immigration

Frattinis "blue card"-Konzept sieht vor, dass ausländische Facharbeiter – und vor allem gut ausgebildete junge Berufstätige – per Schnellverfahren eine auf zunächst zwei Jahre befristete Arbeitserlaubnis erhalten. Sie soll verlängert und nach fünf Jahren in ein dauerhaftes, EU-weites Aufenthaltsrecht umgewandelt werden können.

Die entsprechenden Regeln würden in der gesamten EU gelten und ein Gehalt vorsehen, das über den nationalen Mindesteinkommen liegt. Genaue Vorgaben für Einwanderungszahlen machte jedoch Frattini nicht. Die EU-Staaten sollen weiterhin selbst entscheiden, wie viele Arbeitskräfte sie ins Land lassen wollen.

Dennoch ist der Vorschlag heikel: Wenn es um Fragen von Aufenthalts- und Arbeitsrecht geht, sind die nationalen Regierungen extrem empfindlich.

Auf dem EU-Gipfel im vergangenen Dezember, unter der Leitung der damaligen EU-Ratspräsidentin Angela Merkel, hatten sich die 27 Staats- und Regierungschefs zwar grundsätzlich darauf verständigt, neue Regeln für eine gezielte Einwanderung von qualifizierten und hochqualifizierten Arbeitskräften aufzustellen.

"Blue card"-Konzept erneut in der Diskussion

Der EU-typische Knackpunkt ist jedoch die Frage, inwieweit die EU-Kommission dafür zuständig sein soll, denn das Öffnen der Arbeitsmärkte fällt unter die Kompetenz der nationalen Regierungen.

Bereits vor zwei Jahren hatte Frattini die "blue card" ins Spiel gebracht, war damit jedoch bei den Mitgliedsländern auf Ablehung gestoßen. Vergangenen Januar kündigte er bei Gesprächen der EU-Justizminister in Dresden nunmehr an, in diesem Herbst einen zweiten Versuch starten zu wollen.

"Hochqualifizierte werden in Europa gebraucht, und in der Bevölkerung ist die Akzeptanz für diese Gruppen von Einwanderern am größten", sagt auch Steffen Angenendt, Migrationsexperte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Allerdings sei nicht klar, wann jemand als hoch-, mittel- oder geringqualifiziert gilt. "Eine verbindliche Definition fehlt in der EU."

Was heißt "hochqualifiziert"?

Auch das Europa-Parlament will genauer wissen, was die Kommission unter hochqualifizierten Arbeitskräften versteht. Definitionen und Bedürfnisse in den EU-Ländern seien nämlich genauso verschieden wie die nationalen Regeln für die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen, heißt es in einem neuen Parlamentspapier zur legalen Einwanderung.

Eine EU-Arbeitserlaubnis fordern die Europa-Abgeordneten auch für die Tourismusbranche, die Landwirtschaft und das Baugewerbe – ohne ausländische Arbeitnehmer würden diese Wirtschaftszweige in vielen Mitgliedsstaaten zusammenbrechen.

Entsprechende Regelungen will die Kommission im kommenden Jahr vorschlagen. Handlungsbedarf in der EU besteht auch hinsichtlich eines gemeinsamen Regelwerkes für den boomenden Pflegesektor, fordert das Parlament.

Der wachsende Bedarf an Pflegekräften wird das alternde Europa schon bald nicht mehr aus den eigenen Mitgliedsstaaten decken können, sagen Migrationsforscher. Auch hier blickt die EU daher nach Afrika.

Debatten um "zirkuläre Migration"

EU-Kommissar Frattini betont jedoch, dass nicht um Fachkräfte geworben werden soll, die in ihren Heimatländern eine Schlüsselrolle spielen. Gemeinsam mit den Herkunftstaaten könne festgelegt werden, welche Bereiche die EU nicht anzapfen will. Ein Einwandern auf Zeit – von der Kommission als "zirkuläre Migration" verstanden – könne das Abwandern gut ausgebildeter und talentierter Menschen, den so genannten "brain drain", verringern.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und sein damaliger Amtskollege Nicolas Sarkozy hatten die Debatte um eine zirkuläre Migration im Oktober 2006 angestoßen. Demnach sollten Ausländer von außerhalb der EU für maximal drei bis fünf Jahre in einem EU-Land arbeiten dürfen. Nach diesem Aufenthalt müssten sie in ihre Heimat zurückkehren, Familiennachzug wäre verboten.

Die EU-Kommission definiert "zirkuläre Migration" dagegen als wiederholtes Einwandern von Arbeitern, um aktuelle Lücken in der EU kurzfristig zu schließen – dies jedoch ebenfalls auf begrenzte Zeit und mit Rückkehrpflicht in die Heimatländer. Als Gegenleistung für legale, befristete Jobs sollen die nichteuropäischen Staaten bei der Bekämpfung der illegalen Einwanderung helfen und garantieren, dass sie alle Migranten zurücknehmen, die nicht ausreisewillig sind.

Neuauflage der Gastarbeiterprogramme?

Das "Kreis-Modell" ist ein Gewinn für beide Seiten, argumentiert EU-Kommissar Frattini. Europa könne so den Arbeitsmarktbedarf flexibel decken, während die Herkunftsländer von dem in der EU erworbenen Wissen der Kurzzeitmigranten und dem verdienten Geld profitieren würden.

Kritiker sehen in dem Konzept dagegen eine neue Version der Gastarbeiter-Programme aus den 1950ern und geben zu bedenken, dass die damals angeworbenen Arbeiter nach Ablauf ihres Vertrags nicht wieder in ihre Heimatstaaten zurückgekehrt seien.

SWP-Experte Angenendt vermutet, dass Konzepte für ein Mehrfach-Einwandern erfolgreicher sind als Modelle mit einmaliger Migrationsoption. Das kurzfristige Anwerben von Saisonarbeitskräften sei der beste Beleg dafür.

Daniela Schröder

© Qantara.de 2007

Die Autorin arbeitet als freie EU-Korrespondentin in Brüssel.

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